POLITIK
Der Teamkapitän verlässt das Feld: „Ich bin stolz auf meine Mannschaft“
Oberberg – Landrat Jochen Hagt blickt im Gespräch mit OA zurück auf die vergangenen zehn Jahre – Seit 1993 bei der Kreisverwaltung.
Von Lars Weber
Es sind zwar nur noch wenige Tage, bis Landrat Jochen Hagt Ende Oktober in Pension geht und dem frisch gewählten Klaus Grootens das Feld überlassen wird. Langeweile kommt für Hagt dieser Tage aber dennoch nicht auf. Es gibt noch genügend Termine, wo seine Person gefragt ist. Der 68-Jährige kennt das natürlich. Seit zehn Jahren – seit 2015, als er zum Nachfolger von Hagen Jobi gewählt wurde – bekleidet er die Position des Landrats. Gemeinsam mit OA blickte Jochen Hagt zurück auf seine zwei Amtszeiten.
Freilich ist Hagt schon viel länger beim Kreis beschäftigt. Er stößt 1993 dazu, zunächst als Rechtsamtsleiter, 2009 wird er dann nach weiteren Stationen zum Kreisdirektor gewählt. Viel habe sich seitdem getan an der Gummersbacher Moltkestraße. „1993 war eine andere Welt, was den Büroalltag angeht“, erinnert er sich. Gerade in Sachen Digitalisierung sei seitdem natürlich unglaublich viel geschehen, aber auch in der Arbeitswelt an sich, entscheidend für den Kreis sei aber noch etwas anderes: „In den 90er-Jahren war der Kreis vor allem eine Ordnungsbehörde. Inzwischen hat er zwangsläufig Zuständigkeiten im Bereich der medizinischen Versorgung, der Wirtschaftsförderung, der Regionalentwicklung. Fragestellungen, die es damals gar nicht gab. Wir sind heute auch in einem Wettbewerb der Regionen.“
Was sich seitdem laut Hagt nicht verändert habe, sei die Qualifikation und vor allem Motivation der Mitarbeiter. Im Besonderen erfahren durfte er dies während der Pandemie, die Hagt als größte Herausforderung während seiner Amtszeit bezeichnet. „Damals haben wir von jetzt auf gleich 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ihren Funktionen herausgelöst haben und ins Gesundheitsamt gebracht haben, um die Pandemie zu bekämpfen. Das ging problemlos, weil alle bereit waren, sich dafür einzubringen.“
Die Menschen hätten damals Angst gehabt. „Im Kopf hatten wir die Bilder aus Bergamo und New York, wo die Leichen gestapelt werden mussten.“ Das Impfen habe im Oberbergischen dann gut funktioniert, meint Hagt. „Sie hat eine gewisse Sicherheit geschaffen.“ Die Pandemie habe auch aber auch wirtschaftliche Folgen gehabt, Betriebe mussten teils runterfahren, Geschäfte schließen, „damit haben wir sehr gekämpft“. Nicht zuletzt reichte Corona tief in die Gesellschaft hinein – man erinnere sich unter anderem an die geschlossenen Schulen und Kitas. All das habe auch zu einer Mentalitätsveränderung der Menschen geführt, die teils bis heute in der Gesellschaft zu spüren sei. Hagt erinnert aber auch an viel Bürgerinnen und Bürger, die sich persönlich eingebracht haben, um die Gesellschaft so gut es ging am Laufen zu halten. „Es ist toll, wie viele Menschen mutig mit der Situation umgegangen sind!“
Für ihn selbst sei die Zeit „unglaublich anstrengend“ gewesen. Fast jeden Tag kam der Krisenstab zusammen, man habe immer wieder überlegen müssen, wie mit den neuen Herausforderungen umgegangen werden kann. „Teils erfuhren wir aus dem Fernsehen, welche neuen Rahmenbedingungen nun gelten sollten. Das hat nicht gerade geholfen.“ Der Landrat betont aber: „Anstrengend war die Zeit für alle, jeden einzelnen.“ Private Dinge spielten auch deshalb bei jenen in der Verwaltung, die mit der direkten Krisenbewältigung befasst waren, kaum eine Rolle. „Wir waren voll fokussiert. Und sehr froh, als die Zeit vorbei war.“
Was im Gespräch immer wieder deutlich wird: Hagt ist vor allem stolz auf seine „Mannschaft“ in allen Bereichen. „Sie sorgen dafür, dass Oberberg läuft und wir uns auch weiterentwickeln können. Und zwar mit Mut nach vorne. Verwaltung ist nichts für Einzelkämpfer.“
Nun wird es für Hagt Zeit, etwas kürzerzutreten. Nachdem der Landratsjob ihn nun ein Jahrzehnt rund um die Uhr begleitet hat, möchte er nun vor allem eins: „Ich lass mir mehr Zeit! Mehr Sport, mehr Spazierengehen mit dem Hund und vor allem mehr Zeit für meine Familie.“
Langweilig wird Hagt übrigens auch ab dem 1. November nicht. Dann wird er den Vorstand der Hans-Hermann-Voss-Stiftung übernehmen. Dort möchte er gemeinsam mit dem Stiftungskuratorium weiter Akzente setzen für Oberberg.
