OBERBERGISCHER KREIS

Friseure: Anonyme Briefe und Zukunftsangst

ls; 20.03.2020, 22:00 Uhr
Foto: Michael Kleinjung --- Alessia Trautwein (li.) und Julia Linker sind derzeit die Hände gebunden. Der Betrieb läuft zunächst weiter.
OBERBERGISCHER KREIS

Friseure: Anonyme Briefe und Zukunftsangst

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ls; 20.03.2020, 22:00 Uhr
Oberberg – Innungsmeister Thomas Stangier fordert seine Kollegen auf, freiwillig die Läden zu schließen – Auch andere Friseure fordern schnelles Handeln aus der Politik, die das wirtschaftliche Überleben der Zunft sichern soll (Mit Video).

Von Leif Schmittgen

 

Die Friseurin Alessia Trautwein betreibt ihr Geschäft mit ihrer Angestellten Julia Linker in Bergneustadt-Hackenberg und war am gestrigen Morgen geschockt, als sie einen anonymen Brief  von ihrer Ladentür fand. Darin wird sie unter anderem aufgefordert, ihr Ladenlokal sofort zu schließen. Bei der Polizei hat sie bereits Anzeige erstattet. Die alleinerziehende Mutter von einem schulpflichtigen Kind würde die Türen ihres Geschäfts am liebsten sofort schließen, derzeit sind ihr aber aus wirtschaftlichen Gründen aber die Hände gebunden.

 

[Foto: Michael Kleinjung --- Diesen Brief erhielt die Friseurin gestern anonym.]

 

„Die von der Bundeskanzlerin geforderten anderthalb Meter Abstand zu den Mitmenschen können wir doch gar nicht einhalten“, wundert sich Trautwein. „Die Entscheidung, dass wir noch geöffnet haben, hat die Regierung veranlasst“, sagt sie und fühlt sich von den Politikern im Stich gelassen. „Solange wir geöffnet haben müssen, erhalten wir keine finanziellen Hilfen“, sorgt sich Trautwein um ihren Kleinstbetrieb. Die Friseurmeisterin bittet ihre Kunden - auch mit Blick auf das heutige Schreiben – um Verständnis, dass ihr Geschäft zwingend geöffnet bleiben muss: „Andernfalls fürchte ich, in die Insolvenz zu rutschen."

 

Botschaft von Alessia Trautwein (Video: Michael Kleinjung)

 

 

[Foto: Cornelia Lietz.]

 

Friseurmeisterin Brigitte Wildangel-Wehn (Foto), die mit ihrer Schwester Karla Kuhnen in Lindlar und Wipperfürth zwei Geschäfte mit insgesamt 27 Angestellten betreibt, hat bereits Nägel mit Köpfen gemacht: Die beiden Läden werden ab Montag - zunächst bis Ende März - geschlossen. „Es geht um Verantwortung den Kunden und vor allem den Mitarbeitern gegenüber“, meint sie. „In den vergangenen Wochen haben uns viele Kunden aus allen Altersschichten besucht. Wir haben auch deswegen die Sicherheitsmaßnahmen bei der Hygiene deutlich erhöht“, beschreibt sie die Maßnahmen bis heute. Dass sich Menschen aller Generationen zur gleichen Zeit im Laden befinden, lässt sich aus ihrer Sicht nicht vermeiden, besorgt sie aber.

 

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Der Schutz ihrer Mitarbeiter sei ihr besonders wichtig, begründet Wildangel den aus ihrer Sicht schweren Schritt. Da sie sich und ihren Beruf auch als „soziales Netzwerk für die Menschen“ versteht, verspricht Wildangel-Wehn: "Wir sind am Telefon für unsere Kunden da und geben Tipps bei kosmetischen Fragen und zum Styling." Wirtschaftlich macht sich die Friseurmeisterin große Sorgen: „Wir können die kommenden Wochen stemmen, wenn Hilfen kommen“, hofft auch sie auf eine schnelle Anweisung. „Wir stehen nicht nur menschlich, sondern auch sozial in der Verantwortung“, sagt die Arbeitgeberin.

 

[Foto: Kreishanderwerschaft Bergisches Land.]

 

Für den Obermeister der Friseurinnung Bergisches Land, Thomas Stangier (Foto), ist die Lage derzeit mehr als besorgniserregend: „Ich rate allen Kollegen, schnellstmöglich Kurzarbeit anzuzeigen“, sagt der Morsbacher. Er selber freute sich, dass von Amtswegen alles kurzfristig und unkompliziert funktioniert habe. Während er in der vergangenen Woche noch davon sprach, dass es wirtschaftlich sinnvoll sei, die Läden offen zu halten, hat sich seine Meinung inzwischen geändert. „Wir sind körpernahe Dienstleister und müssen jetzt reagieren“, begründet Stangier seinen Sinneswandel und bezieht seine neuesten Wissensstand zum Corona-Virus mit ein. „Auch ich musste vom allgemeinen Stimmungsbild lernen."

 

Seinen dringlichsten Appell sendet der Obermeister an die mobilen Friseure: „Wenn Kollegen von Wohnung zu Wohnung fahren, trägt das nicht zur Eindämmung der Infektionskette bei." Auch rät er dringend davon ab, dass Friseure mit festem Standort einen „Homeservice“ für ihre Kunden einrichten. Neben den genannten Risiken seien die Standards, wie sie in Geschäften vorhanden seien, in Privatwohnungen nicht gegeben. Der Obermeister fordert schnellstmögliche Anweisungen aus der Politik: „Oft handelt es sich um Kleinstbetriebe, die wirtschaftliche Existenz steht auf dem Spiel." Wenn eine Schließung verordnet würde, stünden seiner Zunft weitere Hilfsgelder zur Verfügung, meint der Obermeister.

KOMMENTARE

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"FRAGE:
Worin besteht der Grundbedarf (für unsere Gesellschaft) und die damit verbundene derzeitige (Noch)Öffnung der Friseursalons zur Zeit des "Corona"?
Den Friseur und damit alle! Beteiligten (Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Kunden und Lieferanten) diesem enorm hohen Risiko auszusetzen?
Ich möchte es gerne verstehen.
Ich mache mir allergrößte Sorgen um meine ehemaligen Kollegen, meine ehemaligen Arbeitgeber, Kunden und...... .
Als langjähriger Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dieser Branche kenne ich mich aus:
NÄHER KANN MAN SICH KAUM KOMMEN!
Haben nicht alle o. a. Personen ein Recht auf körperliche Unversehrtheit."
Nicht nur ich frage mich: ICH ICH ICH, woher kommt dieser Egoismus.
Alles steht zur Debatte.
Passen Sie auf sich auf.

Klein, Jens, 21.03.2020, 08:18 Uhr
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