LOKALMIX

Wohngeldreform: „Gut gemeint, schlecht gemacht“

ks, pn; 30.01.2023, 12:45 Uhr
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Fotos: Alexander Stein auf Pixabay, Michael Kleinjung, Lars Weber, Leif Schmittgen.
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Wohngeldreform: „Gut gemeint, schlecht gemacht“

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ks, pn; 30.01.2023, 12:45 Uhr
Oberberg – Kaum Vorlaufzeit, zu wenig Sachbearbeiter und die notwendige Software kommt erst Anfang April – Die Auszahlung des neuen „Wohngeld Plus“ gestaltet sich auch im Oberbergischen schwierig.

Von Katharina Schmitz und Peter Notbohm

 

Seit dem 1. Januar kann das neue „Wohngeld Plus“ beantragt werden. Hinter dem Begriff versteckt sich das erweiterte Wohngeld, das die Ampel-Mehrheit im Bundestag am 10. November auf den Weg gebracht hat und bei dem es sich laut Bundesregierung um die größte Wohngeld-Reform in der Geschichte Deutschlands handelt. Für viele Haushalte in Zeiten von steigenden Preisen bei Lebensmitteln, Gas, Sprit, Strom und Gas kommt diese Hilfe wie gerufen, die Verwaltungen in den Rathäusern ächzen bundesweit allerdings unter der erhöhten Belastung durch den Ansturm.

 

Viele Menschen werden durch das „Wohngeld Plus“ wieder anspruchsberechtigt, einige können den finanziellen Zuschuss nun zum ersten Mal beantragen, nachdem die Einkommensgrenze nach oben gesetzt worden ist. Statt wie bisher 600.000 Menschen haben seit Anfang des Jahres nun etwa zwei Millionen Haushalte einen Anspruch auf Wohngeld. Dieses kann beantragen, wer zwar keine Sozialleistungen bezieht, aber trotzdem wenig Geld hat. Aber nicht nur der Kreis der Berechtigten wurde vergrößert, auch der durchschnittliche Zuschuss-Betrag wurde erhöht von rund 180 Euro pro Monat auf nun 370 Euro. Über den Internet-Wohngeldrechner können Bürger errechnen lassen, ob ein Anspruch besteht.

 

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Wann das Geld ausgezahlt wird, hängt derzeit aber an mehreren Faktoren. Neben einer dünnen Personaldecke in den Verwaltungen sorgt vor allem die fehlende Software für Verdruss. Klar ist nur: Wer einen im Januar gestellten Antrag bewilligt bekommt - egal, ob das erst im Februar oder März passiert- bekommt rückwirkend ab Januar den Zuschuss ausgezahlt. Besser spät als nie, lautet hier wohl das Motto aus Berlin. Doch wie sieht es im Oberbergischen aus? Oberberg-Aktuell hat bei einigen Verwaltungen nachgehört.

 

Bergneustadt

 

Bergneustadts Bürgermeister Matthias Thul (Foto) begrüßt das neue Wohngeld zwar, weil „der Gesetzgeber damit vor allem Familien unterstützt“. Gleichzeitig ist er aber auch verärgert, „dass der gleiche Gesetzgeber nicht in der Lage ist, die Kommunen technisch, finanziell und personell in die Lage zu versetzen, der Aufgabe nachzukommen“. Ab vollständiger Abgabe des Antrages (nicht Datum der Antragsstellung) müssen Bergneustadts Bürger derzeit mit einer Bearbeitungszeit von zwei bis drei Monaten bis zur Vorschusszahlung rechnen.

 

Größte Hürde aus Sicht der Verwaltung: Das neue IT-Verfahren zur Bearbeitung der Anträge wird vom Land erst zum 1. April in vollem Umfang zur Verfügung gestellt. Damit kann derzeit kein Wohngeldbescheid nach aktuellem Recht erstellt werden. Die Wohngeldstelle erstellt stattdessen vorläufige Kurzbescheide, damit Geld ausgezahlt werden kann. Ab April muss eine erneute Bearbeitung erfolgen – somit doppelte Arbeit für die Sachbearbeiter, die seit Januar eine neue Kollegin und die Stundenaufstockung einer Teilzeitkraft zur Unterstützung erhalten haben.

 

Nochmals erschwert wird die Bearbeitung dadurch, dass die ausführlichen zeitintensiven Beratungsgespräche stark zugenommen haben und auch der Heizkostenzuschuss II im Januar über die Wohngeldstelle abgewickelt wird. Gestellt wurden bis zum 20. Januar bislang 38 Wohngeldanträge (2022: insgesamt 455).

 

Gummersbach

 

„Gut gemeint, schlecht gemacht“, kritisiert Gummersbachs zuständiger Dezernent Raoul Halding-Hoppenheit (Foto) das „Wohngeld Plus“. Der Bund sei den kommunalen Vorschlägen nicht gefolgt, das Wohngeldverfahren zu vereinfachen. „Die mangelhafte Umsetzung geht zu Lasten der Bürger und Wohngeldstellen.“ Bis zum 19. Januar wurden im Gummersbacher Rathaus 170 Anträge gestellt (2022: insgesamt 2.112). Zwei zusätzliche Personalstellen wurden geschaffen und zusätzlich die Stundenkontingente erhöht. Zudem wurde ein sogenannter Infopoint eingerichtet. Hier soll eine der Antragsannahme vorgelagerte Beratung und Auskunft stattfinden.

