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Ärzte-Situation in Derschlag "nur Vorgeschmack"?

Red, lw; 30.05.2023, 13:54 Uhr
Symbolfoto: Julio César Velásquez Mejía auf Pixabay
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Ärzte-Situation in Derschlag "nur Vorgeschmack"?

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Red, lw; 30.05.2023, 13:54 Uhr
Gummersbach – Vorstand des Oberbergischen Hausärzteverbands nimmt ausführlich Stellung – Wirtschaftliche Schieflage des MVZ.

In ernsten finanziellen Schwierigkeiten befindet sich das Medizinische Versorgungszentrum „MVZ DerArzt Hausarztzentrum Gummersbach“ in Derschlag. Die Versorgung von Tausenden Patienten steht dort auf dem Spiel, weshalb sich unlängst Vertreter des Oberbergischen Kreises, der Stadt Gummersbach, der lokalen Vertragsärzteschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) zusammen mit der Betreibergesellschaft an einen Tisch gesetzt hatten (OA berichtete). Ausführlich haben nun auch Dr. Ralph Krolewski und Dr. Thomas Aßmann, die Vorstände des Oberbergischen Hausärzteverbands, Stellung genommen. Sie werfen auch einen Blick in die Zukunft der ärztlichen Versorgung im Oberbergischen.

 

Dr. Krolewski und Dr. Aßmann glauben, dass aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen des MVZ eine Sanierung in der bestehenden Struktur schwierig erscheint. Seit vielen Monaten habe sich ein strukturelles und finanzielles Defizit entwickelt, was auch Auswirkungen auf das dortige Team hatte. Momentan täten in Derschlag die verbliebenden angestellten zwei Ärzte zusammen mit fünf medizinischen Fachangestellten alles, um unter den schwierigen Umständen Patienten zu versorgen. Eine Übernahme der mindestens 3.800 Patienten des MVZ von Praxen in einem Fünf-Kilometer-Radius soll aber nicht mehr Teil einer möglichen Lösung sein, da auch diese Ärzte schon an der Belastungsgrenze arbeiteten.

 

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„Inzwischen erkennen alle Akteure und ebenfalls Kommune und Kreis die Bedeutung des Standorts in Gummersbach-Derschlag für die hausärztliche Versorgung an“, heißt es in der Stellungnahme. Deshalb sei auch der Vorstoß des Landrats für ein gemeinsames Gespräch begrüßt worden. In dem Gespräch seien Problemstellungen identifiziert worden, die einer weiteren intensiven Bearbeitung bedürfen. Die MVZ DerArzt Gesellschaft, eingebunden in die MVZ DerArzt-Gruppe, müsse Entscheidungen zur Weiterführung unter Insolvenzbedingungen und Sanierung, Aufgabe oder Veräußerung treffen. „Zu Details wurde Stillschweigen vereinbart.“ Während an möglichen Lösungen gearbeitet wird, würden sich bei einem Versorgungskollaps wie berichtet diverse Hausärzte in einem Notfall-Vertretungsprogramm engagieren.

 

Ein Problem, dass nicht nur eine von mehreren Ursachen für die Schieflage in Derschlag ist, sieht der Hausärzteverband Oberberg in der chronischen Unterfinanzierung im Honorarsystem der Kassenärztlichen Vereinigungen. 60 Prozent der oberbergischen Hausarztpraxen rechneten ihre Leistungen nach dem dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ab. Die chronische Unterfinanzierung im EBM-System umfasse laut eines Gutachtens bei der hausärztlichen Versorgung im Jahr 2016 21 Prozent.

 

Verbessert habe sich die Situation seitdem nicht. Eher im Gegenteil: „Bei absehbar weiterer Verschärfung der Situation mit drohender Entlassung von ärztlichen und nicht-ärztlichen angestellten Mitarbeitern aus betriebswirtschaftlichen Gründen und massiven Liquiditätsengpässen und fehlenden Möglichkeiten, eine Nachfolge für Praxis-Standorte zu finden, sind massive Proteste zu erwarten.“ Die Unterfinanzierung drohe dann in eine Versorgungskrise in allen KV-honorarabhängigen Strukturen umzuschlagen, bei der die Derschlager Situation nur ein Vorgeschmack ist. Neben den aufgeführten strukturellen Einbrüchen bestehe zudem die Gefahr, dass immer mehr Hausärzte, die noch jenseits der Altersgrenze arbeiten und für die aktuelle Versorgung notwendig sind, aufgeben werden ohne Nachfolge.

 

Dr. Aßmann und Dr. Krolewski beschreiben in ihrer Stellungnahme weiter, wie zukunftsfähige Strukturen im Kreis bei der hausärztlichen Versorgung aussehen sollten. Diese Strukturen beinhalteten wirtschaftlich stabile Situationen und Arbeitsbelastungen bis maximal 40 Wochenstunden. Aktuell liege die Wochenarbeitszeit bei rund 55 Stunden. „Bei dem sich darstellenden ärztlichen Fachkräftemangel im hausärztlichen Nachwuchs kann eine Umstellung auf 40 Wochenstunden mit dann erforderlichen über 220 Hausärzten nicht gelingen.“ So könnten etwa 30 Prozent der Bevölkerung bis 2028 unterversorgt sein.

 

Ein Ansatz seien qualifizierte Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis, die für Entlastung und gemeinsam mit fortschreitender Digitalisierung dafür sorgen könnten, dass Oberberg mit 168 Hausärzten zurecht käme. Die Finanzierung könne über die Hausarztzentrierte Versorgung erfolgen: „Die einzige Chance für die künftige hausärztliche Versorgung im Oberbergischen Kreis“. Dabei verweist der Hausärzteverband weiter auf die Gründung der HV Plus Genossenschaft, ein von Hausärzten solidarisch gestartetes Projekt (OA berichtete). Hausärzte sollen dabei zu den Chancen der Hausarztzentrierten Versorgung interessiert und bei Teilhabe gefördert und unterstützt werden bis hin zur Gründung von Hausärztlichen Versorgungszentren. Der Einfluss von Kapitalgesellschaften und Investoren auf die Genossenschaft sei ausgeschlossen, so der Hausärzteverband auch mit Blick nach Derschlag.

 

Hier gibt es die gesamte Stellungnahme des Hausärzteverbands Oberberg.

KOMMENTARE

1

… es ist ja nicht so, als hätten Expertinnen und Experten nicht schon vor längerer Zeit vor einer solchen Situation gewarnt.

Kapitalgesellschaften mit ihren Prinzipien zur teils rücksichtslosen Gewinnmaximierung sollte generell der Zugang zu unserem Gesundheitssystem verboten werden. Dieses gehört nämlich uns, den Beitragszahlerinnen und –zahlern und den unmittelbar daran Beteiligten.
Hierbei würden entsprechende Gesetze durch unsere Politikerinnen und Politiker helfen. Leider haben dort noch nicht alle die Gefahr erkannt.

Der Markt und seine Gesetze kann eben nicht alles regeln, so gerne sich das manche in ihrer Traumwelt auch wünschen.

R. Gerhards, 30.05.2023, 16:43 Uhr
2

Wenn man sich eine Heuschrecke ins Bett holt, muß sich keiner wundern, wenn der Knall kommt. Ein MVZ ist nur auf Profit aus. Der Patient bleibt da immer auf der Strecke. So was gehört verboten. Jetzt liegt das Kind im Brunnen.

Uwe Märtens, 31.05.2023, 10:11 Uhr
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