SOZIALES

Große Verunsicherung und drohender finanzieller Kollaps

bv; 26.03.2020, 06:00 Uhr
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Foto: Michael Kleinjung --- Viele Physiotherapie-Praxen kämpfen gerade mit erheblichen Einbußen.
SOZIALES

Große Verunsicherung und drohender finanzieller Kollaps

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bv; 26.03.2020, 06:00 Uhr
Oberberg - Alle Heilmittelerbringer, etwa Physiotherapeuten, müssen gerade mit enormen Einbußen durch die Corona-Krise fertig werden - Fehlerhafte Formulierung in Erlass des Landes sorgt für Unsicherheit bei Patienten - (mit Video).

Von Bernd Vorländer

 

Die Corona-Krise trifft zahlreiche Branchen bis ins Mark. Nicht nur in Oberberg droht insbesondere allen Heilmittel-Erbringern der finanzielle Kollaps, wenn es für sie nicht bald finanzielle Hilfe gibt. Dabei dürfen Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden oder Podologen, Heilpraktiker, Osteopathen und Chiropraktiker auch nach den Verordnungen des Landes Nordrhein-Westfalen weiterarbeiten. "Unsere Arbeit ist ja auch ganz wichtig für alle Schmerzpatienten oder diejenigen, die nach einer Operation dringend physiotherapeutische oder krankengymnastische Unterstützung benötigen", sagt Alexander Huhn, einer der Geschäftsführer des Hauses der Gesundheit mit den beiden Zweigstellen in Waldbröl und Wiehl. Doch die Patienten sind komplett verunsichert. Die Angst vor dem Corona-Virus führt zu einer massenhaften Absage von Terminen in den Praxen. Dabei wird dort mit größtmöglichem Schutz gearbeitet. Einmal-Handschuhe und Mundschutz sollten ebenso Pflicht sein wie die notwendige Desinfektion.

 

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Viele Menschen glauben auch, dass die Praxen aufgrund der verhängten Kontaktverbote geschlossen sind. Das ist aber nicht korrekt. Physiotherapeuten sind systemrelevant, sie gehören ausdrücklich zum Kern der Gesundheitsversorgung wie Krankenhäuser, Ärzte und Apotheker auch. Sie dürfen weiterhin Patienten behandeln. Neben der Ansteckungsangst hat aber die Landesregierung selbst mit ihrem Erlass vom 22. März für überflüssige Verunsicherung bei vielen Patienten gesorgt. So mussten zwar Massagepraxen schließen, was noch nachvollziehbar erschien. Alle therapeutischen Dienstleistungen müssten aber zwingend "durch ärztliches Attest nachgewiesen werden", hieß es in § 7 der Verordnung, die von allen Städten und Kreisen übernommen wurde. Folge war eine Flut von Anrufen bei allen Therapeuten, mit der Frage, ob man sich ein solches Attest nun besorgen müsse. "Jede ärztliche Verordnung ist wie ein Attest anzusehen", sagt dagegen Marcel Baier, Physiotherapeut aus Wiehl.

 

Geholfen ist den Therapeuten damit jedoch nicht. Experten stellen fest, dass die Heilmittelbereiche seit Jahren unter sehr geringen Vergütungssätzen leiden. Ein "Shut down" ist für sie extrem schmerzlich. Über 50 Prozent sei das Patientenaufkommen zurückgegangen, so Thorsten Rinker, Leitender Physiotherapeut beim Ambulanten Therapiezentrum RPP in Gummersbach. Zunächst hätten Mitarbeiter Überstunden und Resturlaube abgebaut, jetzt würden sie verstärkt bei Reha-Maßnahmen im Krankenhaus eingesetzt. Marcel Baier formuliert es noch drastischer: "Es sieht nicht rosig aus. Nach einer gewissen Zeit ist das, was jetzt geschieht, existenzgefährdend." Für Physiotherapeut Dominik Prystaw aus Bergneustadt ist die Unsicherheit am schlimmsten. "Niemand weiß, wohin die Reise geht. Man muss sich in Geduld üben." Allzu lange dürfe der aktuelle Zustand jedoch nicht andauern. "Sonst ist ein großer Schrumpfungsprozess bei den Praxen wirklich nicht unrealistisch." Und das, wo gerade die Angebote aller Heilmittelerbringer von den Patienten sehr wertgeschätzt würden.

 

 

Alexander Huhn verweist noch auf einen anderen Aspekt. Die Rehasport-Gruppen müssten derzeit mit dem Training aussetzen. "Das ist gerade für viele ältere Menschen eine mittlere Katstrophe. Für viele ist das die einzige Möglichkeit, einmal vor die Tür zu kommen." Beim Haus der Gesundheit hat man jetzt einen Rückruf-Service eingerichtet, um den schon fast 40 Patienten gebeten haben. "Diese Menschen sind einsam, sie haben so gut wie niemanden, der sich um sie kümmert. Für sie ist dann sogar ein Telefonat der einzige Kontakt zur Außenwelt", erläutert Huhn.

 

Logopädin Heike Rode ärgert sich über die ungenaue Formulierung in der Verordnung des Landes NRW. Sie habe in der Folge alle Patiententermine abgesagt, um jetzt festzustellen, dass dies völlig unnötig gewesen sei. Jetzt ist die Wiehlerin in ihrem Privatleben auf Rücklagen angewiesen und hofft, bald wieder vor allem Kinder in ihrer Praxis begrüßen zu können. "Die Arbeit fehlt mir sehr."

 

Der Berufsverband für Physiotherapie (ZVK) in NRW hat jedenfalls angemahnt, dass "ein weiterer Rettungsschirm ganz selbstverständlich auch für uns Physiotherapeuten gelten muss". Die Praxen-Betreiber stünden am finanziellen Abgrund, sollten sie keine Hilfe erhalten. Massive Versorgungsprobleme für alle Patienten wären bei Praxis-Schließungen die Folge. Der Verband fordert die Politik zum Handeln auf, erwartet aber auch finanzielle Soforthilfen von der Gesetzlichen Krankenversicherung. "Wenn wir keine Leistung erbringen können, entstehen den Krankenkassen keine Kosten. Ganz im Gegenteil: Sie profitieren finanziell von dieser Situation. Es bringt sie also nicht in finanzielle Schwierigkeiten, den Heilmittelerbringern eine Soforthilfe auszuzahlen, um deren Umsatzeinbußen auszugleichen", so der ZVK in einer Erklärung. Vielen Heilmittelerbringern könne diese Unterstützung die Existenz retten.

 

 

 

 

 

 

KOMMENTARE

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Nun, da es in dieser Krise nicht nur um Physiotherapeuten geht, möchte ich mich als Heilpraktiker auch dazu einmal äußern:

Um dies klar zu stellen folgendes Zitat vom BDH (Bund deutscher Heilpraktiker):
"Nach einer Anfrage beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen erhielten wir die folgende Klarstellung:
„Die Tätigkeiten von Angehörigen der Heilberufe mit Approbation und sonstigen Personen, die zur Ausübung der Heilkunde gem. § 1 Heilpraktikergesetz befugt sind, zählen nicht zu den in § 7 CoronaSchVO geregelten „Dienstleistungen“. Diese Tätigkeiten sind weiterhin zulässig und für die Versorgung der Menschen in der aktuellen Situation unerlässlich."
Vielen Dank und ich hoffe damit Unklarheiten beseitigt zu haben.
Viele Grüße
Harald Brudermanns

Harald Brudermanns, 26.03.2020, 14:49 Uhr
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