LOKALMIX

Soldaten schwimmen sehr sicher im kalten Wasser

lw; 25.09.2020, 16:33 Uhr
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Fotos: Lars Weber --- Daniel Salomon bei der Arbeit. Der Oberstabsgefreite gehört zu der Gruppe aus zehn Soldaten, die seit Dienstag das Gesundheitsamt bei der Kontaktpersonen-Nachverfolgung untersützen.
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Soldaten schwimmen sehr sicher im kalten Wasser

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lw; 25.09.2020, 16:33 Uhr
Oberberg – Einsatzkräfte der Bundeswehr schon nach wenigen Tagen große Stütze für das Gesundheitsamt – Jeweils rund 300 Anrufe pro Tag.

Von Lars Weber

 

Oberstabsgefreiter Daniel Salomon und Stabsunteroffizier Marcel Böcken-Kelian sitzen gespannt in einem Büro im Anbau des Kreishauses. Die Regale an den Wänden sind leer, die Schreibtische sind bis auf Monitor, Arbeitsgerät und Telefon leergefegt, nur ein Apfel und eine Banane liegen neben den Desinfektionstüchern. Aber die beiden Soldaten und ihre acht Kameraden sind ja auch nicht dort, um es sich gemütlich zu machen, sondern um zu arbeiten. Vor allem: Um den Mitarbeitern des Gesundheitsamts etwas Last von den Schultern zu nehmen. Deshalb telefonieren Salomon und Böcken-Kelian. Ein Anruf. Kurz durchatmen. Der nächste Anruf. Immer so weiter. Von 7 bis 16 Uhr. 300 Anrufe am Tag schafften sie etwa jeder. Jedes Telefonat hilft, das Infektionsgeschehen ein wenig besser zu kontrollieren.

 

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Die Soldaten sind seit Dienstag in Gummersbach, nachdem die Kreisverwaltung einen Antrag auf Amtshilfe gestellt hatte. Innerhalb von einer knappen Woche war die Sieben-Tage-Inzidenz von rund 16 auf 33 gestiegen, ab 35 wird es kritisch. Und mit den positiv getesteten Menschen stieg auch die Menge an Kontaktpersonen. Bei jenen ersten Grades zum Beispiel von 438 am 15. September auf 1.509 am heutigen Freitag. Da die Kontaktverfolgung für den Kreis einen der entscheidenden Faktoren darstellt, um dem Virus im Oberbergischen Einhalt zu gebieten, wurde von Anfang an viel in diese Aufgabe investiert, längst unterstützen rund 80 Mitarbeiter aus anderen OBK-Ämtern die Kollegen des Gesundheitsamts.

 

Wie extrem die Arbeitsbelastung ist, schildert Leiterin Kaija Elvermann (Bild). „Wir befinden uns in einem nie da gewesenen Zustand, bei dem jeder an seine Grenzen geht.“ Früh wurde ein Schichtdienst eingerichtet, der zum Dauerzustand wurde. „Die Mitarbeiter sind stark belastet.“ Sie starten um 7 Uhr. Wann der Tag endet, ist unklar. „Manchmal kann es zwölf bis 14 Stunden lang gehen.“ Bei der Nachverfolgung müsse schnell gearbeitet werden, und das Telefonieren ist nur ein Bestandteil der Aufgabe, aber ein großer. 1.900 Anrufe seien es gerade am Tag – und damit seien nur die Kontaktpersonen ersten Grades abgearbeitet. Der Erstkontakt könne schonmal eine Stunde dauern, schließlich müssen sich die Leute erinnern, mit wem sie es alles zu tun hatten die vergangenen Tage. „Die Anrufliste ist immer im Hinterkopf“, sagt Elvermann. Die Arbeit der Bundeswehr merke sie bereits, obwohl sie „ins kalte Wasser geschmissen“ wurden. Dort schwimmen sie offensichtlich sehr sicher. Die Listen seien schneller abgehakt.

 

„Guten Tag, hier ist Salomon vom Gesundheitsamt.“ „Haben Sie Symptome?“ „Haben Sie Vorerkrankungen?“ „Wann waren Sie das letzte Mal bei der Arbeitsstelle?“  „Wie ist Ihre Adresse?“ Die Fragen gehen den Soldaten, die sich nicht mit Dienstgrad melden, inzwischen leicht über die Lippen. Es ist der erste Corona-Hilfseinsatz für die Männer und eine Frau aus dem Streitkräfteamt Bonn. Auch dort gebe es viele administrative Aufgaben für sie, dementsprechend leicht tun sie sich mit ihrer Mission im Kreishaus, so Hauptmann Halil Ibrahim Akbulut. „Der Auftrag steht im Vordergrund.“ Einen großen Unterschied zu anderen Aufgaben im Bereich der Bundeswehr sieht er nicht. „Das liegt einfach im Verständnis eines Soldaten“, ergänzt Oberstleutnant Stefan Heydt, Leiter der Informationsarbeit beim Landeskommando Nordrhein-Westfalen. Man stelle sich schnell auf wechselnde Situation ein und erledigt die Aufgabe. „Das ist unser täglich Brot.“

 

[Während des Gesprächs füllen die Soldaten einen Erfassungsbogen mit den wichtigsten Informationen aus.]

