GUMMERSBACH
Das große Abschiedsinterview: „Beim Laufen bin ich ein anderer Mensch“
Gummersbach - Im zweiten Teil des OA-Gesprächs verrät Bürgermeister Frank Helmenstein, warum der 1. November für ihn eine klare Zäsur wird, was er seinem Vater versprochen hat und worauf er sich künftig freut.
Von Peter Notbohm
Nachdem Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein im ersten Teil des großen OA-Abschiedsinterviews vor allem auf die politischen Errungenschaften seiner 21-jährigen Amtszeit zurückgeblickt hat, äußert er sich im zweiten Teil zu seinen Zukunftsplänen, den Umgang mit der AfD und den Kreishausanbau. Zudem spricht er über familiäre Entbehrungen und wie er sein Leben in den vergangenen Monaten radikal umgestellt hat.
OA: Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten kommunalpolitischen Herausforderungen für die Stadt, die durch Ihren Nachfolger und sein Team zu bewältigen sind? Werden sich diese gänzlich von Ihrer Amtszeit unterscheiden?
Helmenstein: Es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Unabhängig davon habe ich mir in meiner Amtszeit aber immer den meisten Druck selbst gemacht. Ich habe jeden Tag versucht, die maximale Performance zu liefern, das steckt in meiner DNA. Eine der Hauptherausforderungen wird natürlich das Thema Geld bleiben. Aber da haben wir mit dem neuen Bürgermeister einen Meister seines Fachs und wir haben mit Jürgen Hefner einen Meister seines Fachs an seiner Seite, was das Thema Städtebau und Stadtentwicklung angeht. Eine wichtige Entscheidung wird, sich einen dritten Mann oder eine dritte Frau in den Verwaltungsvorstand zu holen, denn die Aufgaben werden ja nicht weniger.
OA: Steht Ihre Türe für ihren Nachfolger und sein Team ab dem 1. November eigentlich weiter offen oder werden sie einen klaren Schlussstrich ziehen?
Helmenstein: Ich habe von Johannes Rau gelernt, dass auch Ratschläge Schläge sind. Deswegen wird es von mir keine Ratschläge geben. Vor allen Dingen, weil die beiden Herren, die die Geschicke unserer Stadt demnächst im Team mit Rat, Verwaltung und Bürgerschaft bestimmen, das auch nicht benötigen. Das Thema Kommunalpolitik endet für mich hier in Gummersbach am 31. Oktober, das gebietet auch der Respekt gegenüber dem neuen Bürgermeister. Und ich habe meinem Vater, den ich die letzten anderthalb Jahre bis zu seinem Tod neben dem Amt gepflegt habe, versprochen, dass ich ins Leben zurückkehre. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand würde ich mich gerne ehrenamtlich einbringen, weil es meinem Glauben entspricht, dass wenn man gewisse Stärken hat, man auch verpflichtet ist, sich um die zu kümmern, die Unterstützung benötigen.
OA: Als Bürgermeister ist man nicht nur Chef der Verwaltung, sondern auch Vorsitzender des Stadtrats und oberster Repräsentant der Stadt, gleichzeitig aber auch Familienmensch. Wie kriegt man das unter einen Hut? Wie stark leiden darunter Freizeit und Familienleben? Gab es auch Phasen, in denen Sie sich mal gefragt haben, warum Sie sich dieses Amt und den damit verbundenen Arbeitsaufwand antun?
Helmenstein: Wollen Sie eine ehrliche Antwort auf die Frage haben? Ich habe es nicht unter einen Hut gebracht. Und deswegen habe ich wirklich eckig darauf reagiert, als es hieß, der hat seinen Job gemacht und dafür Geld gekriegt. Das ist eine, ich will es mal vorsichtig formulieren, eine Untertreibung dessen, was ich gemacht habe. Mit solchen Sachen kann man mich treffen. Ich habe alle meine Interessen, die ich hatte, und auch die meiner Familie komplett zurückgestellt. Ich kann hier wirklich für mich in Anspruch nehmen, dass ich hier 24/7 für die Stadt da war. Ich bin ein Mensch, der selten mehr als drei Stunden Schlaf hat, das reicht mir aber auch. Es ist ja nicht irgendeine Stadt, wo ich Bürgermeister geworden bin, sondern meine Heimatstadt. Ich habe das für mich als Mission, als Berufung angesehen. Ich habe in meinem Leben nie irgendwas geschenkt bekommen. Mir ist auch nie irgendwas leichtgefallen, sondern ich habe mir immer alles hart erarbeiten müssen.
