LOKALMIX

Oberbergischer Kreis sagt sexualisierter Gewalt gegen Kinder den Kampf an

pn; 20.05.2022, 15:45 Uhr
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Fotos: Peter Notbohm ---- Raoul Halding-Hoppenheit (1. Beigeordneter Stadt Gummersbach, v.l.n.r.), Dagmar Steinmann (nina+nico), Monica Weispfennig (nina+nico), Christoph Berscht (Kreisdechant), Thomas Ruffler (Diakoniepfarrer Kirchenkreis an der Agger), Anne Loth (Bürgermeisterin Stadt Wipperfürth), Ralf Schmallenbach (Sozial- und Gesundheitsdezernent Oberbergischer Kreis), Peter Madel (1. Beigeordneter Stadt Wiehl) sowie Jörn Ferner (Leiter Jugendamt Stadt Radevormwald) bei der heutigen Vertragsunterzeichnung.
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Oberbergischer Kreis sagt sexualisierter Gewalt gegen Kinder den Kampf an

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pn; 20.05.2022, 15:45 Uhr
Oberberg – Alle fünf Jugendämter und die vier zuständigen Beratungsstellen im Oberbergischen schließen Kooperationsvereinbarung zum Ausbau des Beratungsangebots – 4,5 neue Stellen sollen Prävention stärken.

Von Peter Notbohm

 

Eine Faustformel besagt, dass Kinder, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, sich an mindestens sieben bis acht Erwachsene wenden müssen, ehe ihnen zugehört wird. Oft bleiben Taten lange unentdeckt und nur wenige Betroffene schaffen es, über das Erlebte zu sprechen. Entsprechend hoch ist die Dunkelziffer. Missbrauchskomplexe wie zuletzt in Bergisch Gladbach und in Münster, aber auch zuletzt innerhalb der katholischen Kirche in Gummersbach sorgen immer wieder für einen enormen gesellschaftlichen Aufschrei.

 

Um diese Situation zu bekämpfen und dem vorhandenen großen Bedarf Rechnung zu tragen, haben am heutigen Freitag alle fünf Jugendämter und die vier zuständigen Beratungsstellen im Oberbergischen (nina + nico, Psychologische Beratungsstelle Herbstmühle, Haus für Alle sowie Psychologische Beratungsstelle des Oberbergischen Kreises) eine Gesamtkooperationsvereinbarung zum Ausbau der Beratungsangebots- und Koordinationsstrukturen bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Oberbergischen geschlossen. Hierfür wurden für 4,5 neue Stellen Fördermittel vom NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) akquiriert.

 

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„Das Angebot soll flächendeckend und bedarfsgerecht kreisweit zum Einsatz kommen. Es soll ortsnah, schnell und professionell, aber auch niedrigschwellig zur Verfügung stehen“, betonte Ralf Schmallenbach (Foto), Sozial- Gesundheitsdezernent des Oberbergischen Kreises, im Rahmen der heutigen Pressekonferenz. Die Fördermittel konnten aufgrund des neuen NRW-Kinderschutzgesetzes, das seit dem 1. Mai in Kraft ist, beantragt werden, um in diesem Bereich die spezialisierten Beratungsstrukturen und Angebote auszubauen, zusätzliche zu schaffen und aufeinander abzustimmen, um eine einheitliche Vorgehensweise zum Themenfeld zu ermöglichen. Opfern, aber auch ihren Familien sollen durch spezialisierte Beratungsstrukturen die Zugänge erleichtert werden auf ihre Situation zugeschnittene psychosoziale Beratung und Therapieangebote zu erhalten.

 

Schmallenbach ist zwar froh, dass die abgewählte Landesregierung das Gesetz noch auf den Weg gebracht hat, nannte es gleichzeitig aufgrund mancher Lücken aber auch einen Kompromiss: „Und Kinderschutz darf keine Kompromisse dulden!“ Umso bemerkenswerter sei es, dass im Oberbergischen alle Akteure unter Leitung von Birgit Steuer, Leitung Koordinierungsstelle Gesellschaftliche Entwicklung Oberbergischer Kreis, beim Erstellen des Konzepts an einem Strang gezogen hätten: „Wir wollen Maßstäbe setzen und zeigen, dass beim Thema Kinderschutz künftig hier die Musik spielt.“ Dabei geht es um den Aus- und Aufbau der Beratungsstrukturen: Von der Diagnostik, Beratung und Therapie, über präventive Angebote, die Vernetzungsaktivität sowie Steuerungsgruppen.

 

Auch Thomas Hein, Leiter des Gummersbacher Jugendamtes, betonte, dass man noch einen Schritt weiter gehen wolle, als es die Landesregierung vorsieht: „Wir wollen ein gemeinsames Handlungskonzept für Kinderschutz.“  Er berichtete davon, dass alle oberbergischen Jugendämter mit vielen Fällen, sexualisierter und normaler Gewalt zu tun haben. Allein in Gummersbach gebe es jedes Jahr zehn bis 20 schwere Fälle, was aber nichts über die Dunkelziffer aussage. Das größte Problem sei die lange Wartezeit für die Opfer, denen bislang aufgrund fehlender Fachkräfte teilweise erst nach einem halben Jahr geholfen werden konnte. Dass nun die Beratungsstellen durch die neugeschaffenen Stellen gestärkt werden, sieht er als großen Gewinn.

 

Ob man die Zahl der sieben bis acht Anlaufstellen nach unten drücken kann, wisse man natürlich nicht, sagt Ludger Sändker, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle Herbstmühle in Wipperfürth. Mit der Erweiterung der Stellen könne man den präventiven Anteil aber erheblich ausbauen. „Wir müssen besser sehen, hören und Dinge frühzeitiger angehen“, meint er. Darüber hinaus erhielt die Herbstmühle den Zuschlag für die Einrichtung der Regionalstelle für den Regierungsbezirk Köln. Sie wird als Bindeglied zwischen der Zentralstelle beim AJS Köln und den neuen Stellen in den Beratungsstellen im Regierungsbezirk fungieren und vor allem für Informationen, Fortbildungen und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema in der Region zuständig sein.

 

Auch Olaf Hesse, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle des Kreises, hofft eine weitere Statistik bekämpfen zu können: Demnach soll es bundesweit ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse geben, die schon einmal Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. „Dieses Dunkelfeld wollen wir erhellen, damit wir diese Kinder dazu bringen, dass sie sich äußern.“ Durch die präventiven Angebote will man Kinder aber auch so weit anleiten, dass sie ‚Nein sagen‘ und sich wehren können.

 

Ähnlich sieht dies Dagmar Steinmann, Vorstand nina + nico: Man müsse mehr an die Schulen gehen und auch Lehrern fortbilden, damit diese einen Blick dafür entwickeln, wenn Kinder sich in ihrem Wesen verändern. Als der Verein 1999 anfing, bearbeitete man noch 40 Fälle. Während des Corona-Lockdowns waren es 250. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren vieles getraut, einiges aber auch nicht, weil es unseren Rahmen gesprengt hätte. Alles, was man anstößt, muss man auch auffangen.“

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