 

Auch im Gummersbacher Rathaus verzweifelt man an der Tatsache, dass man die Anträge für das „Wohngeld Plus“ landesweit noch nicht abschließend bearbeiten kann, weil das Wohngeldrechnungsprogramm „WG1“ erst Ende des Quartals zur Verfügung stehen soll. Die möglichen Vorarbeiten im Rahmen der Antragsbearbeitung werden zwar durchgeführt, eine Erteilung von Wohngeldbescheiden, in denen der endgültige oder vorläufige Anspruch nach neuem Recht entsprechend den Berechnungsgrößen berechnet wird, ist aber nicht möglich. „Hieraus resultiert eine nicht von den Kommunen zu verantwortende Wartezeit“, heißt es aus dem Rathaus. Wie lange Antragssteller auf die rückwirkende Auszahlung warten müssen, sobald „WG1“ einsetzbar ist, könne man noch nicht beziffern. Klar ist nur: Die Bearbeitung der Anträge erfolgt in der Reihenfolge der Antragseingänge.

 

Hückeswagen

 

Wurden in Hückeswagen in den ersten Tagen des Jahres 2022 bis zum 10. Januar gerade mal 13 Anträge gestellt, waren es in diesem Monat im selben Zeitraum bereits 44 Anträge. Zumindest 18 Berechnungen habe man bis zum 15. Januar als Vorschussleistung zur Auszahlung anweisen können, heißt es aus dem Rathaus. Auch hier werden die endgültigen Bescheide erst erstellt, sobald dies technisch möglich ist. Die vorläufigen Kurzbescheide der Vorschusszahlungen werden dann aufgehoben und der endgültige Wohngeldbetrag mit den geleisteten Vorschusszahlungen verrechnet. Die Wohngeldstelle ist derzeit mit zwei Teilzeitkräften besetzt, deren Stundenzahl erhöht wurde, um das Aufkommen bewältigen zu können. Der Rat hat eine personelle Verstärkung bereits beschlossen.

 

Marienheide

 

„In der Summe ist es nicht so dramatisch geworden, wie wir befürchtet haben“, sagte Marienheides Bürgermeister Stefan Meisenberg (Foto) auf Anfrage von OA. Die erwartete Verdreifachung gestellter Anträge sei bislang ausgeblieben. Meisenberg spricht allerdings von einer Momentaufnahme. Möglicherweise hätten sich die Ferien und das winterliche Wetter auf die etwas zögerliche Antragsstellung in der Gemeinde ausgewirkt. Und trotzdem: Wurden im gesamten Januar 2022 insgesamt 63 Anträge gestellt, seien in diesem Jahr bis zum 20. Januar bereits 65 Anträge eingegangen. Die „berühmte Verdreifachung“ habe es bei den Erstanträgen für Mietzuschüsse gegeben: Sieben waren es im vergangenen Januar, 2023 wurden bis zum 20. Januar diesbezüglich bereits 20 Erstanträge erfasst.

 

Als Bearbeitungszeitraum nennt Meisenberg maximal drei Wochen. „Wir hatten kaum Rückstände“, so der Verwaltungschef. Doch aufgrund der bislang fehlenden IT wird es auch für die Marienheider Wohngeldstelle einen zusätzlichen Aufwand geben. „Momentan können wir für Neuanträge keine neuen Bescheide erteilen.“ Die Prüfung erfolge nur oberflächlich. Trotzdem: Antragssteller, die ihre Abschläge nicht erst ab dem zweiten Quartal erhalten möchten, würden diese auch jetzt schon leicht reduziert erhalten.

 

Meisenberg bezeichnet das „Wohngeld Plus“ als wichtige Sozialleistung, die überfällig sei – insbesondere vor dem Hintergrund steigender Mieten und Nebenkosten, die auch für den Mittelstand zunehmend problematisch sind. Um die höhere Anzahl von Anträgen zeitnah bearbeiten zu können, sei die Wohngeldstelle der Verwaltung durch eine interne Lösung verstärkt worden; eine externe Kraft konnte hierfür laut Meisenberg nicht gewonnen werden. „Wir haben im November eine Mitarbeiterin aus dem Bürgerservice abgezogen und damit die Arbeitskraft verdoppelt.“ Aufgrund der entstandenen Lücke im Bürgerservice wird dieser wahrscheinlich ab Mitte Februar nicht mehr donnerstagvormittags geöffnet sein.

 

Waldbröl

 

Laut Wohngeldstatistik wurden von der Waldbröler Verwaltung im vergangenen Jahr rund 1.300 Fälle an das Land gesendet, davon 100 Anträge im Januar. In diesem Januar wurden bis zur vergangenen Woche bereits rund 200 Wohngeldanträge gezählt. Um die Massen an Anträgen bearbeiten zu können, solle das Personal „zeitnah aufgestockt“ werden. Aktuell müssten bei der Waldbröler Wohngeldstelle auch noch Anträge aus dem November und Dezember bearbeitet werden. Die Bearbeitungszeit dauere aktuell etwa acht bis zwölf Wochen.

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