POLITIK

Hausärztemangel: „Und nun?“

lw; 10.02.2023, 14:57 Uhr
Symbolfoto: Thirdman auf Pexels
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Hausärztemangel: „Und nun?“

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lw; 10.02.2023, 14:57 Uhr
Oberberg – Gesundheitsausschuss des Oberbergischen Kreises diskutierte mehr als zwei Stunden über die Situation in der Region – Vor allem im Raum Gummersbach ist die Lage prekär.

Von Lars Weber

 

Niedergelassene Hausärzte im Kreis werden immer älter. Gleichzeitig kommen kaum Jüngere in die ländliche Region nach. Die Folge sind volle Praxen, längere Anfahrtswege für Patienten aufgrund einer nicht sozialraumbezogenen Verteilung, Arbeitszeiten von mehr als 50 Wochenstunden und engagierte Allgemeinmediziner im Rentenalter, die momentan eine noch schlechtere Versorgungslage verhindern. All dies ist nichts Neues. Die erfahrene Ina Albowitz-Freytag (FDP) fühlte sich im Laufe der mehr als zweistündigen Diskussion im Kreisgesundheitsausschuss am Mittwoch um zehn Jahre zurückversetzt. Auf der Suche nach einem „Pack-Ende“, wie Albowitz-Freytag es ausdrückte, hatte die Verwaltung einige Redner und Vorstandsmitglieder der Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KV) eingeladen. Die Frage lautete: Was können der Kreis, die kommunale Politik, die Städte und Gemeinden tun, um am Hausärztemangel im Oberbergischen etwas zu ändern?

 

Vorweg: Wirklich erfolgreich war die Suche nach einem „Pack-Ende“ nicht. Der medizinische Versorgungsauftrag und die Bedarfsplanung liegen bei der KV, dementsprechend lagen auch viele Zahlen und Statistiken, die die Kreispolitiker gerne gehabt hätten, aus Datenschutzgründen nicht vor. Zum Beispiel, wann wo wie viele Hausärzte in den kommenden Jahren in Rente gehen werden. Wie Elke Cremer vom Hausärzteverband Nordrhein in ihrer Präsentation über Hausärztliche Versorgungsmodelle oder auch Gremiumsmitglied und Hausarzt Dr. Ralph Krolewski (Grüne) berichteten, wird sich die jetzige Situation durch die Rentenwelle, wenn die Geburtenstarken Jahrgänge (Boomergeneration) aufhören zu arbeiten, enorm verschärfen. Schon in den vergangenen fünf Jahren standen 30 Prozent der Hausarztpraxen im Bereich Gummersbach ohne Nachfolger da, so Dr. Krolewski. 14 Hausarzt-Sitze sind momentan dort offen. Im gesamten Kreis sind es rund 25 (siehe Kasten). Immerhin einer der Sitze in Gummersbach und einer in Engelskirchen könnte bald vergeben sein, sagte Dr. Renate Krug-Peltier, Vorsitzende der KV-Kreisstelle Oberberg.

 

Die Zahlen zum Problem

 

Überblick der freien Hausarzt-Sitze in den Planungsbereichen:
 

Engelskirchen (zugehörig: Engelskirchen und Lindlar): 2,5

Gummersbach (zugehörig: Bergneustadt, Gummersbach, Marienheide, Reichshof, Wiehl): 14

Radevormwald: 1

Waldbröl (zugehörig: Morsbach, Nümbrecht, Waldbröl): 5

Wipperfürth (zugehörig: Hückeswagen, Wipperfürth): 2

 

Freie Sitze Fachärzte im Kreis:

 

Psychosomatiker: 4; Kinder- und Jugendärzte: 1; Hautärzte: 1,5

 

Das Interesse daran, im ländlichen Raum eine Praxis zu übernehmen oder zu eröffnen, ist daran natürlich abzulesen. Cremer, selbst Hausärztin in Troisdorf, skizzierte in ihrem Vortrag ein Lösungsmodell, das bald schon in Realität getestet werden soll und das auch auf die veränderten Arbeitsvorstellungen des Ärzte-Nachwuchses Rücksicht nimmt, der häufig auch in Teilzeit arbeiten möchte. Dabei sind Ärzte im Rahmen einer Genossenschaft (nur Ärzte als Mitglieder) Träger von Hausärztlichen Versorgungszentren (HVZ). Eckpunkte des Konzepts sind unter anderem, dass die HVZ mit dem Kompetenznetzwerk der Universitäten kooperieren, um die strukturierte und standardisierte Weiterbildung der jungen Ärzte zu Hausärzten sicherzustellen. Zudem soll die Bürokratie – Ärzte beschäftigten sich rund 2,5 Stunden am Tag mit nichtärztlichen Tätigkeiten – von einer Servicegesellschaft übernommen werden, sodass mehr Zeit für die Patienten bleiben soll. Durch die Gemeinschaft können flexiblere Arbeitsmodelle angeboten werden.

