LOKALMIX

Verloren im Paragrafen-Dschungel

bv; 18.08.2021, 12:00 Uhr
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Fotos: Bernd Vorländer --- Auf Einladung von ONI-Chef Wolfgang Oehm informierte sich der oberbergische Bundestagsabgeordnete Dr. Carsten Brodesser über die Abschiebung des Lindlarers Habib Adra.
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Verloren im Paragrafen-Dschungel

bv; 18.08.2021, 12:00 Uhr
Lindlar – Mann aus Guinea wurde abgeschoben, obwohl er gut integriert war und in Lindlar einen Vollzeit-Arbeitsplatz hatte.

2015 war das Jahr des Flüchtlingsstroms. Über 800.000 Menschen baten in Deutschland um Asyl und hofften auf eine Bleibeperspektive, nachdem sich die Grenzen geöffnet hatten. Habib Adra gehörte zu ihnen. Gekommen war er aus Guinea und fand im Oberbergischen eine Bleibe, wurde in Lindlar sesshaft. Und seine Integration gelang schnell. Beim SSV Süng spielte er bald schon Fußball und fand 2016 bei einer Lindlarer Tankstelle eine unbefristete und sozialversicherungspflichtige Vollzeit-Beschäftigung.

 

„Wir wollten, dass er sich schnell integriert und einlebt“, sagt Lindlars Bürgermeister Dr. Georg Ludwig. Alles schien sich zum Guten zu wenden in Habib Adras Leben, da schien der vorläufige Duldungsstatus, den er erhielt, das kleinste Übel zu sein – was sich später als Trugschluss erwies. Adra bezog eine eigene Wohnung, zahlte Steuern und Sozialabgaben, war im Bekanntenkreis beliebt und sein Arbeitgeber war voll des Lobes über die Strebsamkeit des Mannes aus Guinea.

 

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Doch die dunklen Wolken über Habib Adra wurden immer größer. Die Beschäftigungsduldung war ja befristet und bestimmte Dokumente konnte der Mann aus dem westafrikanischen Land nicht vorlegen. Sein Arbeitgeber, die Arbeiterwohlfahrt Lindlar und die Gemeinde kümmerten sich um Adra – doch die deutschen Gesetze sind unerbittlich. Am 27. Juni wurde der Lindlarer Neubürger in sein Heimatland abgeschoben, obwohl er den deutschen Staat kein Geld kostete, sondern für die Steigerung des Bruttosozialprodukts arbeitete. Abgeschoben in ein Land, von dem das Auswärtige Amt schreibt, dass gewaltsame politische Konflikte auftreten und die Kriminalitätsrate hoch ist.

 

Für Rosi Wendeler, Flüchtlingsbeauftragte der AWO Lindlar, ein unerträglicher Zustand. Sie bat ONI-Geschäftsführer Wolfgang Oehm um Hilfe, in dessen Unternehmen auch Menschen aus Guinea beschäftigt sind. Die berichteten bei einem Treffen mit Bürgermeister Ludwig und dem oberbergischen Bundestagsabgeordneten Dr. Carsten Brodesser (CDU) über die Verhältnisse in ihrem Heimatland und machten deutlich, dass dem abgeschobenen Habib Adra dort Gefängnis drohe.

 

Brodesser zeigte einerseits Verständnis für die Sorge der Unterstützer und den Arbeitgeber des Westafrikaners, bat aber auch darum, das Handeln der Kreisausländerbehörde zu verstehen, die die Abschiebung verfügt hatte. Behörden müssten Gesetze ausführen. „Herr Adra ist leider an formalen Kriterien gescheitert“, so Brodesser. Auch Inga Kronenberg von der Gemeinde Lindlar hatte sich für eine Bleibeperspektive stark gemacht. „Alle wären glücklich gewesen, wenn Habib Adra geblieben wäre.“

 

Doch das ist er nicht. Eine Aufenthaltserlaubnis, die einer Beschäftigungsduldung gefolgt wäre, erhielt er – obwohl durchaus möglich - nicht, weil offenbar Fragen zu seiner Identität zu spät beantwortet wurden. Da spielt es keine Rolle, dass sein Arbeitgeber ihm einen fünfjährigen Arbeitsvertrag geben will, weil er von seinen Fähigkeiten überzeugt ist. Und auch die Bereitschaft von ONI-Chef Wolfgang Oehm, Habib Adra (Foto) den Rückflug zu bezahlen, geht ins Leere, weil Deutschland dem Mann aus Guinea eine mehrjährige Wiedereinreisesperre aufgebrummt hat.

 

Was bleibt? Ein Flüchtling, der nicht asylberechtigt war, wurde dennoch in Deutschland integriert, in ihn wurde auch investiert. Im Anschluss stand er auf eigenen Beinen. Nach Aktenlage wurde er dann nach Jahren abgeschoben. Volkwirtschaftlich ist das Unsinn. Und ansonsten? Hat offenbar niemand einen Weg gefunden, einen beliebten, strebsamen und in seinem Job anerkannten Mann vor der Unerbittlichkeit deutscher Gesetzestexte zu schützen.

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