BLAULICHT
Wende im Prozess: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht
Gummersbach/Köln – Im Prozess um einen versuchten Totschlag am Bernberg könnte nach der Vernehmung des Geschädigten und mehrerer Zeugen einer der Angeklagten noch vor Ostern aus der U-Haft entlassen werden - Richter sehen Glaubwürdigkeitsproblem beim Opfer.
Mehrere Stunden nahm sich das Jugendschöffengericht der 4. Großen Strafkammer am Landgericht Köln am zweiten Prozesstag Zeit, um den Geschädigten im Prozess um einen versuchten Totschlag in Gummersbach-Bernberg zu vernehmen. Am Ende des Tages stand fest: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.
Noch bevor der Vorsitzende Richter Ansgar Meimberg Fragen der Verteidigung zuließ, schickte er den 25-jährigen Gummersbacher aus dem Gerichtssaal und informierte die Anwesenden, dass die Kammer, die Aussagen des als Nebenkläger auftretenden Geschädigten für nicht belastbar halte, um darauf ein Urteil zu stützen.
Für Levent N. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert), einer der vier Angeklagten, könnte das bedeuten, dass er noch vor Ostern aus der U-Haft entlassen wird, da es nach einer weiteren Zeugenaussage derzeit Zweifel gibt, ob der 26-Jährige wirklich an den Messerstichen, Tritten und Schlägen direkt beteiligt war. Seine Verteidigerin Iris Stuff informierte das Gericht, einen entsprechenden Antrag zu stellen, da ihr Mandant laut einem 29-jährigen Zufallszeugen der Tat, der seinen Sohn aus dem ansässigen Kindergarten abholen wollte, wohl eher abseits stand und Flip-Flops getragen habe.
Dabei hatte das 25-jährige Opfer, das obwohl es deutsch spricht, sämtliche Aussagen in seiner Muttersprache Farsi machen sollte, Levent N. eigentlich schwer beschuldigt und ihn als Rädelsführer der beinahe tödlichen Attacke am 14. August des vergangenen Jahres am Parkplatz 'Bernis' bezeichnet. „Er nannte mich einen H**ensohn und sagte, dass er der Vater von Gummersbach und aller Afghanen sei und machen könne, was er wolle. Hinter ihm würden 20 bis 25 Leute stehen.“
Zudem sei Levent N. es auch gewesen, der die drei Messer aus einem Auto geholt habe, mit denen drei der vier Angeklagten letztlich fünfmal auf ihn eingestochen haben sollen. Er sei auch derjenige gewesen, der letztlich gerufen habe „Fertig Jungs, der stirbt sowieso“. Am ersten Prozesstag (OA berichtete) hatte der 19-jährige Mitangeklagte Deniz T. noch sämtlich Messerstiche auf sich genommen.
Der Geschädigte lag damals zwei Tage auf der Intensivstation und insgesamt einen Monat im Krankenhaus. Ärzte sollen seine Überlebenswahrscheinlichkeit anfangs nur auf fünf Prozent beziffert haben. Noch heute habe er oft Kopfschmerzen und Schmerzen an den Einstichwunden. Er nehme dauerhaft Schmerzmittel und könne kaum schlafen. „Ich bin nur noch die Hälfte eines Menschen.“ Dazu fühle er sich verfolgt: „Freunde der Angeklagten tauchen bei mir auf Arbeit auf, lachen mich aus und schauen mich an, als ob ich ihnen etwas schulde.“
Erschüttert wurde die Glaubwürdigkeit des Opfers vor allem durch seine vielen unterschiedlichen Versionen, die er im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen gemacht hatte. Gab er dort anfangs an, auf einem Lidl-Parkplatz auf dem Weg zur Arbeit überfallen worden zu sein, änderte sich diese Version erst später zum eigentlichen Tatort. Zudem machte der 25-Jährige immer wieder unterschiedliche Angaben zu seinen Begleitern.
Seine Erklärung: Er habe die Namen seiner beiden Bekannten schützen wollen, da diese ihn darum gebeten hätten und er Angst gehabt habe, dass ihnen ähnliches widerfahren werde. Eigentlich habe er im Krankenhaus den Plan gehabt, aus Gummersbach zu flüchten. „Heute vor Gericht sage ich die Wahrheit, ich stand damals sehr unter Druck und dachte, sie würden meinen Freunden dasselbe antun“, sagte der Angeklagte wiederholt auf Nachfrage der Kammer. Wirklich glauben wollte ihm der Vorsitzende die Gründe für die Lügen bei der Polizei nicht.
Zu den Gründen für den Streit sagte das Opfer, dass einer der vier Angeklagten drei Tage vor der Messerstecherei seine Freundin angebaggert, ausgelacht und belästigt hätte. Er habe das klären wollen, sei von der sieben bis achtköpfigen Gruppe aber nur weiter provoziert worden. Auf dem Parkplatz des McDonalds in Niederseßmar sei er von ihnen in ein Auto gedrückt worden, zudem habe einer gerufen „deine Leiche wird niemand finden“. Auf Intervention der Schichtleiterin der Fastfood-Kette sei die Situation aber nicht eskaliert und er aus dem Auto wieder freigelassen worden. Dafür drei Tage später, als man am Bernberg die Sache endgültig habe klären wollen.
Auch die Schichtleiterin machte vor Gericht ausführliche Angaben zu dem Vorfall auf dem McDonalds-Parkplatz. Die 34-jährige Gummersbacherin beschrieb die Situation als „Kindergarten, aber bei uns Südländern weiß man, welche Punkte man drücken muss, damit es eskaliert. Das ist erstens die Kultur und zweitens die Freundin.“
Die 20-jährige Freundin des Geschädigten, mit dem sie seit Anfang des vergangenen Jahres zusammen sei, sagte aus, dass sie verängstigt von der Gruppe junger Männer gewesen und im Rahmen der späteren Auseinandersetzung an die Brust gefasst worden und zu Boden gestoßen worden sei. Von ihrem Freund habe sie nie erfahren, was drei Tage später auf dem Parkplatz am Bernberg vorgefallen ist.
Auch ihre Aussage ließ den Geschädigten teilweise in keinem guten Licht dastehen. Der hatte angegeben, dass er den Schraubenzieher, den er bei der Messerstecherei dabei gehabt haben soll, nur zufällig in der Tasche hatte, weil er seiner Freundin zuvor einen Schminktisch zusammengebaut habe. Sie sagte allerdings aus, dass es keine solchen Arbeiten gegeben habe.
Der Prozess wird fortgesetzt.
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