Ordnungspartnerschaft Sicherheit
"Sie ist eine wesentliche Stütze der Präsenz der Ordnungskräfte im öffentlichen Raum. Die Bürger nehmen das wahr. Es war wichtig, dass wir das 2017 gestartet haben, um die Zusammenarbeit zwischen Ordnungskräften und Polizei zu verbessern."
Der Waldbrand auf dem Hömerich 2020 und das Hochwasser 2021
"Wir erleben in der Folge des Klimawandels Ereignisse in Ausmaßen, wie wir sie vorher nicht hatten. Beides gehört dazu. Wir müssen uns aufstellen für solche Situationen, und das machen wir mit dem Klimawandelanpassungskonzept, das vom Kreistag beschlossen wurde. Das machen wir aber auch dadurch, dass wir im Nachgang der Flut und des Starkregenereignisses das Starkregenrisikomanagement aufgebaut haben, gemeinsam mit anderen Gebietskörperschaften, um auch naturräumlich reagieren zu können und nicht nur nach politischen Grenzen. Auch die Wasserverbände sind dabei. Zudem sind wir auch mit dem Brandschutzbedarfsplan dabei, auf Situationen wie Waldbrände noch besser reagieren und die Feuerwehren vor Ort unterstützen zu können."
Die Regionalen 2010 und 2025
"Beide haben die Entwicklung im Oberbergischen Kreis wesentlich vorangetrieben. Stichwort Steinmüllergelände, Stichwort Schloss Homburg aus der ersten Regionale oder aus der zweiten Regionale – etwas kleinräumiger – Bereiche wie die Nachnutzung von Liegenschaften oder der Umgang mit Bestandsgebäuden, das Schloss Hückeswagen ist da ein wichtiges Projekt. Wichtig ist auch die Frage, wie wir mit Ressourcen umgehen, hier kommt Metabolon ins Spiel, das sich mit der Regionale 2025 deutlich weiterentwickelt hat. Man braucht gute Ideen für diese Entwicklungen, man braucht Menschen, die sie umsetzen, aber man benötigt auch das Geld dafür – und das war durch die Regionalen vorhanden."
Diskussionen um die Kreisumlage
"Die hat es immer gegeben und die wird es auch immer geben, weil es eine Frage ist, die im Finanzierungssystem der öffentlichen Hand begründet liegt. Jeder möchte natürlich möglichst viel Geld haben, um seine Ziele umsetzen zu können, in diesem Fall die Kommunen und auch der Kreis mit einer immer weiter ansteigenden Zahl an Pflichtaufgaben, zum Beispiel um Sozialleistungen abzubilden. Ich hatte es in der letzten Haushaltsrede gesagt: Der Sozialetat sprengt die Haushalte. Wenn auf Bundesebene keine anderen Rahmenbedingungen geschafft werden, ist keine Besserung in Sicht."
Die Zentralisierung der Verwaltung mit dem 92-Millionen-Euro-Anbau
"Die Zentralisierung ist vernünftig, weil sie schon auf kurze und erst recht auf lange Sicht Geld spart, weil wir viele unwirtschaftliche Liegenschaften aufgeben können. Es ist eine Investition in die Zukunft, die natürlich viel kostet, ohne Frage. Aber die Investition wird sich positiv auswirken, auch weil wir einen Weg der Finanzierung gefunden haben, der die Kommunen nicht zusätzlich belasten wird. Ich finde es gut, dass wir zur Zentralisierung einen Beschluss haben und man wird in der Umsetzung und der politischen Begleitung sehen, wie sich das Projekt entwickelt."
