LOKALMIX

Vom "weißen Fleck" zum Anwalt der Armen

ks; 07.12.2021, 21:00 Uhr
Fotos: Caritasverband für den Oberbergischen Kreis --- Die 1989 eröffnete Begegnungsstätte der Caritas in Engelskirchen.
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Vom "weißen Fleck" zum Anwalt der Armen

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ks; 07.12.2021, 21:00 Uhr
Oberberg – Seit 50 Jahren besteht der Caritasverband für den Oberbergischen Kreis – OA blickt mit Direktor Peter Rothausen auf Vergangenes und Künftiges.

Am 1. Juli 1971 wurde der Caritasverband für den Oberbergischen Kreis vom ehemaligen Kreisdechant Joseph Herweg gegründet. Damit handelt es sich bei der oberbergischen Caritas um einen der jüngeren Verbände Nordrhein-Westfalens. Die Mitarbeiter machten es sich zur Aufgabe, Menschen in Notlagen zu unterstützen, wozu in den Anfängen vor allem italienische Gastarbeiter zählten. Heute beschäftigt die Caritas Oberberg mehr als 600 Mitarbeiter

 

OA: 50 Jahre Caritas in Oberberg: Wie blicken Sie auf die Entwicklung des oberbergischen Verbandes zurück?

Rothausen: Seit den Anfängen im Jahr 1971 ist aus der kleinen Pflanze Caritas Oberberg ein Baum mit einem weit verzweigten Astwerk geworden. Der Verband ist immer wieder gewachsen. Hatte die Caritas zu Beginn nur einen Mitarbeiter, sind heute 650 Personen bei der Organisation beschäftigt. Das ist eine rasante Entwicklung. Früher wurden bei uns sehr viele Bürokaufleute ausgebildet, sodass wir in der Region nach Bayer zu den größten Ausbildungsbetrieben zählten.

 

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OA: Warum war die Gründung des Verbandes unbedingt notwendig?

Rothausen: Joseph Herweg wurde 1971 zum Pfarrer von St. Franziskus Gummersbach ernannt und kurze Zeit später zum Kreisdechant. Eine seiner ersten Aufgaben war, in den nächsten eineinhalb Jahren einen Caritasverband zu gründen. In Köln, Düsseldorf, Wuppertal und dem Rhein-Sieg-Kreis gab es damals bereits einen Caritasverband, sodass der Oberbergische Kreis noch einen „weißen Fleck“ darstellte. Die Not war früher nicht weniger als heute. Damals lebten im Oberbergischen viele Italiener in Notunterkünften, die hier in Firmen arbeiteten. Und die Aufgabe der Caritas ist, Menschen in Notlagen zu unterstützen.

 

[Caritasdirektor Peter Rothausen.]

 

OA: Und warum ist die caritative Arbeit auch heute noch überaus bedeutend – geradezu zwingend erforderlich und damit nicht mehr wegzudenken?

Rothausen: Wir sind der Anwalt der Ärmsten der Armen. Viele Menschen müssen mit sehr wenig Geld auskommen. Wir sprechen von 1,5 Millionen erwerbsfähigen Menschen und 1,85 Millionen Kindern, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind! Schon vor der Coronakrise hatten diese Menschen zu wenig Teilhabemöglichkeiten in der Gesellschaft. Dies wird auch nach dem Lockdown für viele langzeitarbeitslose Menschen so bleiben – das Leben ist für sie und ihre Familien ein dauerhafter Lockdown. Sie können sich einen Besuch im Restaurant oder Kino nicht leisten, von Urlaub ganz zu schweigen. Unsere Entscheider in der Politik wissen oft nicht, was es bedeutet, dauerhaft im Lockdown zu leben. Daher ist es überaus wichtig, dass es Menschen gibt, die für dieses Klientel anwaltlich da sind.

 

OA: Welche Schwerpunkte werden bei der Caritas in Oberberg gesetzt?

Rothausen: Der Verband ist breit aufgestellt. Das fängt bei der Geburt an und endet mit der Altenhilfe. Fast 1.500 Kinder werden von uns in oder nach der Schule betreut und erhalten damit eine Chance auf eine bessere Qualifikation. Neben der Altenhilfe und der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen nehmen die diversen Beratungen einen großen Raum ein. Dazu gehören beispielsweise die Schuldner- und Suchtberatungen, die Integrationshilfe und das Frauenhaus. 20 Jahre lang haben wir dafür gekämpft, die Trägerschaft einer Frauenberatungsstelle für den Oberbergischen Kreis zu bekommen und diesbezüglich die letzte Versorgungslücke Nordrhein-Westfalens zu schließen. Durch die Arbeit des Frauenhauses konnten bestimmte Themen nur unzureichend angerissen werden. Das ist seit Ende 2020 anders.