 

Viel vom Oberbergischen bekommen die Soldaten dabei nicht mit. Morgens steigen sie in den Bus, der sie von Bonn aus in die Kreisstadt fährt, nach einer kurzen Informationsrunde geht es an die Telefone. Fünf Büros gibt es, jedes hat zwei Arbeitsplätze. An den Türen steht auf gelbem Papier „Team 1“, „Team 2“ und so weiter. Mittags gibt es Essen vom Caterer. Der Pausenraum ist nur ums Eck. Ist der Magen voll, wird weiter telefoniert. Als Bindungsglied zwischen Gesundheitsamt und Bundeswehr fungieren dabei von Oberstleutnant Marco Tessitori aktivierte Reservisten vom Kreisverbindungskommando, die im Vorraum Platz genommen haben. Dort ist auch ein Arzt zu finden, der bei medizinischen Fragen von Anrufern weiterhilft. Um 16 Uhr ist für die Soldaten Schluss und sie steigen wieder in den Bus.

 

Bis zum 9. Oktober wird das so gehen. Manche Soldaten werden auch an den Wochenenden den Weg nach Gummersbach antreten. Ob die Maßnahme verlängert wird und die Kreisverwaltung einen weiteren Hilfsantrag stellt, soll nächste Woche entschieden werden. Die nackten Zahlen betrachtet – vor allem die Sieben-Tage-Inzidenz von 21,7 – scheint sich die Infektionslage gerade wieder etwas zu entspannen. Kreisdirektor Klaus Grootens warnt aber. Die Situation könne sich schnell wieder ändern. Angesichts „vieler kleiner Hotspots“ an inzwischen zwölf Schulen, in zwei Kitas, bei mehreren Glaubensgemeinschaften, Sportvereinen, Tanzzentren oder auf privaten Feiern wie Hochzeiten oder Trauerfeiern bleibt auch Elvermann vorsichtig. Zumal sie um die Anruferlisten weiß, die sie und ihre Mitarbeiter um den Schlaf bringen. Gerade die Mitarbeiter des Gesundheitsamts hätten da sicherlich nichts gegen ein weiteres Engagement der Bundeswehr – und ein wenig Entlastung.

 

Der Ablauf bei einem neuen laborbestätigten Fall

 

Bekommt das Gesundheitsamt, zum Beispiel vom Labor, von einem Arzt oder auch vom Flughafen, Kenntnis über einen positiven Fall, wird diese Person vom Gesundheitsamt ermittelt und kontaktiert. Beim Erstkontakt muss sie unter anderem eine Liste über die Kontakte der vergangenen 14 Tage aufstellen. „Die kann schonmal umfangreich ausfallen“, sagt Gesundheitsamtleiterin Kaija Elvermann. Damit nicht genug: Die Menschen müssen auch mitteilen, unter welchen Bedingungen ein Kontakt stattgefunden hat: Wurde Maske getragen? Wie weit stand man voneinander entfernt? Wurde zehn Minuten miteinander gesprochen, oder doch nur fünf?

 

Anhand dieser Informationen werden die Menschen eingeteilt in Kontaktpersonen ersten und zweiten Grades. Fallen sie in die erste Kategorie, bedeutet das eine 14-tägige Quarantäne mit Corona-Test zwischen den Tagen fünf und sieben. „Da haben wir die höchste Trefferquote“, erklärt Elvermann. Kontrolliert wird die Quarantäne zum einen durch tägliche Anrufe, bei denen sich auch nach dem Gesundheitszustand erkundigt wird. Zum anderen kann auch das Ordnungsamt, manchmal zusammen mit der Polizei, vorbeischauen. „Wir bauen ein Vertrauensverhältnis auf“, sagt Elvermann. „Quarantänebrecher gab es bislang nur wenige.“

KOMMENTARE

1

Schon traurig, dass der OBK bei so geringen Zahlen, die hier herrschen, dass nicht alleine gemanagt bekommt!
Will gar nicht wissen, was für ein Chaos herrschen würde wenn hier mal die Zahlen auf Niveau eines Risiko Gebietes steigen würden.

?, 26.09.2020, 09:58 Uhr
2

Sehr geehrtes Fragezeichen,
ein Amt, das von seiner personellen Ausstattung niemals auf eine solche Situation vorbereitet sein kann, ist in außergewöhnlichen Umständen wie diesen auf professionelle Improvisation angewiesen. Dies geschieht in erster Linie durch interne Personalverschiebung, aber auch die hat Grenzen, will man andere wichtige Aufgaben nicht vernachlässigen. Daher finde ich die Unterstützung durch andere staatliche Strukturen nicht verwunderlich, sondern logisch und eben professionell.
Und: die Nachverfolgungsquote ist im OBK überdurchschnittlich hoch. Auch das werte ich als Indiz für die gute Arbeit dieses Amtes! Die geleistete Arbeit verdient Respekt und keine unqualifizierte Schelte... auch wenn sicherlich nicht alles perfekt ist.

Alexander B., 26.09.2020, 21:55 Uhr
3

Zunächst gebe ich dem Kommentar 1 recht. Die Krise besteht schon seit Monaten und der OBK hätte hier personell agieren können. Sicherlich zunächst durch personelle Verschiebung. Jedoch war schon länger klar, dass die Krise sich länger abzeichnet (s. Erfahrungsbericht LÜKEX aus 2007 und Risikobericht aus 2013). Recht hat auch Kommentar 2, den Behörden sind zur gegenseitigen Amtshilfe verpflichtet. Die Frage ist jedoch, wie lange, ob dies ein kurzfristiger Zustand ist, ober wie aktuell diese Krise länger andauert (Zeitlich ist Corona ungewiss). Die Besetzung, Struktur, etc. der Gesundheitsamter muss zwingend auf den Prüfstand, den in Zukunft werden wir uns weiteren Herausforderungen stellen müssen. Es gibt nicht nur Corona

FB, 27.09.2020, 10:51 Uhr
4

Bitte beim Schutz die Nase mit einbeziehen!



Gerd , 27.09.2020, 12:03 Uhr
0 von 800 Zeichen
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