BLAULICHT

Versuchter Totschlag: Aus Elefanten-Verfahren wird im Urteil eine Maus

Red; 16.04.2024, 15:00 Uhr
Foto: Oberberg-Aktuell ---- Mit zwei Geldstrafen endete der Prozess um eine Messerstecherei in Gummersbach-Bernberg.
BLAULICHT

Versuchter Totschlag: Aus Elefanten-Verfahren wird im Urteil eine Maus

Red; 16.04.2024, 15:00 Uhr
Gummersbach/Köln – Der Prozess um eine Messerstecherei am ‚Bernis‘ im vergangenen Jahr endet mit zwei Geldstrafen – Verteidigung kritisiert Ermittlungen der Staatsanwaltschaft als „Schrott“ – Richter spricht von „Akt der Selbstjustiz“ und spricht von erheblicher Mitschuld des kampfsporterfahrenen Opfers.

Mit Geldstrafen in Höhe von 900 und 1.200 Euro ist am Dienstag der Prozess um eine Messerstecherei am ‚Bernis‘ in Gummersbach-Bernberg am 14. August des vergangenen Jahres (OA berichtete) zu Ende gegangen. Damals wurde ein 25-jähriger Gummersbacher durch fünf Stiche in den Rücken und die Oberschenkel schwer verletzt. Er trat während des Verfahrens als Nebenkläger auf.

 

Ein Jugendschöffengericht der 4. Großen Strafkammer um den Vorsitzenden Ansgar Meimberg am Landgericht Köln verurteilte Levent N. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert) wegen Nötigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätze zu je 10 Euro. Cem B. (28) wurde wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt.

 

Das Verfahren wegen versuchten Totschlags gegen die beiden Männer sowie die beiden ehemaligen Angeklagten Fatih L. (20) und Deniz T. (19) war bereits am vorletzten Prozesstag eingestellt worden (OA berichtete). Die Staatsanwaltschaft hatte Strafen in Höhe von 900 Euro und 2.400 Euro gefordert.

 

Die Verteidigung hatte auf ein Absehen von einer Strafe bzw. auf Freispruch plädiert. Die beiden Rechtsanwälte nutzten ihre Plädoyers zu einer Abrechnung mit der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft. Verteidigerin Iris Stuff sprach von einem Verfahren, das als Elefant begonnen habe und nun als Maus ende. Rechtsanwalt Frank Hatlé, der den Nebenkläger als aggressiven und gewaltbereiten Kampfsportler bezeichnete, der viel Wert auf seine Ehre lege, wurde noch drastischer: „So viel Schrott wie in dieser Anklage habe ich selten gelesen. Die Aussagen des Nebenklägers waren erbärmlich und offensichtlich erlogen.“

 

Beide kritisierten, dass ihre Mandanten vollkommen zu Unrecht in U-Haft gesessen hätten. „Das ist nur passiert, weil sich die Staatsanwaltschaft geweigert hat, den richtigen Sachverhalt dem Beschwerdegericht vorzutragen“, so Hatlé. Das Gummersbacher Amtsgericht hatte damals zunächst keine U-Haft angeordnet, dies war erst durch die Beschwerdeinstanz auf Intervention der Kölner Staatsanwaltschaft geschehen.

 

Aus Sicht der Verteidiger gehörte vielmehr der afghanische Nebenkläger auf die Anklagebank, da er mit seinen Lügen, „denen die Justiz aufgesessen ist“, lange U-Haftstrafen verursacht habe. Stuff kritisierte, dass die Staatsanwaltschaft zu einem möglichen Verfahren wegen unmittelbarer Freiheitsberaubung keine Akteneinsicht zulasse.

 

Das Gericht sah es letztlich als erwiesen an, dass es in der Nacht vom 10. auf 11. August einen ersten Streit auf dem Parkplatz der McDonalds-Filiale in Niederseßmar gegeben hatte. Hier hatte Deniz T. nach dem Instagram-Namen einer Angestellten gefragt, die die Freundin des späteren Opfers war. Nachdem sich der Gummersbacher eingemischt hatte, sei es zu wechselseitigen Beleidigungen gekommen, wodurch sich die vier Männer aus Sicht der Richter provoziert gefühlt hätten.

 

Levent N. habe daraufhin angeordnet, den 25-Jährigen ins Auto zu drängen, um die Situation an anderer Stelle zu klären. Erst nach etwa einer Minute habe der Mann das Auto wieder verlassen können, was die Richter als Nötigung werteten. Meimberg sprach in diesem Zusammenhang von einem „Akt der Selbstjustiz“, den man so nicht stehen lassen könne.

 

Auch an der Messerstecherei wenige Tage später gaben die Richter dem Nebenkläger eine erhebliche Mitschuld. Am Bernis habe er die vier Männer zu einer Schlägerei aufgefordert, in die alle Beteiligten auch eingewilligt hätten. Den unvermittelten Schlag von Cem B., werteten die Richter hingegen als „Schlag vor dem Anpfiff“. Hierbei handelte es sich laut Meimberg um ein „Augenblicksversagen“, da der Nebenkläger zuvor einen Schraubenzieher gezogen habe - wohl um ihn abzulegen.

 

Dass Cem B. in der daraus entstehenden Keilerei durch eine Kampftechnik bewusstlos gewürgt worden war, werteten die Juristen als lebensgefährliche Behandlung, die eine Notwehrlage erzeugt habe, wodurch die Messerstiche und Tritte gerechtfertigt gewesen seien und das Verfahren wegen versuchten Totschlags gegen alle vier Angeklagten letztlich eingestellt worden war. Ungewöhnlich war auch der Kostenentscheid: Levent N. muss für die erlittene U-Haft entschädigt werden, zudem müssen die Auslagen, die die Angeklagten bzgl. des Vorwurfs des versuchten Totschlags hatten, durch die Staatskasse getragen werden.

 

Klare Worte fand Meimberg auch in Richtung des 25-jährigen Afghanen und dessen Freunden, die im Prozess ebenfalls ausgesagt hatten. „Diese Aussagen waren alle unbrauchbar. Allein vom Nebenkläger gab es während der Ermittlungen und des Verfahrens sechs verschiedene Versionen des Geschehens.“ (OA berichtete) Das Gericht hoffe nun, dass Frieden einkehren kann: „Ich weiß allerdings nicht, ob wir dazu beitragen konnten. Wir können nur an alle Beteiligten appellieren, die Füße still zu halten und den inneren Frieden zu finden.“

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