SPORTMIX

„Die internationale Wertegemeinschaft des Sports hat ein Zeichen gesetzt“

pn; 28.03.2022, 11:30 Uhr
Fotos: DBS ---- Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (li.), blickt auf zweieinhalb anstrengende Wochen zurück.
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„Die internationale Wertegemeinschaft des Sports hat ein Zeichen gesetzt“

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pn; 28.03.2022, 11:30 Uhr
Oberberg - Friedhelm Julius Beucher im Gespräch über die Paralympics in China, das deutsche Abschneiden, den russischen Ausschluss und die Frage, warum Olympia und Paralympics nachhaltiger werden müssen.

Es sind zwei Herzen, die in der Brust von Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) schlagen, wenn er auf die Paralympics in China zurückblickt. Da ist zunächst die sportliche Ebene: Hier hat ein im Umbruch befindliches deutsches Team trotz Corona-Pandemie und strenger Hygienemaßnahmen für echte Überraschungen gesorgt und vier Mal Gold, acht Mal Silber und sieben Mal Bronze geholt. „Wir sind mit einem unerwartet großen sportlichen Erfolg zurückgekommen“, ordnet der Bergneustädter Sportfunktionär die Leistungen der 17 deutschen Athleten im Gespräch mit Oberberg-Aktuell ein.

 

Doch es gibt noch eine andere Dimension: Denn nie waren Paralympische Spiele vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges politischer als in diesem Jahr. Beucher war schon immer ein Mann klarer Worte: „Dieser Krieg hat fast alles überschattet und für eine bedrückende Stimmung gesorgt.“ Dabei kritisiert der 75-Jährige auch den Zickzackkurs, den das Internationale Paralympische Komitee (IPC) zunächst anschlug, indem man (bela-)russische Athleten zulassen wollte. „Die internationale Wertegemeinschaft des Sports hat sich aber klar positioniert und ein deutliches Zeichen gesetzt“, war Beucher froh, dass das IPC unter dem Druck der nationalen Paralympischen Komitees noch einlenkte.

 

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Ob es mehr als Symbolpolitik war? „Symbolhandlungen sind in ihren Auswirkungen selten messbar“, antwortet der Bergneustädter auf diese Frage. Er glaubt fest an die Gesellschaft verbindende Wirkung des Sports. Der Ausschluss sei allerdings alternativlos gewesen, schließlich nehme man als Paralympics-Teilnehmer nicht als Privatperson, sondern auch als Vertreter seines Landes teil. „Die Symbolhandlungen werden weitergehen, so wie auch der Krieg weitergeht“, sagt Beucher.

 

 

Wenig verwunderlich, dass sein persönlicher Moment der Spiele mit dem befreundeten ukrainischen Team zusammenhing. Nach der ersten Entscheidung im Wettbewerb der Para Ski Nordisch holte die Ukraine vor zwei deutschen Fahrern die Goldmedaille. Die tränenreiche Freude auf dem Podest ließ auch Beucher emotional werden. „Das sind Medaillen für den Frieden“, drückte er seine Solidarität aus.

 

Kritisch sieht Beucher aber auch den Austragungsort der Spiele: „Es bleibt grundsätzlich dabei, dass in Länder wie China weder Olympische noch Paralympische Spiele gehören – genauso wenig wie eine Fußball-Weltmeisterschaft nach Katar.“ Bei der Vergabe künftiger Spiele müssen aus seiner Sicht auch weiche Wert wie Umweltschutz, Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den festen Katalog für Ausrichterstädte aufgenommen werden. Mit der Vergabe der kommenden Spiele in Paris, Mailand und Los Angeles habe das Internationale Olympische Komitee (IOC) bereits angedeutet, sich vom Gigantismus hin zum klimaverträglichen Sport lösen zu wollen, glaubt er: „Dort ist nicht davon auszugehen, dass es zu solch massiven und brutalen Eingriffen in die Natur wie jetzt in Peking, aber auch schon in Pyeongchang und Sotschi kommen wird.“

 

[Foto: Mika Volkmann / DBS ---- Anna-Lena Forster holte in der Abfahrt nicht nur die erste deutsche Medaille, sondern insgesamt auch zwei Mal Silbe und zwei Mal Gold.]

 

Im Medaillenspiegel belegte das junge deutsche Team mit seinen neun Debütanten den siebten Platz und verteidigte damit Rang eins im ewigen Medaillenspiegel vor Norwegen. Dabei waren mit Anna Schaffelhuber (Karriereende), Andrea Eskau und Clara Klug (beide verletzt) drei Athleten nicht angereist, die bei den Winterspielen in Pyeongchang noch für mehr als die Hälfte aller deutschen Medaillen gesorgt hatten. „Ich gehe sparsam mit dem Wort 'sensationell' um, aber es war schlicht eine Sensation, wie unsere Erststarter auf die Weltelite trafen und keck und unbeeindruckt ihr Rennen abgeliefert haben“, so Beucher, „das ist ein Teil des Faszinosums des Sports.“ Gleich mehrere Weltrekorde purzelten auch bei diesen Spielen.

 

Dass China, ein Land, das bislang nicht für paralympischen Spitzensport bekannt war, erfolgreichste Nation wurde, sorgte nicht nur beim Bergneustädter für Verwunderung. Durch den Gastgeber-Slot musste das Reich der Mitte keine sportliche Qualifikation erbringen, viele Athleten, die zuvor nie in Weltcups oder im Ausland angetreten waren, seien in falschen Klassen eingruppiert worden, sagt er: „Dass man dort nationale Klassifizierungen zugelassen hat, hinterlässt bei einigen Medaillen einen faden Beigeschmack. Es wird eine der Hauptherausforderungen der kommenden Jahre, das System der Klassifizierungen auf den Prüfstand zu stellen. Es muss für ein faires Regelwerk gesorgt werden, sonst läuft man Gefahr, als Schummelei diskreditiert zu werden“, spricht er in diesem Zusammenhang von der Achillesferse des internationalen Parasports.

 

Organisationstechnisch könne man China als Ausrichter dagegen kaum etwas vorwerfen. Innerhalb der zweieinhalb Wochen wurden 550.000 PCR-Tests abgenommen. Nur acht fielen positiv aus. Das Salz in der Suppe, die Zuschauer, fehlte aus seiner Sicht dennoch. Daran hätten auch die wenigen zugelassenen Chinesen, die für Stimmung sorgen sollten, dies aber nur bei ihren Landsleuten getan hätten, nichts geändert. Beuchers größte Belohnung in den anstrengenden Tagen? „Das schöne Gefühl, nach Tokyo 2021 auch jetzt wieder alle Athleten gesund nach Hause gebracht zu haben.“

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