BLAULICHT

Erzbischof Heße: „Entschlossen gehandelt“ – und dann nicht mehr hingeschaut

pn; 19.01.2022, 15:55 Uhr
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Fotos: Peter Notbohm --- Vor dem Kölner Landgericht kam es zu Protesten von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Sie solidarisierten sich mit den mutmaßlichen Opfern von Priester Hans Bernhard U.
BLAULICHT

Erzbischof Heße: „Entschlossen gehandelt“ – und dann nicht mehr hingeschaut

pn; 19.01.2022, 15:55 Uhr
Gummersbach – Erstmals sagt in Deutschland ein katholischer Bischof vor Gericht in einem Missbrauchsprozess aus – Er räumt Fehler im Umgang mit dem früheren Gummersbacher Priester U. ein.

Von Peter Notbohm

 

Saal 142 des Kölner Landgerichts war bis auf den letzten Zuschauerplatz gefüllt am gestrigen Dienstag. Um Corona-Abstände einhalten zu können, mussten gleich mehrere Journalisten in einen anderen Raum umziehen, um zumindest per Audioübertragung der Verhandlung folgen zu können. Seit dem Prozessauftakt gegen den früheren Gummersbacher Priester Hans Bernhard U. hatte kein Verhandlungstag mehr so viel öffentliches Interesse ausgelöst.

 

Die Aufmerksamkeit galt Stefan Heße. Mit dem heutigen Erzbischof von Hamburg sagte am 18. Verhandlungstag erstmals ein hoher Geistlicher in Deutschland im Rahmen eines Missbrauchsprozesses aus. Bevor der Kleriker sein Amt in der Hansestadt 2015 angetreten hatte, war er in Köln Leiter der Personalabteilung und später auch als Generalvikar der zweitmächtigste Mann im Bistum. Als Personalchef war er 2010 mit den Vorwürfen betraut, die damals erstmals öffentlich wurden und inzwischen vor dem Kölner Landgericht verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft Hans Bernhard U. vor, unter anderem seine drei minderjährigen Nichten sexuell missbraucht zu haben. Während des Prozesses meldeten sich noch weitere Opfer.

 

 

Heßes Aussage als Zeuge war mit Spannung erwartet worden, nachdem der Fall U. im Missbrauchsbericht des Erzbistums Köln vom März 2020 aufgetaucht war. Insgesamt elf Pflichtverletzungen wurden ihm im Gutachten der Kanzlei Gercke im Nachhinein nachgewiesen. Heße hatte deshalb dem Papst seinen Rücktritt als Bischof angeboten – Franziskus hatte dies abgelehnt.

 

„Ich habe damals entschlossen gehandelt und zwar stante pede“, berichtete Hesse in seiner knapp dreistündigen Vernehmung von dem Moment des 25. Oktober 2010, als er durch einen anonymen Hinweis von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erfahren habe. Die Vorwürfe gegen U. seien so schwerwiegend gewesen, dass dem Erzbistum überhaupt keine Wahl geblieben sei, als den Priester sofort zu beurlauben.

 

„Wir mussten ihn aus dem Verkehr ziehen.“ Er habe U. damals zwei Tage später die Beurlaubungsurkunde selbst überreicht. Den Priester, der zu diesem Zeitpunkt als Krankenhausseelsorger in Wuppertal arbeitete, kannte er bis zu diesem Zeitpunkt nicht persönlich, wusste aber von dessen tadellosem Ruf. An das Gespräch könne er sich heute noch gut erinnern, sagte Heße. Es sei eine unangenehme Begegnung gewesen, U. habe abweisend reagiert, barsch gewirkt und alles abgestritten. Die Vorwürfe habe der Seelsorger als „Quatsch“ bezeichnet. „Für mich war damals schon klar, dass das mehr als Quatsch ist, wenn eine Staatsanwaltschaft ermittelt“, so Heße.

 

Er selbst sei fast schon dankbar für diesen Fall gewesen. In seiner Zeit im Erzbistum Köln habe er 140 Fälle mit solchen Vorwürfen zu bearbeiten gehabt - die meisten waren längst verjährt. Eigene Ermittlungen gegen U. habe es damals nicht gegeben, schließlich waren nun die „Profis der Staatsanwalt“ am Werk. Dass der Fall aufgrund fehlender Opferaussagen – mutmaßlich auf Druck der Familie und gegen ein Schweigegeld - kurz darauf eingestellt wurde, bezeichnete Heße als absoluten Tiefpunkt: „Ich habe die Welt nicht mehr verstanden“. Dass es auch kein weiteres kirchliches Verfahren gegeben habe, lag an der rechtlichen Einschätzung der Bistums-Fachjuristen, die ohne Aussagen der Opfer ebenfalls kaum Chancen auf Erfolg sahen. Im März 2011 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, auf Anweisung des damaligen Erzbischofs Joachim Meisner wurde der Priester am 22. Juni 2011 wieder in sein Amt eingesetzt.

 

[Seit dem 23. November des vergangenen Jahres muss sich Priester U. vor dem Kölner Landgericht verantworten.]

 

Die Neugier der Kammer um den Vorsitzenden Christoph Kaufmann war damit aber längst nicht gestillt. Immer wieder hielt der Richter Heße vor, dass in den Kirchenakten stehe, dass man nur auf Druck der Öffentlichkeit agiert habe. In einer schriftlich festgehaltenen Aussage wurde sogar gelobt, dass man die Geschichte mit der Wuppertaler Presse „sehr geschickt“ gehandhabt habe. Auch, dass Gesprächsprotokolle mit U. teilweise nur handschriftlich verfasst wurden, um sie notfalls schnell vernichten zu können, rügte Kaufmann. Noch mehr Brisanz barg ein Aktenvermerk, wonach zu einem Gespräch, in dem U. „alles erzählt“ habe, kein Protokoll erstellt werden sollte.

 

Heße stritt diese Vorwürfe allerdings ab. Auf die Aktennotiz könne er „sich keinen Reim machen“. Er habe sich stets gewehrt, wenn der Priester im Nachhinein seine Akte bereinigt haben wollte, sagte er. Bestätigt fühlt er sich dadurch, dass die Dokumente heute noch im sogenannten Giftschrank des Erzbistums vorhanden sind.

 

Warum man U. im Nachhinein wieder in Kontakt zu Kindern gelassen habe und auch kein Nachprüfverfahren angesetzt habe? Das konnte Heße nicht beantworten, nannte es gleichzeitig eine Kostenfrage, warum der Priester später nicht weiter im Auge behalten wurde. Das Bistum hatte damals nicht einmal geprüft, ob sich U. an seine Beurlaubung hielt. Er soll in dieser Zeit in Gummersbach bei einem befreundeten Arzt untergekommen sein, der ihn auch mehrfach krankschrieb. Der Dank des Priesters? Er soll die beiden Töchter des Arztes und eine beste Freundin des älteren Mädchens missbraucht haben. Vom Erzbistum habe U. zudem die Übernahme von Anwaltskosten eingefordert – immerhin die Hälfte, 3.000 Euro, soll damals geflossen sein.

 

Ob er „zum Glück“ nach Hamburg versetzt worden sei, wollte der Richter zum Schluss von Heße wissen. Es habe sich viel seitdem verändert, meinte der Bischof, sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft. „Wir haben Lernfortschritte und viele Erfahrungen gemacht.“ Die Sensibilität für das Thema sei heute viel geschärfter, ergänzte er. Ob dadurch Missbrauch in der Kirche zu verhindern sei? „Das ist stark zu hinterfragen.“

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