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Auf dem Weg zur Gesamtschule: Der Wiehler Wille

lw; 21.09.2022, 13:28 Uhr
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Foto: Lars Weber.
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Auf dem Weg zur Gesamtschule: Der Wiehler Wille

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lw; 21.09.2022, 13:28 Uhr
Wiehl – Rat beauftragt Verwaltung damit, die Umwandlung der Sekundarschule bei der Bezirksregierung zu beantragen – Nachbarkommunen sehen eigene Schulen gefährdet – Engelskirchener Bürgermeister Dr. Gero Karthaus glaubt an Veto aus Köln.

Von Lars Weber

 

Die Wiehler wollen nun endlich Klarheit. Nachdem über Jahre hinweg über die Umwandlung der TOB (Technisch orientierte Bildung), also der Sekundarschule in Bielstein, in eine Gesamtschule diskutiert wurde, hat die Politik gestern Abend bei einer Sondersitzung des Rats in der Wiehltalhalle der Verwaltung den Auftrag gegeben, diesen Schritt bei der Bezirksregierung offiziell zu beantragen – allen Bedenken aus den Nachbarkommunen zum Trotz. Wenn die oberste Schulaufsichtsbehörde grünes Licht gibt, soll die Umwandlung schon für das kommende Schuljahr 2023/24 greifen. Der Beschluss fiel einstimmig. Die beiden Vertreter der AfD enthielten sich ihrer Stimmen. Zuvor hatte bereits der Schulausschuss eine Beschlussempfehlung gegeben. Die Stadtverordneten bildeten eine klare Einheit mit der Verwaltung. Der Wille der Schüler und vieler Eltern sowie der Wille der Politik die eigene Bildungslandschaft zu stärken, finde in dem Beschluss seine Würdigung.

 

Dem Beschluss vorausgegangen war eine anlassbezogene Schulentwicklungsplanung durch das Planungsbüro Biregio. Darin wird festgehalten, dass Wiehl eine deutliche Steigerung bei den Kinderzahlen erfahren habe, was auch für die weiterführenden Schulen höhere Schülerzahlen bedeuten werde, sofern sich die Ein- und Auspendlerquoten stabil zeigten. Die Sekundarschule aber ziehe immer weniger Wiehler an. Waren 2014/15 und 2018/19 noch immer zwischen 77 und 68 Prozent aus der Stadt, liegt die Zahl 2021/22 nur noch bei 59 Prozent. Ausgeglichen wurden die Zahlen mit Schülern, die aus anderen Kommunen an die TOB kamen. Die Lösung für die Wiehler, um die Zukunft des Schulstandorts Bielstein zu sichern: Die Umwandlung in eine Gesamtschule. Die Ergebnisse einer Elternbefragung und die deutliche Meinung der TOB-Schulkonferenz bestärkten diese Haltung.

 

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Gemäß den Empfehlungen des Schulentwicklungsplans möchte Wiehl die Sekundarschule in eine vierzügige Gesamtschule umwandeln. Schulleitung und Kollegium würden erhalten bleiben, ebenso die technisch orientierte Ausrichtung. Die jetzigen Sekundarschüler würden zu Gesamtschülern, eine Sekundarstufe 2 würde hinzukommen. Die Infrastruktur dafür sei vorhanden. Der nötige Ganztagsbetrieb existiert bereits jetzt. Auch die Anforderungen im Bezug auf eine „Schule des gemeinsamen Lernens“ werden erfüllt. Beim ersten Anmeldeverfahren wären 100 Kinder nur aus Wiehl nötig, um den Bedarf der Schulform zu sichern. Dort sieht die Verwaltung kein Problem.

 

Dafür ist aber der Schulfrieden im Oberbergischen gefährdet. Im Benehmensverfahren wurden die Kommunen Marienheide, Much, Engelskirchen, Nümbrecht, Gummersbach und Reichshof um Stellungnahmen gebeten. Und mit Ausnahme von Much sprechen sich alle deutlich gegen die Umwandlung aus. „Das ist wenig überraschend“, sagte Peter Madel, Beigeordneter der Stadt Wiehl. Laut einer Vorab-Einschätzung der Bezirksregierung Köln auf das Rücksichtnahmegebot sei aber lediglich die Sekundarschule Engelskirchen wirklich im Bestand gefährdet. Der Vorschlag des Gutachters, dass Wiehl und Engelskirchen bei einer Gesamtschule gemeinsame Sache machten mit Haupt- und Teilstandort wurde von der Gemeinde abgelehnt. Man wolle weiter selbst Schulträger sein, zumal die Engelskirchener Verwaltung keinen Vorteil darin sieht, wenn die Sekundarstufe 2 in Bielstein angesiedelt wäre.

