LOKALMIX

NS-Aufarbeitung im Kreis: Emotionale Geschichte

lw; 31.05.2022, 14:58 Uhr
Fotos: Lars Weber --- Voll besetzt war der Raum L&C in der Gummersbacher Halle 32 zum Vortrag des Historikers Gerhard Pomykaj (r.).
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NS-Aufarbeitung im Kreis: Emotionale Geschichte

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lw; 31.05.2022, 14:58 Uhr
Gummersbach – Historiker Gerhard Pomykaj gab in der Halle 32 einen Überblick über den Forschungsstand – Persönliche Spannungen dominieren Diskussion – Landrat Hagt kündigt weitere Schritte an.

Von Lars Weber

 

Die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus im Oberbergischen Kreis ist in den vergangenen Monaten immer wieder diskutiert worden. Da gab es die neuen Bewertungen der Vergangenheit von Heimat- und Brauchtumsforscher Otto Kaufmann sowie dem Politiker Dr. Heinrich Schild, in dessen Zuge der Nümbrechter Rat beschloss, die beiden Straßennamen aus dem Ortsbild zu tilgen. Es gab die Veröffentlichung des neuen Kompendiums „Indoktrination. Unterwerfung. Verfolgung - Aspekte des Nationalsozialismus im Oberbergischen, Rheinisch-Bergischen und Rhein-Sieg-Kreis“, das neue Denkanstöße gab.

 

Und nicht zuletzt sorgte der Bergneustädter Lothar Gothe mit wiederholten Einwohneranfragen im Kreistag für Diskussionen. Mit Blick auf die Vergangenheit von Oberkreisdirektor Dr. Friedrich Wilhelm Goldenbogen kritisierte er die Arbeiten des ehemaligen Kreishistorikers Gerhard Pomykaj als lückenhaft und forderte unter anderem, einen „unabhängigen Historiker“ für die weitere Aufarbeitung einzusetzen. Nun hat sich gestern Pomykaj selbst zu Wort gemeldet und bei einem Vortrag in der Halle 32 einen Überblick über den Forschungsstand gegeben – und sich und seine Arbeit teils emotional verteidigt. Mehr als 60 Interessierte folgten der Einladung, darunter auch viele Vertreter aus der Politik. Alle Plätze im Raum L&C waren besetzt. Drei Erkenntnisse des Abends.

 

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1 – Die Bandbreite an Arbeiten zum Thema ist groß

 

Gut 50 Minuten reihte Pomykaj Titel an Titel und zeigte damit, dass die Aufarbeitung der NS-Zeit im Kreis alles andere als ein neues Thema ist. Von den misslungenen Anfängen wie einem Aufsatz im Festbuch von Bergneustadt 1951 über interessante Beiträge aus den 80er-Jahren („In dieser Zeit wurde die Qualität der Arbeiten besser“) wie der "Geschichte des Kirchenkampfes 1933 bis 1945" des damaligen Superintendenten Johannes Fach bis zu Veröffentlichungen wie Wilhelm Tiekes „Nach der Stunde Null“ oder Heinz-Wilhelm Brandenburgers „Ley-Land“, das 1988 „richtig Wirbel“ verursachte. Auch in den vergangenen Jahren gab es einige Veröffentlichungen, zuletzt das angesprochene NS-Kompendium „Indoktrination. Unterwerfung. Verfolgung“.

 

Natürlich ging der ehemalige Stadt- und Kreisarchivar auch auf seine eigenen Veröffentlichungen ein, an denen er unter anderem mit Jürgen Woelke oder auch Volker Dick arbeitete, darunter das „Standardwerk“, der dritte Band der Oberbergischen Geschichte. Der Vortrag samt Pomykajs fachlicher Einordnung zeigte die Bandbreite an Arbeiten und ihre unterschiedliche Qualität. Dabei sei die Quellenlage im Kreis eigentlich miserabel. „Nach Ende des Kriegs haben in den Rathäusern die Öfen gebrannt.“ Gerade deshalb lobte er zum Beispiel den Beitrag in der Festschrift der Gummersbacher Schützen von 2003, für den die Protokollbücher aus den Vereinsarchiven hervorgeholt wurden. „Es wäre zu wünschen, dass dies in mehr Vereinen passiert“, so Pomykaj.

