LOKALMIX
"Keine Arztpraxis ist so sauber wie unsere Studios"
Oberberg - Seit Mittwoch dürfen auch Tattoo-Studios wieder öffnen.
Von Peter Notbohm
Zu Beginn der Woche herrschte nicht nur bei Bianca Lenzhölzer großer Frust. Die 34-Jährige ist Inhaberin der beiden Tattoostudios „Hautnah“ in Wiehl und Lindlar. Während die NRW-Regierung um Ministerpräsident Armin Laschet in den vergangenen Wochen zahlreiche Lockerungen der Corona-Maßnahmen beschloss, mussten Tattoostudios deutlich länger warten, bis sie wieder ihrer Arbeit nachgehen durften. Über die sozialen Medien zeigten viele Tattoo-Künstler ihre Unmut über die für sie unbefriedigende Situation. Am Dienstagabend ging es dann aber plötzlich sehr schnell. Ohne große Vorankündigung sorgte die Staatskanzlei NRW per Tweet für Erleichterung bei Tätowierern und Kunden. Als letztes Bundesland dürfen seit Mittwoch auch hier die Tattoo-Studios wieder öffnen.
[Abstände sind beim Tätowieren nicht einzuhalten.]
Die Erleichterung bei Bianca Lenzhölzer, endlich ihrer Leidenschaft wieder nachgehen zu dürfen, ist zwar groß – wie wahrscheinlich bei all ihren Kollegen – warum Friseure, Massage- und Fingernagelstudios schon früher wieder öffnen durften, kann die gelernte Grafikdesignerin allerdings weiterhin nicht nachvollziehen. Denn in Tattoo-Studios herrschten schon lange vor der Corona-Pandemie sehr hohe Hygiene-Standards. „Keine Arztpraxis ist so sauber wie unsere Studios“, meint Lenzhölzer. Handschuhe und Mundschutz gehören schon lange zur Norm, um Infektionen beim Tätowieren zu vermeiden, auch die Instrumente werden regelmäßig sterilisiert und desinfiziert. Dazu kommen europaweit einheitliche Schutzverordnungen für Hygiene und Tinte – in Deutschland seien diese sogar noch eine Stufe höher. „Die neuen Corona-Regeln sind noch zu schwach für unsere eigenen Standards“, sagt die Tattoo-Künstlerin.
Ein Unterpunkt der „neuen“ Hygiene- und Infektionsschutzstandards sorgt bei ihr allerdings für Kopfschütteln. Bei gesichtsnahen Dienstleistungen und nicht einhaltbaren Schutzabständen sollen Tätowierer zusätzlich zur Maske auch eine Schutzbrille oder ein Gesichtsschild tragen heißt es in Absatz V Unterpunkt 5. der Anlage zur Coronaschutzverordnung. „Tätowieren ist eine sehr genaue Körperkunst. Durch diese Schutzbrillen kann man nicht mehr millimetergenau arbeiten, weil der Blick verzerrt wird und scharfes gucken damit nicht mehr möglich ist“, will Lenzhölzer in dieser Sache am heutigen Freitag auch noch einmal nachhaken.
[Hygiene wird in Tattoo-Studios groß geschrieben.]
In ihren beiden Studios müsse sie dagegen nur geringe Anpassungen vornehmen. In Lindlar wird zusätzlich eine Plexiglasscheibe im Eingangsbereich installiert, zudem muss sie Desinfektionsständer für die Kundschaft aufstellen. Problematischer ist schon eher die Vergabe von Terminen. Tattoo-Künstler sind häufig auf viele Monate, teils Jahre, ausgebucht. Große und aufwendige Tattoos werden häufig in mehreren stundenlangen Sitzungen gestochen.
Sie selbst ist eigentlich für die nächsten beiden Jahre ausgebucht, diese Termine nun neu zu koordinieren, werde eine anspruchsvolle Aufgabe – auch weil sie ihre Räume aufgrund der Abstandsregeln nicht mehr so nutzen kann, wie vor der Pandemie. Ihre Mitarbeiter werde sie in zwei feste Teams aufteilen, um mögliche Infektionsketten klein zu halten. Auch der Wartebereich bleibt – wie bei Friseuren - geschlossen. Wie sich das auf Laufkundschaft auswirken wird, müsse sich zeigen. „Dazu kommt, dass bei vielen das Geld nicht mehr ganz so locker sitzt, auch wenn wir schon viel positives Feedback bekommen haben, dass wir wieder eröffnen.“
Die Monate des Lockdowns sind auch an ihrem Unternehmen nicht spurlos vorbeigegangen. Anfangs habe sie noch versucht ohne Kurzarbeit für ihre neun Angestellten auszukommen, im vergangenen Monat musste sie diese aber doch anmelden. Auch die von Finanzminister Olaf Scholz ausgeschütteten Finanzhilfen seien angesichts hoher Fixkosten schnell aufgebraucht gewesen. Mit der Aussage, dass Tattoo-Studios nicht notwendig seien, hätte sie sich zudem von der Politik im Regen stehen gelassen gefühlt. „Natürlich bieten wir eine Luxusleistung an, aber wenn ich sehe, wie viel Steuern wir zahlen, fühlt sich eine Aussage, überflüssig zu sein, nicht wirklich schön an“, hätte sie sich mehr Zusammenhalt gewünscht und nicht nur Maßnahmen für große Firmen.
„Richtig sauer“, war sie nach eigener Aussage aber vor allem darüber, dass ihr auch verboten wurde, Notfälle zu bearbeiten. „Mit eingerissenen Piercings kann man nicht ins Krankenhaus gehen, weil diese dann entfernt und nicht gerettet werden“, sagt sie. Die Heilung von vor der Corona-Krise frisch gestochenen Tattoos musste in den vergangenen Wochen über Skype verfolgt werden. „Dabei sind das notwendige Behandlungen.“ Wo diese unabdingbar waren, habe sie sie gemacht - „kostenlos“ wie Lenzhölzer sagt.
Ihre beiden Studios wird sie am 28. Mai wiedereröffnen – eine Woche später als erlaubt, auch um die Maßnahmen möglichst sinnvoll umsetzen. „Unsere Kunden sollen sich schließlich trotzdem bei uns wohlfühlen, schließlich geben wir ihnen mit unserer Kunst etwas für ihr Leben und die Ewigkeit mit.“
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