WIEHL

Sorgenvolle Mienen, offene Arme und ein Tiefpunkt

lw; 07.02.2024, 16:42 Uhr
Fotos: Lars Weber --- Im vollen evangelischen Gemeindehaus von Drabenderhöhe informierte die Stadtspitze über die Pläne für ein Flüchtlingsheim in Brächen.
WIEHL

Sorgenvolle Mienen, offene Arme und ein Tiefpunkt

lw; 07.02.2024, 16:42 Uhr
Wiehl – Mehr als 250 Menschen beim Informationsabend zum geplanten Flüchtlingsheim in Brächen – Emotionale Diskussion - BI schreibt an den Bürgermeister (AKTUALISIERT).

Von Lars Weber

 

Eine „sachliche Gesprächsweise“ hat sich der Wiehler Bürgermeister Ulrich Stücker gestern Abend gewünscht, als er im Gemeindehaus in Drabenderhöhe vor mehr als 250 Bürgern aus dem Ort und aus Brächen getreten ist. Thema ist das geplante Flüchtlingsheim für bis zu 35 Menschen in Brächen gewesen (OA berichtete). Der Wunsch des Bürgermeisters wurde in den folgenden rund zwei Stunden größtenteils erfüllt, auch wenn die Sorgen und Befürchtungen der Anwesenden den Abend mitbestimmten. Was den Rathauschef besonders freute: Die ersten Initiativen zur Integrationshilfe der Menschen, die in der zweiten Jahreshälfte kommen sollen. Damit kamen die Bürger einem anderen Wunsch Stückers nach: „Lassen Sie uns nicht aus den Augen verlieren, dass die Menschen ihre Heimat aufgrund von Kriegen und Vertreibung verlassen und sie hier Schutz und Hilfe suchen.“

 

Die Flüchtlingssituation in Wiehl

 

Neben dem Bürgermeister auf dem Podium nahmen der Beigeordnete Peter Madel, Alexandra Noss, stellvertretende Leiterin des Baudezernats, Andreas Zurek, Fachbereichsleiter Hochbau, Andrea Stawinski, Fachbereichsleiterin Soziales, Integrationsmanager Muhamed Toromanovic und Thomas Otte aus dem Gebäudemanagement Platz. Peter Madel referierte zunächst über aktuelle Flüchtlingszahlen für Wiehl. Nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz seien 404 Personen im Stadtgebiet, nach Aufnahmeverpflichtung müsste Wiehl noch 29 weitere Personen aufnehmen. Hinzu kommen 203 Menschen mit Wohnsitzauflage (70 Prozent der Aufnahmeverpflichtung erfüllt) und 14 unbegleitete Minderjährige (90 Prozent erfüllt). Wobei sich sämtliche Zahlen – auch die Aufnahmeverpflichtungen – flexibel veränderten, je nachdem, wie viele Menschen ins Land kommen.

 

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Etwa die Hälfte der Menschen kommen aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und dem Irak. In den städtischen Unterkünften seien etwa 50 Prozent Familien und 50 Prozent Alleinreisende untergebracht, 62 Prozent davon seien Männer. Insgesamt sei die Wohnkapazität aktuell zu 80 Prozent ausgelastet. Die dezentrale Unterbringung in Unterkünften, wie sie auch in Brächen geplant ist, habe sich bewährt, schon allein um die Kinder einigermaßen auf Kitas und Schulen verteilen zu können. „Wir wollen möglichst nicht an die Kapazitätsgrenze gehen“, sagte Andrea Stawinksi. Sie wollten vermeiden, Turnhallen oder Dorfgemeinschaftshäuser zum Zwecke der Flüchtlingsunterbringung nutzen zu müssen. Dies erschwere nicht nur die Integration, sondern biete den Menschen schlicht keine guten Gegebenheiten.

