SOZIALES

Menschen vereinsamen, Familien werden zum Brennpunkt

bv; 02.02.2021, 06:00 Uhr
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Foto: privat --- Peter Rothausen ist Vorstandvorsitzender der Caritas im Oberbergischen Kreis.
SOZIALES

Menschen vereinsamen, Familien werden zum Brennpunkt

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bv; 02.02.2021, 06:00 Uhr
Oberberg - Die Corona-Pandemie hat auch eine soziale Komponente, viele Hilfsangebote können nur eingeschränkt aufrechterhalten bleiben, sagt Oberbergs Caritas-Chef Peter Rothausen im Interview und fordert auch finanzielle Hilfen für besonders Benachteiligte.

Von Bernd Vorländer


OA: Die Caritas bietet sehr üblicherweise viele Hilfs- und Beratungsangebote an. Was ist während der Corona-Pandemie davon noch übrig geblieben?

Rothausen: Wir kommunizieren mit unseren Kunden auf vielen unterschiedlichen Wegen - vom guten alten Telefon bis zu Video-Gesprächen. Und wir händeln das auch sehr aktiv, rufen etwa gerade viele ältere Mitbürger an. Es gibt auch noch persönliche Termine, etwa bei der Schuldner- oder Suchtberatung, aber dafür müssen wir aufgrund der Hygienebestimmungen einen wesentlich größeren Aufwand als früher betreiben.

 

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OA: Gibt es auch Einschränkungen?

Rothausen: Ja, wir verzichten derzeit auf die offene Sprechstunde und alle persönlichen Termine gehen nur mit Anmeldung. Das Caritas-Kaufhaus ist geschlossen, Kleiderkammern ebenfalls. Das schmerzt uns natürlich und wir versuchen gerade eine Lösung zu finden, wo Menschen sich online bestimmte Kleidungsstücke aussuchen, die sie dann vor Ort lediglich abholen.

 

OA: Was macht diese Pandemie mit den Menschen, die sowieso schon benachteiligt sind?

Rothausen: Die Einsamkeit bei vielen Bürgern ist sehr groß, gerade bei denen, die alleine leben. Man sieht den Unterschied in den Städten. Wo sich früher gerade ältere Menschen zu einem Kaffee und Sozialkontakten getroffen haben, findet das derzeit nicht mehr statt.  

 

OA: Ist Gewalt in den Familien unter dem Eindruck des Lockdowns ein größeres Thema?

Rothausen: Sowohl im ersten wie auch im jetzigen Lockdown konnten wir beobachten, dass die Gewaltschutzberatungsanfragen für den Oberbergischen Kreis deutlich eingebrochen sind. Auch die Polizei verzeichnete viel weniger Einsätze. Aber: Wir glauben, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist. Es melden sich derzeit vermehrt Frauen aus ganz Deutschland, die bei Freunden im Oberbergischen  untergekommen sind und von hier aus Unterstützung brauchen. Die Anfragen zur Aufnahme ins Frauenhaus stiegen deutlich. Im Frauenhaus blieben die Schutzsuchenden länger, da die Corona-Einschränkungen die Wohnungssuche verzögerte.

 

OA: Corona hat also auch eine soziale Komponente, Hilfsangebote fallen weg. Benötigen bestimmte Bevölkerungsgruppen, vor allem Familien, in dieser Situation mehr Geld?

Rothausen: Ja, das wäre sinnvoll. Kinder haben zum einen vor dem Lockdown in vielen Schulen und Kitas ein Mittagessen kostenlos erhalten. Das fällt jetzt weg und muss von Familien bezahlt werden. Zum anderen stehen diese Familien vor erheblichen Herausforderungen, was die Bildungsbetreuung betrifft. Viele Kinder aus bildungsfernen und sozioökonomisch schwachen Familien sind benachteiligt. Es fehlen in den Familien häufig Computer, Laptop, Tablet, Drucker, Internetzugang und Wlan. Nicht jedes Kind verfügt auf Grund der häuslichen Rahmenbedingungen über einen festen Arbeitsplatz. So werden beispielsweise häufig die Aufgaben auf Knien am Wohnzimmertisch erledigt. Aufgrund beengter Wohnverhältnisse können sich die Kinder häufig nicht gut konzentrieren und werden schnell abgelenkt. Aufgaben dauern doppelt so lang wie im schulischen Alltag. Durch beengte Wohnsituationen, kommt es innerhalb des familiären Systems zudem zu Spannungen. Ausweichmöglichkeiten, wie beispielsweise Jugendzentren, fehlen. Kinder mit Migrationshintergrund trifft die Schließung der Einrichtungen besonders stark. Viele sind beim eigenständigen Lernen auf sich alleine gestellt, da die Eltern ihnen keine Hilfestellung geben können.

 

Schule und Kindergarten geben Kindern zudem einen haltgebenden Orientierungsrahmen mit festen Strukturen. Viele Eltern schaffen es nicht, ein Konstrukt innerhalb der Familie zu bilden und die Kinder zu motivieren, ihren Alltag in Corona-Zeiten neu zu gestalten.

 

OA: Gibt es eine Corona-bedingte Zukunftsangst?

Rothausen: In vielen Familien ist eine große Angst vor der Zukunft vorhanden. Firmen mussten Kurzarbeit anmelden und viele Betroffene wissen nicht, wie es in den nächsten Monaten weitergehen soll. Bedingt durch die weniger vorhandenen monetären Mittel kommt es zu Versorgungsengpässen innerhalb der Familien, Raten werden nicht mehr bezahlt und die Familien geraten in eine finanzielle Abwärtsspirale. Auch übertragen die Eltern häufig ihre Ängste auf die Kinder. Viele Eltern wissen nicht, welche anderen Hilfen wie Kindergeldzuschlag, Wohngeld etc. ihnen noch zustehen.

 

OA: Leiden die Kinder besonders?

Rothausen: Vielen Kindern und Jugendlichen fehlt aktuell der soziale Kontakt zu Gleichaltrigen. Skype und ähnliche Kommunikationsformen können die persönliche Begegnung nicht ersetzen. Hobbys finden nicht mehr statt, Vereine, Jugendzentren und ähnliches haben geschlossen. Es fehlen den Kindern Ansprechpartner außerhalb des familiären Bereichs. In den Familien können die sonst stabilisierenden Kontakte, beispielsweise zu den Großeltern, nicht mehr in der gewohnten Form aufrechterhalten werden. Der Wegfall dieser regelmäßigen Kontakte verunsichert die Kinder.

 

 

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