OA: Zum kommenden Rat gehört auch eine deutlich stärkere AfD. Wie sollte Kommunalpolitik mit der Partei umgehen?
Helmenstein: Da sind wir wieder beim Thema der Ratschläge, die ich nicht geben möchte. Wir sind mit der AfD auch in den vergangenen fünf Jahren umgegangen. Für mich genießt jeder, der in den Rat der Stadt Gummersbach gewählt wurde, Respekt und muss als Ratsvertreter gleichermaßen behandelt werden. Das ändert aber nichts daran, dass wir in vielen Dingen fundamental auseinanderliegen. Für mich darf ein Bürgermeister niemals polarisieren, sondern muss Rat, Verwaltung und Stadtgesellschaft möglichst zusammenführen. Was für mich eine Sternstunde war: Als der Rat einstimmig die Benennung der Sporthalle in Strombach nach Lilly Henoch (Anm.d.Red.: Eine jüdische Sportlerin, die 1942 deportiert und erschossen wurde) beschlossen hat.
OA: Und wie sehen sie das Thema Kreishausanbau? Sie haben bereits gesagt, dass dieses Projekt nicht mehr in die Zeit gepasst hat und haben selbst immer gesagt, dass sie lieber in andere Projekte als ins Rathaus investieren.
Helmenstein: Ich habe schon meinem geschätzten Vorgänger, Bürgermeister Schmitz, gesagt, dass wir uns erst ums Rathaus kümmern werden, wenn wir mit allen Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Sportplätzen durch sind. Mein Stuhl, auf dem ich im Rathaus seit 21 Jahren sitze, stammt noch aus dem historischen Konferenzzimmer der Steinmüller-Geschäftsführung. Das ist auch das Einzige, was ich nach meinem Abschied gerne mitnehmen möchte. Ich will aber auch kein Kreis-Bashing betreiben. Jeder, der mich kennt, weiß um meine Meinung. Meine Philosophie war es nie, als bedeutendstes Hochbauprojekt die Sanierung des Rathauses zu präsentieren.
OA: Sie sind bekennender Fan des VfL Gummersbach. Wie wichtig ist der Verein aus Ihrer Sicht für die Stadt und was wünschen Sie dem Verein?
Helmenstein: Gummersbach ist der VfL und der VfL ist Gummersbach. Der Verein ist unser größter, bedeutendster Botschafter. Das ist ein Schatz um den uns viele beneiden. Auf der Expo Real hatte ich einmal ein Gespräch mit dem ehemaligen Münchener Oberbürgermeister Christian Ude. Der fragte sofort nach Heiner Brand und Hansi Schmidt und war total begeistert, obwohl er selbst einen Weltclub in seiner Stadt hat. Es kann keinen dauerhaften, sportlichen Erfolg geben ohne ein gesundes wirtschaftliches Fundament. Wobei ich durch den Abstieg da maximal demütig geworden bin. Unter der Ägide von Christoph Schindler ist kaufmännisch und sportlich unendlich viel gutgelaufen. Mein Wunsch wäre, dass wir die jetzige Mannschaft mal für fünf Jahren zusammenhalten können. Wir profitieren als Stadt ja auch unendlich viel vom VfL.
OA: Beim VfL ist die Stimmung ja häufig eher emotional. Wobei können Sie eigentlich gut abschalten und entspannen?
Helmenstein: Definitiv beim Laufen. Wenn ich mit Läuferinnen und Läufern bei der LG Gummersbach bin, dann bin ich ein anderer Mensch. Da bin ich einfach der Frank. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass ich mittlerweile wieder in der Lage bin zu laufen. Mit der Natur eins zu sein, ein bisschen Musik zu hören und dabei über Gott und die Welt nachzudenken. Man geht mit Problemen in einen Lauf rein und kommt mit Herausforderungen wieder heraus. Oder wie ich es lieber sage: Sie gehen mit Herausforderungen in den Lauf rein und kommen mit Lösungen heraus.
OA: Was auffällt: Sie haben in den vergangenen Monaten enorm an Gewicht verloren und sehen so gut wie lange nicht aus. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis, wie viel haben Sie verloren und was hat Sie angetrieben?