 

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Das Konzept setzt weiter unter anderem auf die Stärkung der Rolle der Medizinischen Fachangestellten, zum Beispiel durch Weiterbildungen. Zu diesem Punkt hielt Daniela Rieck – sie ist seit mehr als 20 Jahren bei Dr. Krolewski in der Praxis tätig - einen Vortrag. Sie war 2009 eine der ersten Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (kurz: Verah) in Nordrhein-Westfalen. In dieser Funktion ist sie in der Lage, Ärzte effizient zu entlasten, zum Beispiel, indem sie mit Patienten und Medizinern Versorgungspläne erstellt oder Hausbesuche übernimmt. Gerade auf dem Land, wo ein Hausbesuch schnell eine Stunde Zeit kostet, sei dies wertvoll. „In dieser Zeit kann man sieben, acht Patienten in der Praxis behandeln“, sagte Claus-Peter Bockhacker aus dem Vorstand der KV-Kreisstelle. „Verahs sind eine immense Entlastung!“ Neben Verahs gibt es diverse andere Weiterbildungsmodelle (zum Beispiel Entlastende Versorgungsassistentinnen), die in den Praxen noch mehr genutzt werden könnten.

 

Und die Rolle der Kommunen innerhalb des Lösungsansatzes des Hausärzteverbands? Bei dem Genossenschaftsmodell seien Städte und Gemeinden wichtige Ansprechpartner vor Ort, die bei der Suche nach Praxisräumen oder Wohnlösungen für die Beschäftigten unterstützen können, so Cremer. Außerdem seien sie es, die für die Infrastruktur sorgen müssen, damit die Region für die Ansiedlung interessant wird. Dazu gehörten schnelles Internet, Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder einen guten ÖPNV, da gerade auch Hausärzte verstärkt pendelten.

 

Diese Aufgaben würden Kommunen aber auch jetzt schon übernehmen und viel Engagement an den Tag legen, um potenzielle Kandidaten von einer Ansiedlung zu überzeugen, sagte Dr. Roland Adelmann in der Diskussion. Auch das Projekt Oberberg FAIRsorgt und eine geplante Bewerbung des Kreises als „Gesundheitsregion“ beim Land verbunden mit Fördermitteln zeugten vom hiesigen Engagement.

 

Und was ist mit den Kinderärzten?

Die Situation bei den Kinderärzten im Kreis war bei der Sitzung am Mittwoch ebenfalls am Rande Thema. Die Probleme sind ähnlich gelagert. Die Verwaltung beantwortete erst im September vergangenen Jahres eine Anfrage der Grünen-Fraktion dazu (Hier geht's zum Dokument). Zwar ist bei der KV nur ein offener Sitz für den gesamten Kreis registriert – dass die vorhandenen Praxen aber unter der Arbeitslast ächzen, ist trotzdem allen bekannt (OA berichtete zum Beispiel hier). Ein Problem ist dabei, dass die Pädiater wie Fachärzte bei der KV gelistet sind. Ihre Anzahl wird auf den gesamten Kreis gerechnet. Eine weitere Aufteilung gibt es nicht, sodass sich in ihrer Verteilung über einen Flächenkreis wie Oberberg zwangsläufig Probleme ergeben.

 

Die Mitglieder des Ausschusses blickten in ihrer Diskussion vor allem Richtung Landespolitik und Universitätslandschaft. So erhoffen sie sich von dem neuen Institut für Allgemeinmedizin an der Uniklinik Köln auch Impulse für die Region. Vom Landarztgesetz scheinen sie indes weniger überzeugt, bei dem sich die Medizinstudenten im Gegenzug für einen Studienplatz verpflichten, nach Abschluss von Studium und Weiterbildung zehn Jahre lang als Hausarzt in einer unterversorgten Region zu arbeiten. Viele Interessierte könnten noch vor dem Studium solch eine schwerwiegende Entscheidung nicht treffen, so ein Kritikpunkt.

 

„Und nun?“, fragte wiederum Ina Albowitz-Freytag nach mehr als 120 Minuten an Vorträgen und Diskussionen, an Konzepten und vordergründigen Zahlen.  Das Gremium einigte sich, im Kreistag eine Resolution an das Land verabschieden zu wollen. Darin solle gefordert werden, die Anzahl der medizinischen Studienplätze massiv zu erhöhen, um der demografischen Entwicklung entgegenwirken zu können. Zugleich sollten angehende Mediziner im Praktischen Jahr wieder verstärkt in ländliche Regionen geführt werden, um den „Klebeeffekt“ zu stärken. Momentan würden Nachwuchs-Mediziner häufig an den Uni-Kliniken verbleiben und so das „Ländliche“ gar nicht erst kennenlernen.

 

Die Diskussion wird auf jeden Fall weitergehen. Spannend in diesem Zusammenhang wird das Ergebnis eines bereits in Auftrag gegebenen Gutachtens im Rahmen der Regionale 2025 mit dem Titel „Analyse und Konzept zur Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung im Bergischen Rheinland“ sein. Dieses erwartet Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach im Herbst.

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