POLITIK

„Gelungener Balanceakt“ oder „sozialer Zündstoff“?

lw; 21.10.2022, 13:39 Uhr
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„Gelungener Balanceakt“ oder „sozialer Zündstoff“?

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lw; 21.10.2022, 13:39 Uhr
Oberberg – Entwurf des Doppelhaushalts 23/24 von Landrat Jochen Hagt in Kreistag eingebracht – Bürgermeister sparen nicht an Kritik – Kreishauserweiterung im Fokus.

Von Lars Weber

 

Landrat Jochen Hagt hat bei der Sitzung des Kreistags gestern Nachmittag den Entwurf der Verwaltung für den Doppelhaushalt 23/24 eingebracht. Im Mittelpunkt standen dabei natürlich auch die Rahmenbedingungen, unter den das 700-Seiten starke Zahlenwerk entstanden ist. Pandemie, Krieg in Europa, Flüchtlingssituation oder auch der Klimawandel ließen die Haushaltsaufstellung zu einem Balanceakt werden. „Dieser ist uns gelungen“, ist Hagt überzeugt. Naturgemäß sehen die oberbergischen Bürgermeister das meist anders – und dieses Jahr bildet keine Ausnahme. Sie sehen ob der Höhe der Kreisumlage „sozialen Zündstoff“, weil die klammen Kommunen dadurch in diesen Krisenzeiten für die Bürger zu Steuererhöhungen gezwungen würden. Dabei rückt unter anderem die Erweiterung des Kreishauses als Großprojekt ins Zentrum der Diskussionen – auch im Kreistag, der einen angedachten Beschluss zur Vergabe von Planungsleistungen über einige Millionen Euro absetzte.

 

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Die Einbringung durch den Landrat

 

Ohne große Umschweife kam Jochen Hagt auf die Kreisumlage zu sprechen. Die Hebesätze erhöhen sich 2023 auf 37,77 Prozent (2022: 36,71) und 2024 nochmals auf 40,27 Prozent. Zur Entlastung der kreisangehörigen Kommunen sieht der Entwurf einen Einsatz der Ausgleichsrücklage des Kreises in den nächsten beiden Jahren in Höhe von jeweils vier Millionen Euro vor. Daneben werden im Haushalt 2023 rund 9,9 Millionen Euro an Corona-, Ukraine- und Energiekosten „isoliert“ und müssten daher nicht von den Kommunen über die Kreisumlage finanziert werden. Hagt versicherte, dass weitere Änderungen – momentan wird im Landschaftsverband Rheinland von den Fraktionen eine Umlagensenkung gefordert – später noch Berücksichtigung finden könnten.

 

In seiner Rede ging Hagt weiter besonders auf die Herausforderungen für Kreis und Gesellschaft ein. So liegen momentan rund 5.700 Akten zu geflüchteten Menschen beim Ausländeramt. Zur Hochphase der Flüchtlingssituation 2015/2016 seien es 5.500 gewesen. Der Ausländeranteil im Kreis sei von 2012 bis 2022 von 20.000 auf 34.500 Menschen gestiegen, was eine wachsende Herausforderung darstelle, unter anderem für die Gewährung von Sozialleistungen oder auch die Kinderbetreuung. Bei den Themen Gas und Strom wolle man für kritische Momente vorsorgen. Auch der Infektionsschutz stelle den Kreis weiter auf die Probe, so habe zum Beispiel der Rettungsdienst mit Ausfällen zu kämpfen.

 

[Grafik: OBK.]

 

Der Entwurf sieht Investitionen in den weiteren Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, Investitionen in die Digitalisierung der Kreisverwaltung und der kreiseigenen Schulen vor. Hagt sprach von schwierigen Abwägungen in einer schwierigen Zeit. „Wir haben unseren Blick auf der Krise, wir dürfen aber nicht den Blick für die Zukunft verlieren.“

 

Die Kritik der Bürgermeister

 

Die Bürgermeisterkonferenz Oberberg mit ihrer Vorsitzenden Larissa Weber spricht im Rahmen des Benehmensverfahrens von erheblichen Bedenken bei dem Zahlenwerk. Aufgrund der zunehmenden Belastung durch die Umlage könnten die Haushalte aller kreisangehörigen Städte und Gemeinden nicht mehr oder allenfalls noch fiktiv ausgeglichen werden. Ein Abbau von Schulden? „Unmöglich“, so die Bürgermeister. In ihrer Stellungnahme werfen die Rathauschefs dem Kreis vor, das obliegende Gebot der Rücksichtnahme den Kommunen gegenüber zu verletzen. So schöpfe der Kreis über die Umlage nahezu die gesamten Realsteuereinnahmen der Kommunen aus der Grund- und Gewerbesteuer ab, so der Vorwurf. „Die Zahllast hat eine erdrosselnde Wirkung.“

 

Die Bürgermeister sehen genügend Handlungsspielräume, um die Belastung zu reduzieren. So fordern sie unter anderem die vorhandene Ausgleichsrücklage noch stärker als einst vom Kreistag beschlossen zur Senkung der Kreisumlage einzusetzen. Auch die vorgesehenen 36,25 zusätzlichen Stellen kritisieren sie. Rund 15 davon bildeten weder einen Corona- oder Krieg-bedingten Personalmehrbedarf ab, noch beruhten sie auf neuen gesetzlichen Vorgaben. Diese Stellen sollten ersatzlos gestrichen werden, so die Bürgermeister.


