BLAULICHT

Sexueller Missbrauch in 15 Fällen: Opfer mit Geschenken und Alkohol gefügig gemacht

pn; 10.11.2023, 13:30 Uhr
Foto: Peter Notbohm ---- Seit heute muss sich ein 56-Jähriger (hier mit seinem Verteidiger Dr. Peter-René Gülpen) wegen sexuellen Missbrauchs am Bonner Landgericht verantworten.
BLAULICHT

Sexueller Missbrauch in 15 Fällen: Opfer mit Geschenken und Alkohol gefügig gemacht

pn; 10.11.2023, 13:30 Uhr
Morsbach/Bonn - Zum Prozessstart wird die Öffentlichkeit für die Dauer der Aussage des Angeklagten ausgeschlossen - Dieser legte ein Geständnis ab, um den Opfern die Aussagen zu ersparen.

Von Peter Notbohm

 

Eingepackt in eine dicke Jacke, das Gesicht unter einer Mütze und hinter einer Corona-Maske versteckt nahm Martin B. (Anm.d.Red.: Name geändert) am Freitag auf der Anklagebank des Bonner Landgerichts Platz. Der 56-Jährige unternahm alles, damit die Fernsehkameras und die Fotografen nichts von seiner kräftigen Statur und seinem schütteren Haar aufnehmen konnten. Fast 20 Minuten hielt der Mann, der mittlerweile nicht mehr im Oberbergischen lebt, zusätzlich eine Gerichtsakte vor sein Gesicht, ehe die 8. Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Dr. Volker Kunkel das Verfahren gegen den früheren Lehrer eröffnete.

 

Nach der Verlesung der Anklage wurde die Öffentlichkeit von der Kammer für die Dauer der Aussage des Angeklagten ausgeschlossen. Sein Verteidiger Dr. Peter-René Gülpen deutete in seinem Antrag an, dass sein Mandant sich geständig einlassen wird, da man den Opfern eine Aussage ersparen wolle. Eine öffentliche Vernehmung würde allerdings die schutzwürdigen Interessen des Angeklagten und der Geschädigten betreffen, da es sich um den privaten Bereich der Sexualsphäre handle: „All das geht die Öffentlichkeit nichts an.“ Sollte er sich geständig einlassen, könnte das den Prozess, für den bislang sechs Verhandlungstage angesetzt sind, erheblich verkürzen.

 

Die Vorwürfe sind enorm: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm sexuellen Missbrauch von drei minderjährigen Schülern zwischen dem 1. Juni 2006 und dem 29. Juni 2021 in 15 Fällen vor (OA berichtete). In dieser Zeit soll er die Jungen, die bei Beginn der Taten elf bzw. 13 Jahre alt gewesen sein sollen, mehrfach zu sexuellen Handlungen gezwungen, mit ihnen beischlafartige Praktiken vollzogen haben und mehrfach jugendpornografische Fotos angefertigt haben.

 

Besonders perfide: Dabei nutzte er das besondere Vertrauensverhältnis, das zu den Jugendlichen, die heute 31, 30 und 18 Jahre alt sind, durch seinen Beruf als Lehrer an der Schule auf dem Morsbacher Gemeindegebiet bzw. als Fußballtrainer bestand. Als gewählter Vertrauenslehrer soll er dafür zuständig gewesen sein, die Schüler speziell zu beobachten: bei Konflikten zu intervenieren und einzelne Schüler auch außerhalb des Unterrichts zu unterstützen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Martin B. über den Zugriff auf die Schülerakten, seine späteren Opfer identifizierte. Ab 2006 soll er auch freiwillig Zusatzdienste übernommen haben. So soll er unter anderem erfahren haben, dass zwei der Jungen bereits in ihrer Kindheit Opfer sexueller Übergriffe geworden waren. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde Martin B. suspendiert und gekündigt.

 

Seine mutmaßlichen Opfer soll er über Lügen, Geld, Geschenke und Alkohol gefügig gemacht haben. Den fußballbegeisterten Jungen soll er zur Zeit der WM 2006 Trikots von Bernd Schneider und Lukas Podolski versprochen haben. Einem der Jungen soll er zudem erzählt haben, dass er die Nacktfotos von ihm dringend für einen pädophilen Nachbarn benötige, damit dieser seine Neigungen ‚nur‘ an Fotos auslebe. Die sexuellen Grenzen zu den Minderjährigen sollen auf diese Weise immer weiter verschoben worden sein. An einem der mutmaßlichen Opfer soll er das Interesse verloren haben, nachdem es älter wurde. Das könnte darauf hinweisen, dass es sich um eine krankhafte Neigung bei dem Angeklagten handelt. Ein Gutachter ist dem Prozess beigeordnet, zudem tritt eines der Opfer als Nebenkläger auf.

 

Bei einer Hausdurchsuchung am 29. Juni 2021 wurden von der Polizei bei Martin B. unzählige jugendpornografische Fotos und Videos gefunden. Diese sollen unter anderem unbemerkt über Wetteinsätze bei Trinkspielen entstanden sein. Zusätzlich soll er als Fußballtrainer seine Spieler nackt unter der Dusche abgelichtet haben. Nach OA-Informationen war der 56-Jährige bei mehreren Vereinen innerhalb und außerhalb des Kreises als Trainer aktiv.

 

Die betroffene Schule lässt sich durch Kölner Juristen Dr. Jörn Claßen vertreten. Auf OA-Nachfrage sagte er, dass die Schule der Angelegenheit höchste Priorität einräume und, seit sie von den Vorwürfen erfahren habe, „alles ihr Mögliche zur Aufklärung“ tue. Man habe damals unverzüglich die zuständige Fach- und Dienstaufsichtsbehörde, das Jugendamt, eine spezialisierte Fachberatungsstelle sowie die Polizei eingeschaltet. „Die Schule wird auch weiterhin alles tun, um die Vorgänge aufzuklären“, so Claßen.

 

Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

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