LOKALMIX
Zuhause sterben dürfen
Oberberg – Seit ihrem Bestehen hat die spezialisierte ambulante Palliativversorgung Oberberg bereits über 1.000 schwerstkranken Oberbergern zur Seite gestanden.
„Viele Menschen geben ihren schwerstkranken Angehörigen das Versprechen, zu Hause sterben zu dürfen – dabei wissen sie gar nicht, was auf sie zukommt“, meint Andrea Müller, Pflegedienstleiterin der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) Oberberg. Oftmals sehen sich die Angehörigen einer extrem hohen Belastung ausgesetzt und sind konfrontiert mit Trauer, Angst und Panik. Auf Wunsch können sie Unterstützung von der SAPV Oberberg erhalten, die sich um die Versorgung von schwer und unheilbar erkrankten Menschen bis zu ihrem Lebensende bemüht. „Unser oberstes Gebot ist, die Lebensqualität unserer Patienten unter Wahrung ihrer Autonomie so lange wie möglich zu erhalten“, sagt Elisabeth Jülich, Geschäftsführerin und ärztliche Leiterin der SAPV Oberberg.
[Elisabeth Jülich, Geschäftsführerin und ärztliche Leiterin der SAPV Oberberg, ist täglich für ihre Patienten erreichbar.]
Die spezialisierte ambulante Versorgung von Palliativpatienten mit Sitz in Gummersbach gibt es im Oberbergischen erst seit wenigen Jahren. „2016 haben wir uns in privater Runde zusammengefunden und überlegt, wie man die Versorgung zugunsten der Patienten professioneller gestalten kann“, erinnert sich Geschäftsführer Michael Baitz. Gemeinsam mit Edith Walter und Uwe Söhnchen, beide Inhaber eines ambulanten Pflegedienstes im Oberbergischen, entschlossen sich Jülich und Baitz für die Gründung einer ambulanten Palliativversorgung. Anfang 2017 bemühten sie sich um das Vergaberecht der SAPV – nicht zuletzt, da diese für Patienten und Dienstleister zahlreiche Vorteile mit sich bringt. So sind die Leistungen frei von einer Genehmigungspflicht und Budgetierung sowie für Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen kostenfrei. „Doch dann wurde entschieden, die Vergabe bis zur Festlegung einer bundeseinheitlichen Regelung auf Eis zu legen“, erinnert sich Baitz.
Trotzdem entschlossen sich die Gründer, den Betrieb aufzunehmen. „Wir hatten unsere Büroräume, die EDV, das Personal und auch die Fahrzeuge beisammen, doch durch den fehlenden Vergabevertrag fehlten auch die Einnahmen“, schildert Baitz. Die Gesellschafter hielten den Betrieb mit privaten Geldern aufrecht und fragten Krankenkassen an, ob sie etwas für die erbrachten Leistungen zahlen würden. „Doch nach etwa einem Jahr stand fest, dass es so nicht weitergehen kann“, so die Gründer. Bis auf den Oberbergischen Kreis, den Kreis Wesel und den Rhein-Erft-Kreis hätten zum damaligen Zeitpunkt alle nordrhein-westfälischen Kreise und kreisfreien Städte über eine SAPV verfügt. „So haben wir uns gemeinsam um eine Vergabe bemüht“, sagt Jülich. Im Dezember 2018 kam es dann zur Schiedsverhandlung und dem lang ersehnten Vertrag.
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[Rund um die Uhr sind immer eine Pflegekraft und ein Arzt im Dienst.]
Kurz darauf stieß Andrea Müller zum Team. Die examinierte Krankenschwester und Palliativpflegekraft hatte bereits über zehn Jahre SAPV-Erfahrung im Saarland gesammelt und half der oberbergischen Riege beim Aufbau. „Sie hat uns gesagt, wo es lang geht“, lacht Jülich rückblickend. Müller strukturierte den Dienstplan um und koordinierte den Einsatz der Mitarbeiter. Zentral sei dabei die Bezugspflege, um den Klienten einen ständigen Wechsel zu ersparen. Rund um die Uhr stehe das Team an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Täglich werden alle Patienten angefahren; ab 16 Uhr greift die Rufbereitschaft. Und der Dienst zahlt sich laut Jülich aus: „Noch vor einigen Jahren mussten die Palliativpatienten regelmäßig ins Krankenhaus eingewiesen werden. Das passiert nur noch sehr selten, sodass auch die damals skeptischen Hausärzte erkannt haben, welchen Vorteil eine SAPV bietet.“
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[Geschäftsführer Michael Baitz gehört zu den Gründern der SAPV Oberberg.]
