BLAULICHT

Falsche Polizisten: Dreieinhalb Jahre Haft für Angeklagten

lw; 19.11.2021, 18:05 Uhr
BLAULICHT

Falsche Polizisten: Dreieinhalb Jahre Haft für Angeklagten

lw; 19.11.2021, 18:05 Uhr
Gummersbach – Schöffengericht sieht Schuld als erwiesen an – Zwei Schwestern mehrere Male betrogen und um viel Geld erleichtert – Beschuldigter war der Abholer.

Von Lars Weber

 

Es soll ein Urteil sein, das abschreckend wirkt. Ein Urteil, dass anderen ein mahnendes Beispiel sein sollte dafür, was passiert, wenn man bei einer fast durchanonymisierten Tat doch gefasst wird – auch wenn man nur ein Glied in einer langen kriminellen Kette ist. Auch deshalb ist das Urteil heute am Amtsgericht Gummersbach hart ausgefallen, wie die Staatsanwaltschaft im Plädoyer und auch der vorsitzende Richter des Schöffengerichts Ulrich Neef bei der Urteilsbegründung klar machte. Sie sahen es nach der abgeschlossenen Beweisaufnahme am zweiten Prozesstag (Hier geht's zum Bericht über den ersten Tag) als erwiesen an, dass Tarek R. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert) sich des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Amtsanmaßung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gemacht hatte. Das Gericht verurteilte den 26-Jährigen zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis. Außerdem soll er die Schadenssumme über 72.000 Euro zurückzahlen.

 

Das war passiert

 

Die vorgeworfenen Taten ereigneten sich zwischen dem 12. und 15. Oktober im vergangenen Jahr. An jedem dieser Tage hatte es eine mutmaßlich in der Türkei und in Deutschland angesiedelte Bande auf ein Geschwisterpaar aus Gummersbach, 78 und 87 Jahre alt, abgesehen. Stets rief ein Unbekannter an, der sich als Hauptkommissar Krüger ausgab, setzte die Schwestern unter Druck und es gelang dreimal, die Geschädigten zu erleichtern – erst um Schmuck im Wert von 30.000 Euro, dann um insgesamt etwa 42.000 Euro, die sie bei der Bank holten. Dort riefen aufmerksame Mitarbeiter schließlich die Polizei, die gemeinsam mit den Schwestern eine Falle stellte, als die Unbekannten zum vierten Mal Beute machen wollten.

 

Dabei wurde Tarek R. festgenommen, als er als Mittelsmann das Geld bei den Schwestern abholen sollte. Der Fahrer des Wagens, mit dem Tarek R. kam, wurde ebenfalls festgenommen, das Verfahren ist aber bereits eingestellt, da ihm keine Straftat nachgewiesen werden konnte. Auch vor Gericht erschien dieser heute nicht. Er machte von seinem Recht Gebrauch, auf eine Aussage zu verzichten. Der 26-jährige Aachener Tarek R. hatte am ersten Prozesstag über seinen Anwalt angegeben, bei seinem Dealer Schulden gehabt zu haben. Dieser habe ihn dazu veranlasst, ihm „einen Gefallen“ zu tun und Papiere bei einer Tante abzuholen. Mit anderen Worten: Der Angeklagte sei unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Mitmachen gebracht worden. Und auch nur beim letzten Betrugsversuch, bei dem er festgenommen wurde.

 

Darum ging's am zweiten Prozesstag

 

Nachdem es beim ersten Prozesstag vor allem um die Sicht der Schwestern und des Angeklagten ging, sagten heute noch weitere Polizeibeamte aus und schilderten weitere Details des Polizeieinsatzes. So machten die Beamten beim Observieren der Schwester, als diese in der Bank einen mit Überweisungsträgern gefüllten Umschlag abholte, zwei weitere unbekannte Männer aus. „Sie verhielten sich konspirativ“, sagte ein Beamter. Die Männer hätten Stecker im Ohr gehabt, hätten sich viel umgeschaut und die Bank immer im Blick gehabt. Aufgreifen konnte die Polizei die Verdächtigen aber nicht. Die Männer verschwanden irgendwann in der vollen Fußgängerzone.