 

Zur Person
 

Gerhard Pomykaj hat Geschichte studiert und als Autor zahlreiche Bücher und Aufsätze zur Geschichte der Stadt Gummersbach und des Oberbergischen Kreises veröffentlicht. Der 70-Jährige war von 1987 bis 2018 Stadthistoriker und Archivar bei der Stadt Gummersbach und von 1991 bis 2018 auch Kreishistoriker und Archivar bei der Kreisverwaltung. Für seine Verdienste erhielt er unter anderem die goldenen Stadtmedaille in Sonderprägung der Stadt Gummersbach.

 

2 - Die Aufarbeitung der Geschichte ist auch eine emotionale Angelegenheit

 

Dass Pomykaj überhaupt an diesem Abend auf dem Podium saß, hatte vor allem mit den Aussagen Gothes zu tun und den Diskussionen, die im Nachgang auch öffentlich geführt wurden. In diesen seien viele Halbwahrheiten erzählt worden. „Davon habe ich die Nase voll“, sagte Pomykaj offen. Am Rande seines Vortrags teilte er auch einige Spitzen gegen Lothar Gothe aus. Vor allem wehrte der studierte Historiker sich gegen den Vorwurf, dass er nicht unabhängig geforscht hätte ("Eine große Beleidigung"). Als Gothe, der selbst im Saal saß, im Rahmen der Diskussion das Wort ergriff und seine Argumentation zum Thema Goldenbogen ausbreitete, schaukelte sich der Disput zwischen dem Bergneustädter und dem Historiker kurz hoch und es wurde laut, wofür sich Pomykaj später entschuldigte. Klar wurde, dass eine fachlich geführte Diskussion zwischen beiden Beteiligten an diesem Abend nicht möglich war.

 

 

Zu Wort meldete sich auch Wolfgang Birkholz, ehemaliger Vorstand der Oberbergischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Er hatte im Januar ebenfalls eine „unabhängige Aufarbeitung“ der NS-Zeit gefordert. Eine Aussage, die Pomykaj während des Vortrags kritisch aufgegriffen hatte. Birkholz wischte die „kesse“ Bemerkung des Referenten dazu beiseite und erklärte, dass er mit „unabhängig“ vor allem eine externe Sichtweise auf das Thema gemeint habe. Zudem kritisierte Birkholz die Nümbrechter Verwaltung und den Rat für den Umgang mit der Umbenennung der Otto-Kaufmann-Straße und der Dr.-Schild-Straße. Die Entscheidung sei zwar richtig gewesen. Sie hätte allerdings auch öffentlich in einer Aussprache begründet werden sollen.

 

Martin Kuchejda, Leiter der Halle 32, der durch den Abend führte, konstatierte am Ende der Diskussion, dass zu der Aufarbeitung auch kontroverse Themen dazugehörten. „Dies zeigt: Das Thema ist nicht egal!“

 

3 - Die Aufarbeitung der NS-Zeit geht weiter

 

Neben Kuchejda versuchte auch Landrat Jochen Hagt etwas Emotionalität aus der Diskussion zu nehmen. Er dankte Pomykaj für dessen Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten. Abgeschlossen sei die Aufarbeitung aber nie. Deshalb herrscht zwischen ihm und den Kreistagsfraktionen Einvernehmen darüber, dass sie weitere Erkenntnisse bekommen wollen.

 

 

Dafür wollen sie Sachverstand von außen mit einbringen, um Themenfelder aufgezeigt zu bekommen, die als nächstes intensiv beleuchtet werden sollen. Dazu stehe die Verwaltung in Kontakt mit Universitäten. „Ich werde dem Kreistag einen Vorschlag machen.“ Die Forschung sollte ohne Emotionen und persönliche Betroffenheiten betrachtet werden.

 

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