BLAULICHT

Vier Jugendliche mit Pistole bedroht – oder doch mit der Taschenlampe?

lw; 02.09.2022, 06:25 Uhr
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Vier Jugendliche mit Pistole bedroht – oder doch mit der Taschenlampe?

lw; 02.09.2022, 06:25 Uhr
Waldbröl – Wegen Raubes musste sich ein 42-Jähriger vor Gericht verantworten – Geschehnisse blieben auch nach den Aussagen unklar.

Von Lars Weber

 

In der Dunkelheit begegnet eine Gruppe Jugendlicher einem Mann auf der Bahnhofstraße in Waldbröl. Der zieht eine Pistole und fordert Geld von den jungen Menschen, die ein kurzes Missgeschick des unter Drogen stehenden Räubers für ihre Flucht nutzen. Der Vorfall soll sich im Oktober vergangenen Jahres zugetragen haben. Aber stimmt die Geschichte wirklich? Dieser Frage ist das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Carsten Becker am Mittwoch am Amtsgericht Waldbröl nachgegangen. Angeklagt wegen Raubes war der 42-jährige Uwe H. aus Gummersbach. Der Fall sollte bis zuletzt undurchsichtig bleiben und dazu führen, dass das Gericht letztlich anderer Meinung war als Verteidigung und Staatsanwaltschaft.

 

Der 42-Jährige hatte eine etwas andere Version jener Ereignisse zu erzählen, die sich am 2. Oktober 2021 zugetragen haben sollen. Demnach hatte er mit zwei weiteren Personen etwas getrunken, er selbst hatte auch Amphetamin genommen. Später am Abend machten sie sich auf den Weg zu einem Discounter, um noch Alkohol zu besorgen. Uwe H. wollte im Anschluss nach Malzhagen, wo das Haus einer Wohngruppe, in der er einmal Zeit verbracht hatte, bald abgerissen werden sollte. Dieses wollte er sich noch einmal anschauen. Deshalb nahm er eine Taschenlampe mit. „Die war aber halb kaputt.“ So habe er häufiger damit herumgefuchtelt.

 

Er trennte sich von seinen Begleitern und setzte seinen Weg allein fort. Dann traf er auf die Gruppe Jugendlichen. Nicht zum ersten Mal an dem Abend, wie der Sachverständigte berichtete. Während der 42-Jährige sich bei seiner Aussage vor Gericht an keine Kommunikation erinnern konnte – „die Jugendlichen sind einfach weggelaufen“ – hatte er dem Sachverständigten etwas anderes gesagt. „Er wollte die Jugendlichen erschrecken und mal ‚Buh Buh‘ machen.“ Dem fügte der Gummersbacher nichts mehr hinzu, außer, dass er noch nie eine Pistole besessen habe. Nach der Begegnung mit den Jugendlichen war der Angeklagte später am Abend beim Rathaus von der Polizei aufgegriffen worden, nachdem die Jugendlichen ihn erkannt haben wollten. Er versuchte zu flüchten, wurde aber eingefangen.

 

Die Aussagen der Jugendlichen, ein Mädchen und drei Jungs im Alter von jeweils 16 Jahren, waren nach der Begegnung vor einem Jahr ziemlich eindeutig gewesen. Daran erinnerte sich auch die Polizistin, die damals im Einsatz gewesen war. Die 16-Jährigen hatten alle von einer Waffe gesprochen, mit der auf sie gezielt worden sei. Der Angreifer habe mit den Worten „Geld her!“ seine Forderung klar gemacht. Vor Gericht bröckelten diese Gewissheiten nun. Vor allem eine Waffe hatte keiner der Jugendlichen mit Gewissheit gesehen. „Die Jungs hatten das gesagt“, meinte das Mädchen. Sie selbst habe es nicht so genau erkannt. Die jungen Männer konnten dies nun aber nicht mehr mit Sicherheit sagen. „Eine Taschenlampe hatte er 100 Pro dabei, aber eine Waffe?“

 

Die Forderung des Mannes hatten alle Jugendlichen vernommen, wenn auch manchmal nur „vernuschelt“. Während die 16-Jährige von einer aufmerksamen Mitarbeiterin des Discounters völlig verängstigt nach Hause gebracht wurde, entdeckte ein Teil der Gruppe den Verdächtigen nach seiner Flucht am Rathaus und verständigten zum wiederholten Mal an diesem Abend die Polizei. Erkannt hätten sie ihn an den schwankenden Bewegungen und Gang. Am Verhandlungstag wollte aber nur noch ein Junge den Angeklagten wiedererkennen.

 

Die Unsicherheit der Jugendlichen übertrug sich auf die Staatsanwaltschaft. „Begegnet sind sich die Jugendlichen und der Angeklagte sicher. Auch die Geschichte mit der Taschenlampe passt.“ Aber hatte Uwe H. wirklich versucht, die Jugendlichen auszurauben? Aufgrund der Aussagen der Schüler hatte die Staatsanwaltschaft ihre Probleme damit. „Ich glaube, die Geschichte mit der Pistole hat sich einfach nach der Begegnung verselbstständigt“, so die Staatsanwaltschaft. Und vielleicht sei aus dem Nuscheln des Angeklagten später ein „Geld her!“ geworden. Eine Version, die die Verteidigung ebenfalls für wahrscheinlich hielt. Einer Meinung blieben Staatsanwaltschaft und Verteidigung auch, nachdem die Beweisaufnahme geschlossen wurde. Sie forderten beide einen Freispruch.

 

Auch der Bericht des Sachverständigen Arztes, der vor allem auf die Auswirkungen des Drogen- und Alkoholmissbrauchs beim Angeklagten und damit einhergehende Psychosen einging, hatte Staatsanwaltschaft und Verteidigung nicht umgestimmt. Auf Richter und Schöffen hatte der Bericht aber Eindruck gemacht. Gerade die Mischung von Alkohol und Drogen könne zu den fahrigen Verhaltensweisen des Angeklagten an diesem Abend geführt haben und auch dafür verantwortlich sein, dass so manche Erinnerungslücke entstanden sei. Dieser Umstand und der Glaube an die entscheidenden Aussagen der Jugendlichen ließen das Gericht zu einer anderen Überzeugung kommen als Staatsanwaltschaft und Verteidigung.

 

Richter Becker und die Schöffen hatten letztlich keinen Zweifel, dass Uwe H. tatsächlich Geld von den Jugendlichen gefordert hatte, auch wenn er dabei wohl nur eine kaputte Taschenlampe in der Hand hatte. Das Gericht sprach den 42-Jährigen der versuchten räuberischen Erpressung schuldig und verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und es schien am Verhandlungstag nicht unwahrscheinlich, dass die Verteidigung Berufung einlegen wird.

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