 

Sichergestellt hatte die Polizei aber vor einem Jahr beim Zugriff Handys und mehrere Sim-Karten. Bei der Analyse der Geräte und der Nummern seien einige interessante Dinge herausgefunden worden. So kamen die Billig-Handys aus einer Charge, die in einem Geschäft in Hamburg gekauft wurden. Mit den unterschiedlichen Handys und Karten versuchten Täter, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Sie entledigen sich den Beweismitteln meist auch schnell. Durch den schnellen Zugriff sei dies offensichtlich nicht möglich gewesen.

 

Die Gesprächsauswertung zeigte Kontakt zu mehreren wiederkehrenden, vermutlich elektronisch erzeugten Nummern, hinter denen die Polizei die Hintermänner vermutete. Die Gesprächsfolgen ließen zudem darauf schließen, dass der Beschuldigte in Aachen beauftragt wurde, und sich dann einige Zeit später, als er im Oberbergischen angekommen war, wieder gemeldet hat. „Die Abläufe waren Tag für Tag gleich.“ Außerdem sei von einem Handy die Nummer der Ex-Freundin des Angeklagten angerufen worden.

 

Das sagte die Verteidigung

 

Der Verteidigung reichte das alles nicht. Sie sah zu viele Lücken, zu viele Mutmaßungen und Unterstellungen und zu wenig objektive Beweise für eine Schuld des Mandanten. „95 Prozent hier sind reine Spekulation.“ Auch erinnerte die Verteidigung an die Aussage der Schwester, die einzige, die jedes Mal den Abholer gesehen hatte. Der Rechtsanwalt hatte Zweifel, dass sie tatsächlich an allen vier Tagen den 26-Jährigen gesehen hatte. Sie sei sich zwar in der vergangenen Woche sehr sicher gewesen, in der Polizeiakte beschrieb sie den Mann jedoch unter anderem als dunkelblond, während sein Mandant schwarze Haare hat. Auch für die Existenz weiterer beteiligter Männer und damit einer echten Bande gebe es keine Beweise. Tatsächlich sei die Geschichte mit dem Dealer wahr. Die Verteidigung forderte einen Freispruch.

 

Deshalb gab es dieses Urteil

 

Gänzlich anderer Meinung war die Staatsanwaltschaft, die die Anklageschrift in Gänze bestätigt sah. Sie zeichnete ein Bild, wie solche Betrügerbanden arbeiteten. Wie in Callcentern würden von der Türkei aus die deutschen Telefonbücher durchforstet nach alt klingenden Namen. Stößt man auf offene Ohren, wird Vertrauen aufgebaut, eine Bedrohungslage konstruiert. „Eine psychologische Falle“, sagte der Staatsanwalt. Für solche Abläufe benötige man Leute, denen man Vertrauen kann – „nicht einen Junkie“. Die Gefahr sei zu groß, dass dieser mit dem Geld verschwindet. Er schenke der Aussage der Schwester auch deshalb Glauben, weil diese misstrauisch geworden wäre, wenn der Abholer sich immer wieder verändert hätte. Dazu stützt die polizeiliche Telefonanalyse die Zusammenhänge.

 

Richter Ulrich Neef sprach bei der Urteilsbegründung von einem Indizienring. Letztlich habe das Gericht keinen Zweifel an der Schuld von Tarek R. gehabt. Die Lücken, die es bei einigen Stellen gab, müssen nicht zugunsten des Angeklagten geschlossen werden, so gebe es auch der Bundesgerichtshof vor. Schlecht für den 26-Jährigen: Seine Dealergeschichte fand keinen Glauben. „Die ist frei erfundener Quatsch! Warum hätte er Ihnen dafür ein Billig-Handy mitgeben sollen?“ Auch ein Verfahren, bei dem der Angeklagte noch im April Kokain in seiner Hose von den Niederlanden nach Deutschland zu schmuggeln versuchte, hatte nicht zu seiner Glaubwürdigkeit beigetragen. Die Mutter des Angeklagten brach während der Verkündung in Tränen aus und musste den Saal verlassen.

 

Bei der weiteren Erklärung des Strafmaßes wurde Neef nochmals deutlich: „Unsachlich gesprochen: Es ist eine ganz üble Schweinerei, was Sie gemacht haben.“ Die Opfer seien bis heute mitgenommen von der Tat. Da Betrügereien solcher Art, die vor allem auch die Älteren in der Gesellschaft zur Zielscheibe hätten, weiter zunehmen, „müssen die Konsequenzen spürbar“ sein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.    

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