 

Deutliche Worte aus Engelskirchen
 

Am Samstag feiert die Sekundarschule in Engelskirchen ihren zehnten Geburtstag. Geht es nach Bürgermeister Dr. Gero Karthaus, sollen auch noch viele folgen. Doch er sieht den Bestand mit dem Wiehler Beschluss deutlich gefährdet: „Die Einrichtung einer Gesamtschule in Bielstein würde das Aus der Sekundarschule im Walbachtal bedeuten und zudem einen Dominoeffekt in der Schullandschaft des mittleren Oberbergischen auslösen“, so Dr. Karthaus auf Nachfrage von OA heute. Daher werde Engelskirchen alles unternehmen, um die Gesamtschule in Bielstein zu verhindern. „Ich gehe aber davon aus, dass die Bezirksregierung schon bald deutlich machen wird, dass einer Gesamtschule in Bielstein nicht entsprochen werden kann.“

 

Die Wiehler schätzen jedoch, dass sich die Aufnahmen von Engelskirchener Kindern an einer Bielsteiner Gesamtschule in Grenzen hielten, dies sei auch bei der TOB „äußerst selten“ vorgekommen. Weiter werde laut Madel mit der Begrenzung auf vier Züge mit Schülern aus Wiehl sichergestellt, dass anderen Kommunen keine Kinder abgefischt werden. Bürgermeister Ulrich Stücker betonte, dass die Vielzahl an Bedenken seiner Kollegen nicht das sei, was sich ein Bürgermeister wünsche. „Ich sehe hier aber das Wiehler Interesse.“ Vor der Sitzung habe er mit den anderen Kommunen noch einmal telefoniert. Dabei sei deutlich geworden, dass alle nun für den Schulfrieden Klarheit benötigten.

 

Der Rat beschloss die Umwandlung der Sekundarschule in eine vierzügige Gesamtschule, die als „Schule des gemeinsamen Lernens“ geführt werden soll. Mit ihrem Votum stimmten die Stadtverordneten auch für die Fortschreibung des Schulentwicklungsplans, für die Kenntnisnahme der Stellungnahmen der Nachbarkommunen, die Bereitstellung der Finanzmittel, hier vor allem der Schulbeförderungskosten, und die Beauftragung der Verwaltung, den Antrag bei der Bezirksregierung zu stellen. Laut Peter Madel soll der Antrag noch diesen Monat rausgehen. Wann mit einer Antwort zu rechnen ist, sei aber unklar.

 

Stücker nannte den Beschluss richtig. In vielen Gesprächen mit Schülern und Eltern habe er den Wunsch „deutlich gespürt“. Er betonte, dass an der TOB tolle Arbeit geleistet werde und die Schule einen guten Ruf besitze. „Aber die Gesamtschule gibt dem Schulstandort Bielstein eine ernsthafte und fundierte Perspektive.“

 

Das sagen die Fraktionen
 

Bernd Teuber (SPD) sagte, dass eine Gesamtschule dabei helfen werde, das „eklatante Missverhältnis bei den Bildungschancen“ zu korrigieren. So hätten beispielsweise Migrationskinder mehr Möglichkeiten auf einen höheren Schulabschluss vor Ort. Der Anteil dieser Gruppe am Gymnasium betrage gerade einmal 0,6 Prozent. Bürgermeister Stücker wünschte er für die Diskussionen mit den Nachbarkommunen „viel Mut“.

 

Der Eltern- und Schülerwille zähle für die CDU, sagte Fraktionsvorsitzende Larissa Gebser. „Es ist der Wiehler Wille.“ Sie bekräftigte, dass die Stellungnahmen der Nachbarkommunen sehr ernst genommen werden und forderte die Verwaltung auf, weiter das Gespräch zu suchen. „Es geht um das große Ganze.“ Gebser machte klar, die Entscheidung der Bezirksregierung akzeptieren zu wollen.

 

Aus einer Mail aus Reichshof zitierte Grünen-Fraktionschef Jürgen Körber. Darin wird Bezug genommen auf die Gründung der Gesamtschule in Eckenhagen vor 30 Jahren. „Auch damals gab es Einwände der Nachbarn.“ Wiehl solle das Ziel „mit Mut“ weiterverfolgen. Körber ergänzte mit Blick auf die Prognose einer siebenstufigen Oberstufe am Gymnasium: „Welche Alternative haben wir denn außer einer Gesamtschule?“

 

Dominik Seitz (FDP) blickte auf die vergangenen dreieinhalb Jahre zurück, in denen nahezu alle Fraktionen gemeinsam für eine Gesamtschule gekämpft hatten. Mit Blick über die Stadtgrenzen sagte er, dass die Entwicklung der Schülerzahlen nicht nur in Wiehl deutlich nach oben zeigten. Die Umwandlung würde den Schulstandort Bielstein zukunftssicher machen.

 

Manfred Kriegeskorte (Linke) sagte, dass seine Partei dagegen kämpfen würde, wenn Wiehler Kindern Bildungschancen durch Widerstände von außen verwehrt blieben. Hans-Peter Stinner (UWG) hob hervor, dass die Wege für viele Wiehler Schüler kürzer würden.

 

Die AfD lehnte das Ansinnen aufgrund der Einwände der Nachbarkommunen ab. Zudem gebe es im Bereich der Sekundarstufe 2 keinen Mangel in Wiehl. Daniel Schwach fügte an, dass es mit Blick auf den Fachkräftemangel wichtiger sei, andere Abschlüsse als das Abitur in der Gesellschaft zu stärken.

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