 

Einfluss auf die Zuweisung habe die Stadt nicht. Etwa 14 Tage vor Ankunft der Menschen bekomme die Stadt Bescheid – und hat dann zu reagieren. Viele von ihnen lebten etwa zwei bis drei Jahre in den Unterkünften, bis sie zum Beispiel bestenfalls einen Job haben und sich auch eine eigene Wohnung nehmen können. Menschen ohne Aussicht auf Bleiberecht würden nicht mehr in die Kommunen verteilt.   

 

Die Pläne für Brächen

 

Ende letzten Jahres wurde das Grundstück und das Gebäude, ein ehemaliges Seniorenzentrum, von der Stadt gekauft. 30 bis maximal 35 Menschen sollen dort einziehen. „Dafür ist das Raumkonzept ausgelegt“, so Stawinski. Die Zahl soll sich höchstens in Übergangszeiten zwischen Ein- und Auszügen erhöhen. Die Infrastruktur sei durch die Nähe zu Drabenderhöhe mit Einkaufsmöglichkeiten, Arzt, Kita und Grundschule gegeben. Der Ort ist auch zu Fuß in 20 Minuten zu erreichen.  Dass nicht alles perfekt sein kann, wisse auch die Verwaltung. „In der Flüchtlingsarbeit sind immer vielfältige Lösungsansätze nötig“, so Stawinski. Die Menschen, die in den Einrichtungen wohnen, würden aktiv von Sozialarbeitern und dem Integrationsmanager aufgesucht und betreut.

 

[Zuletzt war in dem Gebäude ein Altenheim, nun sollen Flüchtlinge dort einziehen.]

 

Andreas Zurek berichtete, dass in den nächsten Monaten alle Räume „durchrenoviert“ werden. Die Wohneinheiten bekommen eine kleine Küchenzeile, es müssen Dusch- und WC-Anlagen in ausreichender Form auf die Etagen, zudem braucht das Haus eine neue Heizung. Es wartet viel Arbeit, die auch ihren Preis habe. Mit 600.000 Euro bezifferte Zurek die Kosten, die aus einem Fördertopf des Landes kommen sollen. Einzug der ersten Menschen könnte im September sein, sagte Stawinski.

 

Die Sorgen der Bürger

 

Einige Brächener äußerten Sorge um ihre Sicherheit, Befürchtungen vor Gewalt- und Einbruchsdelikten machten die Runde. Sich dabei von pauschalen Vorverurteilungen zu distanzieren, fiel dabei schwer. Bürgermeister Stücker erzählte, dass es bisher in keiner der Einrichtungen Sicherheitsprobleme gegeben habe. „Der maximale Garant für Sicherheit ist Integration.“ „Schwarze Schafe“ könne es immer mal geben. „Wenn es mal Probleme geben sollte, dass werden wir hart handeln. Wir wollen keine Probleme in Brächen“, so Stücker. In solchen Fällen könne man zum Beispiel mit dem Umzug einzelner eine Veränderung erreichen.

 

Gerade die öffentlichen Verkehrsmittel wurden in der Diskussion immer wieder angesprochen, unter anderem von Dominik Seitz, Vorsitzender des Heimatvereins und Stadtrat. Wenn der Sprachkurs in Gummersbach stattfindet und die Flüchtlinge vielleicht noch ihre Kinder in die Kita bringen müssen, wird es für die Menschen fast unmöglich, den Kurs pünktlich zu erreichen, so ein Beispiel. Eine „Patentlösung“ gibt es für die ÖPNV-Struktur nicht, so Peter Madel. Im Gespräch mit der OVAG versuche die Stadt aber weiter, die Linie 319 Richtung Bielstein zu verbessern. Weiter möchte man sich darum bemühen, dass die Monti-App auch auf Englisch zur Verfügung steht. Gerhard Hermann von der Wiehler Flüchtlingshilfe berichtete, dass es auch schon Ehrenamtliche gab, die Fahrdienste übernommen hätten. Zudem müsse man mit der Stadt über die Nutzung eines Kleinbusses sprechen.