Von einigen Kritikpunkten sei Jochen Hagt überrascht gewesen. „Wir nehmen Rücksicht auf die Kommunen“, betonte er. Die Stellungnahme der Bürgermeister gibt es hier im Wortlaut. Hier finden sich die Antworten der Verwaltung darauf.

 

Das Großprojekt Kreishaus-Erweiterung

 

[Visualisierung: Architekturbüro Hascher Jehle Design --- So sah der Entwurf aus, der beim Architektenwettbewerb Anfang 2020 gewann.]

 

Bislang ist die Kreisverwaltung auf viele Standorte und kleine Gebäude, darunter Einfamilienhäuser aus den 30er-Jahren, verteilt. Die Arbeitsbedingungen dort wurden schon mehrfach als schlecht beschrieben. Das Problem lösen soll eine Erweiterung des Kreishauses. Ein Architektenwettbewerb wurde bereits durchgeführt (OA berichtete), die Planungen wurden von der Pandemie aber zunächst ausgebremst, sollen nun aber wieder intensiviert werden. Hagt führte dafür auch die explodierenden Energiekosten an, denn ein Einsparpotenzial gebe es bei vielen dieser Gebäude nicht. Dabei machten in der Verwaltung allein zehn Prozent an Energieeinsparung 600.000 Euro aus, rechnete Hagt vor. Die Verteilung des Kreises auf rund 80 Standorte sei schlicht unwirtschaftlich. Er machte klar, dass die Frage nicht lauten könne: Bauen oder nicht bauen, sondern nur, wie kostengünstig gebaut werden könne.

 

Die Bürgermeister fordern indes aber genau das: Aufgrund der heutigen Rahmenbedingungen sollte das Projekt mit einem Investitionsvolumen von „sicherlich weit über 100 Millionen Euro“ endgültig ad acta gelegt werden. Den Bürgern sei ein solches Vorgehen nicht zu vermitteln. Zum einen, da sie selbst höhere Abgaben und Steuern zu schultern hätten und sparen müssen, und zum anderen, da andere Projekte wie der Umbau der Bücherfabrik in Ründeroth oder das Bergische Forum für Wissen und Kultur  aus finanziellen Gründen beerdigt werden. Letzteres wurde vom Kreistag bei der gestrigen Sitzung wieder in die Schublade gelegt - und erstmal zugeschlossen.

 

Die Mitglieder des Kreistags reagierten auf die Kritik aus den Kommunen: Jürgen Poschner, UWG-Fraktionsvorsitzender, meldete Beratungsbedarf an und beantragte, die Vergabe von Planungsleistungen im Hochbau von der Tagesordnung zu streichen. Diese sollte eigentlich bei der Sitzung im nichtöffentlichen Teil entschieden werden. SPD-Fraktionschef Sven Lichtmann schloss sich dem Vorschlag an. „Jetzt Leistungen in Millionenhöhe zu vergeben wäre bereits eine Vorentscheidung!“ Der Kreistag sollte das Thema Erweiterungsbau öffentlich bei den Haushaltsberatungen diskutieren. Der Antrag von UWG und SPD wurde einstimmig angenommen.

 

Der Haushalt soll vom Kreistag am 8. Dezember beschlossen werden. Der Entwurf kann hier eingesehen werden.

KOMMENTARE

1

Und jährlich grüßt das Murmeltier. Während die Kommunen sparen, dass es quietscht, gönnt sich der OBK mit seiner CDU-Mehrheit jedes Jahr mehr. Gnadenlos wird die Umlage immer weiter erhöht. Gut, dass der Kreis als Umlageverband schon mehr als die Gewerbesteuer aus den Kommunen absaugen, wass soll's. Das die zum Teil gleichen Politiker der Mehrheitsfraktion in den jeweiligen Kommunen Krokodilsttränen weinen, während sie im Kreis diese erdrosselnden Umlagen durchwinken, einfach nur noch lächerlich. Und der "mündige Wähler"? Wundert sich, zieht aber keine Konsequenzen und wählt fröhlich weiter schwarz. Armes Oberberg....

HOSCHI, 21.10.2022, 16:54 Uhr
2

Jedes Jahr das gleiche Theater. Der Landschaftsverband und der Kreis bedienen sich. Das Gemeindefinanzierungssystem gehört endlich auf den Prüfstand. Die Leidtragenden sind wie immer die Städte und Gemeinden, die letztlich gezwungen sind, die Steuern zu erhöhen. Und der Bürger zahlt am Ende doch die Zeche. Armes Deutschland.

Melati, 21.10.2022, 18:04 Uhr
3

Jetzt ist die Chance gesichtswahrend aus der Nummer Kreishausanbau rauszukommen. Bitte stoppen!

Peter H., 22.10.2022, 06:10 Uhr
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