Wirtschaftskrise
"Oberberg ist ein starker Industriestandort, wir haben die höchsten Industriearbeitsplatzzahlen im Land. Wenn die Konjunktur läuft, sind wir obenauf. Wenn sie schwächelt, haben wir Lungenentzündung, das haben wir 2009 zuletzt gesehen, als es viel Kurzarbeit gab. Die Konjunktur ist das eine, das andere ist die Frage, welche Art von Geschäftsmodellen in Zukunft möglich sein werden. Ich habe die große Sorge, dass es sich gerade nicht nur um eine konjunkturelle, sondern um eine strukturelle Schwäche handelt. Wir müssen uns in weiten Teilen neu erfinden. Der Gesetzgeber muss da den richtigen Rahmen setzen. Wir brauchen weniger Bürokratie, die Unternehmen müssen in der Lage sein, Innovationen anzustoßen. Wir als Oberbergischer Kreis versuchen die Unternehmen dabei zu unterstützen."
Ehrenamt
"Im ländlichen Raum geht es nicht ohne Ehrenamt. Es ist die Voraussetzung für ein gedeihliches, gesellschaftliches Zusammenleben. Seitens der öffentlichen Hand können wir die vielfältigen Leistungen, die im Ehrenamt erbracht werden, überhaupt nicht abbilden, zum Beispiel die Feuerwehren. Unsere Aufgabe muss es sein, ehrenamtliche Strukturen zu stärken und zu ermutigen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Dies tun wir mit unserer Ehrenamtsakademie und dem Netzwerk Weitblick."
Ärztliche Versorgung im ländlichen Raum
"Die Versorgung im ländlichen Raum mit niedergelassenen Ärzten ist insgesamt kritisch, auch im Oberbergischen Kreis, besonders im Südkreis. Wir müssen realisieren, dass die bisherigen Strukturen nicht mehr tragen. Ärzte, die in Pension gehen, finden nicht mehr automatisch einen Nachfolger oder Nachfolgerin. Es gibt andere Anforderungen an die Arbeitsumgebung, denen wir Rechnung tragen müssen, zum Beispiel durch die Einrichtung von kommunalen medizinischen Versorgungszentren. Überall da, wo die Selbstregulierung nicht funktioniert. Da ist dann auch die öffentliche Hand gefragt. Es ist keine einfache Aufgabe. Ich glaube aber, im Verbund mit dem Klinikum Oberberg haben wir eine Chance, ein MVZ aufzubauen."
Flüchtlingssituationen
"Wir haben 2015 eine Flüchtlingswelle erlebt, die in den Jahren darauf nicht abgeebbt ist. Dann hatten wir 2022 eine weitere Situation durch die Flüchtlinge aus der Ukraine. In der Summe ist es so, dass unsere Infrastrukturen durch diese Entwicklungen ein Stück weit überfordert sind. Das betrifft die gesundheitliche Versorgung oder auch die Kitas. Es ist in Teilen nicht gelungen, das Wertegerüst in Deutschland zu vermitteln, was zu Konflikten im täglichen Leben führt. Da muss auch über die Kriminalität gesprochen werden. Gerade in Sachen illegale Migration müssen wir dem Recht folgen und konsequent abschieben, wir tun das im Kreis seit vielen Jahren. Wir müssen aber auch einfordern, dass jene Menschen, die in unserem Land leben, unsere Werte akzeptieren. Angesichts der vielfältigen Zuwanderung ist dies eine Daueraufgabe."
Mobilität
"Auch in diesem Bereich haben wir viele Entwicklungen, im Bezug auf den CO2-Ausstoß oder die Kosten. Es gibt mehr Menschen, die mit dem ÖPNV fahren wollen. Das stößt im ländlichen Raum an seine Grenzen. Wir können mit unserer Einwohnerzahl kein System wie in der Großstadt anbieten. Deshalb wird es hier auch immer Mobilität mit dem Pkw geben, das müssen wir auch bei unseren Ausgaben, zum Beispiel für unsere Straßen, berücksichtigen. Beim Thema Radwege haben wir die vergangenen Jahre eine Menge gemacht, die Radwege sind aber vor allem touristisch motiviert. Es ist eine große Herausforderung, schon kurze Strecken herzustellen, zum Beispiel aufgrund vieler Grundstückseigentümer. Für uns kommt es darauf an, im ÖPNV Schnittstellen zwischen den Hauptlinien zu bedienen und auf der letzten Meile, also wie man nach Hause kommt, für Möglichkeiten zu sorgen, der Monti oder ehrenamtliche Bürgerbusse sind da gute Stichworte. Dabei brauchen wir gute Straßen – und da, wo es geht, auch Radwege."
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