LOKALMIX

Enttäuschung, Wut und ein letzter Rest Hoffnung

lw; 24.08.2021, 15:50 Uhr
Fotos: IG Metall, Bernd Vorländer --- Beim ersten Warnstreik kamen rund 40 Menschen zur Kundgebung, darunter natürlich Beschäftigte der Firma selbst, aber auch Vertreter der Politik.
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Enttäuschung, Wut und ein letzter Rest Hoffnung

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lw; 24.08.2021, 15:50 Uhr
Engelskirchen – Bei der Firma Keil in Loope steht der zweite Warnstreik an – Standort wird Mitte Oktober geschlossen – Beschäftigte kämpfen für finanzielle Entschädigung.

Von Lars Weber

 

Völlig unerwartet ist Anfang Juli angekündigt worden, dass die Firma Keil in Engelskirchen Mitte Oktober ihre Pforten für immer schließen wird (OA berichtete). Mehr als 60 Mitarbeiter sind von der Entscheidung betroffen. Das frühere Familienunternehmen, das seit mehr als einem halben Jahrhundert Spezial-Werkzeug herstellt, war bereits Mitte 2017 an die Münchener Serafin Unternehmensgruppe veräußert worden, zu der auch Heller Tools mit Sitz in Dinklage gehört. An diesem Standort in Niedersachsen soll die Produktion weitergehen – dem Angebot, rund 250 Kilometer entfernt einen Job zu übernehmen, haben fast alle Mitarbeiter widersprochen. Seit Juli versuchen die Beschäftigten nun Hand in Hand mit der IG Metall, eine soziale Lösung mit der Geschäftsführung auszuhandeln. Den ersten Warnstreik gab es bereits. Am Donnerstag soll der zweite folgen. OA hat mit Geschäftsführung, einer langjährigen Mitarbeiterin und der IG Metall gesprochen.

 

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Das sagt die Geschäftsführung

 

Der kleinere Standort in Engelskirchen habe solitär betrachtet erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber jenem in Dinklage. Er erwirtschafte Verluste und könne nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden, erklären die Geschäftsführer Dr. Robert Untiedt und Jörg Fommeyer den Schritt. Auch die Pandemie habe ihnen die Vorteile vor Augen geführt, an nur einem Standort zu produzieren.

 

„Uns ist bewusst, dass die alternativlose Entscheidung der Standortverlagerung für einzelne Mitarbeiter mit weitreichenden Konsequenzen für das berufliche und persönliche Umfeld verbunden ist.“ Allen Mitarbeitern, die das Angebot der Weiterbeschäftigung in Dinklage nicht angenommen hätten, sei deshalb Unterstützung bei der Suche nach einem Job in der Region angeboten worden. „Wir haben Kontakt zu mehreren größeren Mittelständlern in der Region aufgenommen und auch unser Standortleiter und Prokurist ist im direkten Dialog mit einigen Unternehmen aus der Region“, so Dr. Untiedt auf Nachfrage. Auch mit der Agentur für Arbeit und der Politik sei gesprochen worden, um den Mitarbeitern eine „nahtlose Weiterbeschäftigung“ zu ermöglichen. Erste Mitarbeiter hätten bereits erfolgreich vermittelt werden können. „Andere Mitarbeiter haben gekündigt, da sie eigenständig neue Arbeitsplätze gefunden haben.“

 

Zu den Forderungen des Betriebsrats nach einem Sozialplan beziehungsweise der IG Metall nach einem Sozialtarifvertrag antwortet die Geschäftsführung, dass sie insbesondere mit dem neugegründeten Betriebsrat im Dialog stehe. „Wir sind nun in der Abstimmung hinsichtlich eines möglichen Termins für ein informatorisches Gespräch.“

 

 

Das sagt eine langjährige Mitarbeiterin

 

Wut, Fassungslosigkeit, Zukunftsangst, aber auch Trotz. So fasst eine langjährige Mitarbeiterin der Firma die momentane Gefühlslage von sich und vielen Kollegen zusammen. „Es geht ja nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um viele Familien dahinter.“ Die Nachricht im Juli hatte sie kalt erwischt. „Der Umsatz und die Auftragslage waren steigend, trotz Corona.“ Sie wirft der Geschäftsführung vor, unter dem Deckmantel der Pandemie schon Kosten eingespart zu haben. „Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass unsere Kunden gleichbleibend bzw. erhöhte Bestellungen schickten, die wir aber nicht bedienen konnten aufgrund der Fehlentscheidungen.“

 

Viele Angestellte seien auch aufgrund des Angebots der Weiterbeschäftigung wütend. „Niemand hat für 70 Leute auf einmal einen Arbeitsplatz zur Verfügung.“ Sie wisse von zwei Kollegen, die nach Dinklage gehen werden, das wars. Gespräche und Angebote rund um eine mögliche Weiterbeschäftigung habe es tatsächlich gegeben, auch bei ihr. „Man hatte mir gesagt, ich soll mich bei der und der Firma melden, die würden suchen. Als ich anrief, stellte sich heraus, dass es doch nicht passt wegen falschen Qualifikationen. Das war eher komisch.“ Ähnlich sei es auch Kollegen gegangen.

 

Sie hofft jetzt noch auf ein wenig Gerechtigkeit und Entschädigung. „Ich kann mir vorstellen, dass das bis vor das Gericht geht. Wir fahren alles auf, was rechtlich für uns Arbeitnehmer möglich ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt…“

 

Das sagt die IG Metall

 

Hilfe bekommen die Beschäftigten von Keil dabei von Haydar Tokmak (Foto), Gewerkschaftssekretär der IG Metall Gummersbach. Nach der Nachricht des Betriebsübergangs im Juli hätten sich Keil-Mitarbeiter bei ihm gemeldet. Ein Betriebsrat existierte zu dieser Zeit noch nicht, die Gründung wurde aber schnellstmöglich nachgeholt. In dieser Phase hätten die Beschäftigten schließlich ihre Kündigungen erhalten, noch bevor Sozialplanverhandlungen möglich gewesen seien.

 

Den Versuch, den Verlust der Arbeitsplätze auf irgendeine Art und Weise noch finanziell zu entschädigen, gibt es trotzdem. Auf der einen Seite möchte Tokmak selbst mit der Geschäftsführung über einen Sozialtarifvertrag sprechen. „Obwohl mir beim ersten Warnstreik zugesichert worden war, dass die Geschäftsführung sich meldet, ist dies nicht geschehen.“ Auch an die Serafin-Gruppe selbst hat er sich mit einem Brief gewandt. Auf der anderen Seite gibt es den Dialog zwischen Betriebsrat und der Geschäftsführung. Ein „informatorisches Gespräch“, wie von der Führungsetage angekündigt, wäre Tokmak aber viel zu wenig. Er fordert Verhandlungen über einen Sozialplan.

 

Den Ausgang dieses Austauschs von Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretung nimmt er als Grundlage dafür, wie es weitergehen soll. Weitere Verhandlungen – oder landet der Fall bei der Einigungsstelle? „Den zweiten Warnstreik am Donnerstag wird es auf jeden Fall geben. Wir wollen zeigen, dass wir kämpfen!“

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