Helmenstein: Hinter mir liegt ein privat sehr herausforderndes Jahr. Dann kommt ein gewisser Impuls dazu, dass man 60 wird. Es war aber einfach so, dass ich mich in meinem Körper unwohl gefühlt habe, einfach, weil ich heillos übergewichtig war. Das hat mir irgendwann auch ein sehr guter Freund gesagt und es damit auf den Punkt gebracht. Die Umstellung ist mir unendlich schwergefallen, weil ich ein riesengroßer Fan von Süßigkeiten bin. Mein Gemüse war die Schokolade, auch weil der Stress unglaublich hoch war. Der Verzicht war der Gamechanger neben der Bewegung. Von Zucker und Süßigkeiten bin ich maximal weg. Inzwischen sind es 39 Kilogramm.
OA: Mit 60 Jahren sehen Sie sich selbst noch nicht im Ruhestand. Aus Ihrer Kandidatur für das Landratsamt wurde nichts. Wo wird man Frank Helmenstein beruflich als nächstes sehen?
Helmenstein: Ewas, was mir Freude bereitet und wo ich meine sehr große Verwaltungserfahrung einbringen kann. Ich bin über 30 Jahre im öffentlichen Dienst und habe in bestimmten Dingen eine ausgesprochene Expertise, etwa bei der Begleitung von Transformationsprozessen und Stadtumbauprozessen. Ich kommuniziere gerne mit Menschen, auch in schwierigen, herausfordernden Situationen. Ich bin Beamtenkind. Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde, das ist nicht meine Welt. Vielleicht arbeite ich in einer anderen Konstellation: Nicht mehr in der Kommunalverwaltung, sondern im Landes- oder Bundesdienst. Möglich wäre aber auch die freie Wirtschaft oder als Berater im anwaltlichen Bereich. Konkret ist das aber noch nicht, ich befinde mich noch in der Findungsphase.
OA: Und wofür wird der Privatmensch Frank Helmenstein sich ab 1. November mehr Zeit nehmen?
Helmenstein: Das ist eine gute Frage. Ich bin viel mit meinem Enkel unterwegs. Das ist etwas, was mir sehr viel Freude bereitet. Aber ich freue mich auch darauf, mehr Zeit für gute Freunde zu haben, was aufgrund der Terminlage bei mir immer schwierig war. Ich freue mich schon auf die Doppelkopf-Runden und dass ich es am nächsten Tag mal ruhig angehen lassen kann. Das ist etwas, was ich lernen muss. Mal sehen, was das Leben noch so bereithält. Ich bin auch ein Mensch, der sehr gerne viel liest und äußerst interessiert an allem ist, was mit Geschichte und Politik zu tun hat.
OA: Als Schlussfrage: Welche vier Musikstücke haben Sie für den großen Zapfenstreich am kommenden Freitag ausgewählt?
Helmenstein: Mit meinem laienhaften musikalischen Verstand habe ich mir die Beatles mit „She loves you“, mein Lieblingslied von Udo Jürgens „Immer wieder geht die Sonne auf“, aus meiner Jugend „Uptown Girl“ von Billy Joel und zum Nachtisch den Gummersbacher Schützenmarsch gewünscht. Inzwischen musste ich aber feststellen, dass die Lieder auch bläserkompatibel sein müssen. Daher wird es von den Beatles etwas anderes geben.
OA: Vielen Dank für das Gespräch.
KOMMENTARE
1
Interessantes Interview! Ich wünsche Herrn Helmenstein alles Gute für die Zeit nach seinem Bürgermeisteramt! Ich stimmte in vielem nicht mit ihm überein, aber er hat auch viel Gutes für unsere Stadt erreicht! Abgesehen davon, möchte ich anmerken, dass man eine faschistische und rechtsextreme Partei nicht so betrachten sollte, wie jede andere Partei. Ich weiß nicht, ob im Stadtrat Neonazis sitzen, aber diese Menschen sind dennoch Mitglied einer gesichert rechtsextremen Partei. Wir alle wissen, wie sich führende Parteimitglieder en masse in der Vergangenheit geäußert haben. Mitglieder einer antidemokratischen Partei dürfen im Stadtrat einer Demokratie niemals toleriert werden!
Christian, 30.10.2025, 10:57 Uhr2
Ein, wie Christian schreibt, "interessantes" Interview. Da bin ich d'acord.
Ich freue mich auf einen gemeinsamen Lauf. Der steht ja noch aus, oder ....Frank -:)) Herzliche Grüße auch ohne Süße -: Jens Klein / JensLäufe
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