 

[Seit dem 1. Juli 2021 ist Andreas Rostalski als hauptamtlicher Finanzvorstand tätig.]

 

OA: Was sind die zentralen Veränderungen der vergangenen Jahre?

Rothausen: Früher hatten wir fünf Fachbereiche, seit 2016 nur noch drei. Früher kannte man auch noch jeden Mitarbeiter, mittlerweile sind 650 Personen bei uns beschäftigt. Ich habe erkannt, dass ich mehr Verantwortung abgeben muss. Jetzt haben wir drei Fachbereichsleiter und sind nach der Umstrukturierung moderner aufgestellt: Wohnen und Gesundheit, die von Joachim Knorn geleitet wird, soziale Dienste und Einrichtungen unter der Leitung von Birgit Pfisterer und die Verwaltung, die von unserem Finanzvorstand Andreas Rostalski verantwortet wird.

 

OA: Mit welchen Schwierigkeiten war und ist die Caritas konfrontiert?

Rothausen: Wir haben viele Ideen und könnten mehr machen. Ich habe zum Beispiel von Beginn an mit Langzeitarbeitslosen gearbeitet und wünsche mir, dass wir diesen Menschen eine bessere Perspektive bieten können. Aber diese Maßnahmen sind häufig zu kurz angelegt und zu knapp kalkuliert. Ein anderes Beispiel: Vor 20 Jahren kamen nach der Schule 20 Kinder in einen Hort und wurden von drei Vollzeitkräften betreut. Heute werden in einer OGS 25 Kinder von drei Personen betreut, die zusammen nur noch auf eineinhalb Stellen kommen. Das finde ich sehr schade und da müsste seitens Landes- und Bundesregierung mehr gemacht werden. Hier sind es in erster Linie Frauen, die mit großem Herzen und viel Engagement arbeiten, um die Defizite zu kompensieren. Sie müssten dafür mehr Stunden bekommen und deutlich besser entlohnt werden. Gleiches gilt für die Altenpflege.

 

[Das 1993 eröffnete Seniorenzentrum St. Mariä-Heimsuchung in Marienheide.]

 

OA: 2009 ist die Idee entstanden, in Gummersbach ein neues Altersheim zu bauen. Mittlerweile ragt neben St. Franziskus ein imposanter Rohbau empor. Wie ist der aktuelle Stand?

Rothausen: Ich bin stolz, dass wir nach mehr als zehn Jahren endlich mit dem Bau beginnen konnten – und das mitten in der Stadt. Die Bewohner werden eine sehr gute Anbindung haben und können auch die Kirche direkt erreichen. Ich hoffe, dass wir die Gottesdienste für Personen, die das Gebäude nicht mehr verlassen können, in die Zimmer übertragen können. Im Dezember sollen bereits die Fenster eingebaut werden. Der Bau ist aufgrund der coronabedingten Kostensteigerung eine gewaltige finanzielle Herausforderung. Im Frühjahr 2023 soll das Altersheim bezugsfertig sein.

 

OA: Wie blicken Sie auf Ihr bisheriges Berufsleben zurück? War die Berufswahl für Sie richtig – weil sinnstiftend?

Rothausen: Ich wollte immer für die Kirche arbeiten und habe mich ursprünglich in der Jugendarbeit gesehen – und das habe ich auch seit 1988 bei der Caritas machen können. Zehn Jahre später habe ich dann die Gesamtleitung des Verbandes übernommen. Dieser Beruf ist eine Berufung und meine Karriere ein Geschenk. Ich habe Menschen helfen, an einem sozialeren Oberberg arbeiten und auch über unsere Region hinaus Akzente setzen können. Ich bin mit der Caritas verheiratet. Das ist mein Platz.

 

[Seit 2001 sitzt der Caritasverband im alten Arbeitsamt in der Talstraße in Gummersbach.]

 

OA: Viele Menschen wenden sich von der Kirche ab, während die Wichtigkeit der Caritas nicht abzunehmen scheint – ganz im Gegenteil.

Rothausen: Da sind zwei Seelen in meiner Brust. In der Kirche geht es nicht nur um Liturgie und Verkündigung. Die dritte Säule, nämlich in der Nachfolge Jesu zu handeln und damit Bedürftigen zu helfen, ist ganz zentral. Ohne die Caritas wäre die Kirche nicht das, was sie eigentlich ist. Wir wollen offen sein für alle Menschen. Und wir stehen sehr stolz an der Seite der Menschen. Ein Ehrenamtlicher hat zu mir gesagt: „Ich mache das nicht für die Caritas!“ Ich habe darauf geantwortet: „Ich mache das auch nicht für die Caritas und auch nicht für Köln! Ich mache das für die Menschen in Oberberg, die es besonders schwer haben.“

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