 

Die Unterkünfte für die Menschen seien zu klein und ungeeignet, sagten manche Bürger. Der Norm für solche Unterkünfte werden alle Wohneinheiten entsprechen, so die Stadt. Angesichts von sehr begrenztem Wohnraum könne nicht jeder Person eine eigene Wohnung angeboten werden. Im Brächener Flüchtlingsheim soll es möglich sein, einzelne Bereiche auch für Familien abzutrennen. Gerhard Hermann berichtete aus seiner Erfahrung, dass die Menschen im Normalfall dankbar und zufrieden mit der Unterbringung in Wiehl seien. Gerade zu Unterkünften in Großstädten gebe es einen beachtlichen Unterschied. Bürgermeister Stücker (Foto) erinnerte daran, dass anderorts schon wieder Turnhallen aktiviert werden mussten. „Dort müssen die Menschen über- und untereinander liegen, das ist keine ausreichende Unterbringung.“

 

Eine Bürgerin, direkte Nachbarin zum geplanten Flüchtlingsheim, machte sich Gedanken über möglichen Lärm oder auch Müll, gerade, wenn Jugendliche einziehen. Sie lud Bürgermeister Stücker zu sich ein, der das Angebot zum Kaffee gerne annahm.

 

Der Tiefpunkt des Abends

 

Während der Fragerunde erreicht das Mikrofon einen Mann, der sich bereits an der Treppe hoch zum Podium positioniert hatte. Als er das Mikrofon hatte, enterte er die Bühne und setzte zu einer Rede an. Er sprach von „Abfällen der Migration“, von seiner Enttäuschung den Ratsmitgliedern gegenüber. Er verhaspelte sich allerdings schnell in seinen Beschimpfungen, je unruhiger der Saal wurde, und verstummte, bevor man ihm das Mikro hätte wegnehmen müssen. „Nicht in dem Ton“, ermahnte Ulrich Stücker anschließend. „Emotionen sind ok, aber wir wollen bitte weiter vernünftig diskutieren.“ Es blieb bei diesem Vorfall.

 

Die Hilfsangebote der Bürger

 

Nicht jedem gefallen die Pläne der Stadt, das wurde klar. „Bei manchem werden auch Zweifel bleiben, egal, wie lange wir hier reden“, so Bürgermeister Stücker. Doch trotz der Sorgen wurden noch während des Abends einige Ideen und Vorschläge in den Raum geworfen, um die Integration der Menschen zu erleichtern – teils sogar von Bürgern, die Momente zuvor selbst noch Kritik geübt hatten.

 

 

Eine integrative Basketballtruppe könnte wiederbelebt  werden, Abmachungen und Werbung für Sprachangebote unter dem Dach der Freien evangelischen Gemeinde in Drabenderhöhe gab es, ein Bürger aus Merkausen berichtete von erfolgreichen Integrationsabenden, an denen man sich gegenseitig bekocht habe. „Es gibt viele Wege des Aufeinander Zugehens“, sagten mehrere Redner. „Man muss sie nur nutzen.“ Man solle keine Angst haben, sondern offen auf die Menschen zugehen, so könne ein gutes Miteinander entstehen.

 

So geht’s weiter

 

Es soll nicht das letzte Mal gewesen sein, dass man zusammenkommt. Zum einen kündigte Bürgermeister Stücker einen weiteren Informationsabend in der zweiten Jahreshälfte an. Auf Anregung eines Bürgers soll aber auch über einen Tag der offenen Tür in der Unterkunft geredet werden, bevor die Menschen einziehen, damit sich die Bürger selbst ein Bild davon machen können, wie dort gelebt wird und worauf es beim Zusammenleben ankommt.

 

Schreiben der Bürgerinitiative

Im Nachgang zu der Veranstaltung hat eine Bürgerinitiative der angrenzenden Anwohner von Brächen noch ein Schreiben an den Bürgermeister aufgesetzt. Dieses kann hier gelesen werden. Grundsätzlich werden darin die vorgebrachten Einwände und Argumente gegen eine Unterbringung in Brächen noch einmal wiederholt.
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