Doch die SAPV Oberberg sieht sich mit ihren drei festangestellten Ärzten, acht Kooperationspartnern sowie 16 Pflegefachkräften nur als ein Glied einer Kette. „Wir sind auf ein Netzwerk unter anderem bestehend aus ambulanten Hospizdiensten, ehrenamtlichen Sterbebegleitern, Apotheken, Physiotherapeuten, Seelsorgern sowie Hospizen, Pflegediensten und betreuenden Hausärzten angewiesen“, stellt Baitz klar.
Mit diesem Netzwerk betreut die SAPV Oberberg derzeit 90 schwerkranke Menschen. Insgesamt hat sich das Team in der Kürze seines Bestehens bereits um über 1.000 Oberberger ab einem Alter von 18 Jahren gekümmert. Für Kinder und Jugendliche existieren weitere Angebote. „Momentan betreuen wir viele Menschen im mittleren Alter. Dabei handelt es sich manchmal um wenige Stunden oder Tage bis hin zu mehreren Monaten, bis ein Patient verstirbt“, schildert Müller.
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[Sitz der SAPV Oberberg ist in Gummersbach-Dieringhausen. Dort koordiniert Andrea Müller (l.), Pflegedienstleiterin der SAPV Oberberg, die Einsätze.]
Doch auch den speziell ausgebildeten Mitarbeitern kann die Arbeit mit Palliativpatienten sehr nahe gehen: „Wir werden zu Familienmitgliedern. Größtenteils leisten wir eine psychosoziale Unterstützung. Manchmal müssen wir kleinen Kindern erklären, dass die Mama oder der Papa schwer krank ist und bald ein Engel im Himmel sein wird. Und manchmal sind wir auch mit Krankheitsverläufen konfrontiert, die wir bereits in der eigenen Familie erlebt haben“, erklärt Müller. Aus diesem Grund sei ein Austausch unter den Mitarbeitern überaus wichtig. So setzt die SAPV auch eine regelmäßige Supervision ein.
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[Eine Pflegekraft betreut bis zu 15 Patienten. Nach den Touren finden sich die Mitarbeiter in Dieringhausen ein.]
Furcht vor dem Tod hätten die Patienten nicht. „Sie haben eher Angst vor dem, was davor passiert. Manchmal fragt uns jemand nach einer Tablette, doch im Gespräch stellt sich dann heraus, was die Betroffenen eigentlich bewegt. Lungenpatienten haben Angst vor dem Ersticken, andere möchten ihren Angehörigen nicht zur Last fallen“, erklärt Jülich. Sobald die Symptomlast durch die medizinischen Möglichkeiten des Teams im Hintergrund stehen würde, blühten die Patienten wieder auf: „Manche möchten noch mal in den Urlaub fahren oder Verwandte besuchen. Das können wir zum Beispiel mit dem ‚WünscheMobil‘ und der Kooperation mit anderen ambulanten Palliativversorgungen sogar leisten. Andere möchten noch einmal auf dem Balkon in der Sonne sitzen und ein Eis essen.“
Das Team der SAPV Oberberg ermöglicht schwerstkranken Menschen ein Leben ohne starke Schmerzen. „Dabei dreht sich nicht alles ums Sterben, sondern vielmehr um die Gestaltung des restlichen Lebens“, weiß Müller. Wenn die Beschwerden eines Tages doch unerträglich sein sollten, haben die Ärzte die Möglichkeit, ihre Patienten im Rahmen einer palliativen Sedierung in eine Art Dauerschlaf zu versetzen. Damit erfüllen sie ihnen einen letzten Wunsch: zu Hause sterben zu dürfen.
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