LOKALMIX

Rekapitulation eines Epochenbruchs

us; 26.01.2023, 15:10 Uhr
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Fotos: Ute Sommer, Lars Weber (Archiv/2) --- Als Gummersbacher Stadtarchivar von 1987 bis 2018 ist Gerhard Pomykaj profunder Kenner der Stadthistorie.
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Rekapitulation eines Epochenbruchs

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us; 26.01.2023, 15:10 Uhr
Gummersbach – Im Rahmen einer Lesung aus dem bisher unveröffentlichten dritten Band der "Gummersbacher Geschichte" thematisierte der Lokalhistoriker Gerhard Pomykaj die Geschehnisse rund um die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933.

Von Ute Sommer

 

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 kennzeichnet einen Epochenbruch, dessen weltgeschichtliche Tragweite nur die Wenigsten ahnten. Anlässlich des 90. Jahrestages, von dem an die menschenverachtende NS-Diktatur Unglück über Deutschland und die ganze Welt bringen sollte, beleuchtete der ehemalige Gummersbacher Archivar und Stadthistoriker Gerhard Pomykaj schlaglichtartig die lokale Geschichte Gummersbachs in den 1930er-Jahren.  Angesichts des wachsenden globalen Rechtspopulismus sehe er die Demokratie in Gefahr, warnte der Referent, bekräftigte aber gleichzeitig seine Überzeugung, dass man Lehren aus der Geschichte ziehen könne.

 

Vor rund 120 Zuhörern in der Halle 32  - veranstaltet wurde der Vortragsabend von der Volkshochschule Gummersbach - beschrieb Pomykaj den zeitgeschichtlichen Rahmen, der mit Weltwirtschaftskrise, dem verlorenen Krieg und einem diffusen Gefühl der Demütigung zum Erstarken anti-demokratischer Tendenzen führte. Genau wie im gesamten Reich kam die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler für die Gummersbacher Nationalsozialisten völlig überraschend, doch feierten sie das Ereignis, zusammen mit dem deutschnationalen Stahlhelm, im evangelischen Gemeindehaus. Die liberale "Volkszeitung" rief blauäugig dazu auf, "die Dinge möglichst nüchtern zu betrachten". SPD und Kommunisten organisierten kleinere Proteste, in Marienheide kursierte ein KPD-Flugblatt, das zum Generalstreik gegen Hitlers Faschismus aufrief, doch beschränkte sich der Widerstand mutiger Gummersbacher auf Einzelpersonen und kleine Gruppen.

 

Der Referent schilderte, wie die Nationalsozialisten nach dem Reichstagsbrand die Gelegenheit ergriffen, die Grundrechte außer Kraft zu setzen und die gezielte Verfolgung ihrer politischen Gegner aufnahmen. Nach Hausdurchsuchungen wurden willkürlich 22 Kommunisten aus Gummersbach in "Schutzhaft" genommen, genauso wie 16 SPD-Mitglieder. Anders als im Kreissüden, wo die NSDAP bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 übergroßen Zuspruch einfuhr, votierten in der Stadtgemeinde Gummersbach 35,5 Prozent für die Nationalsozialisten - ein Ergebnis, das acht Prozent unter dem Reichsdurchschnitt lag.

 

Tiefen Respekt im Gummersbacher Bürgertum hinterließ jedoch der sich anschließende Staatsakt in der Potsdamer Garnisonskirche, mit dem der gewählte Reichstag eröffnet wurde. In der Windhagner Schulchronik fand das Ereignis ebenso hymnische Erwähnung wie auf der Aggersynode, wo der Gummersbacher Superintendent Herbert von Oettingen Hitler als "Lebensretter für das Volk und die Kirche" pries.

 

Nach einer Annonce in der Gummersbacher Zeitung nahmen im Ort 6.000 bis 8.000 Einwohner an einer Kundgebung für die "Einigkeit und Wiedergeburt der Nation" teil, unterstützten aus Überzeugung, sozialem Druck oder Opportunismus die Gewaltherrschaft. Sukzessive wurden Schaltstellen in Verwaltung und Versammlungen durch treue NS-Vasallen besetzt und das vielgestaltige örtliche Vereinswesen gleichgeschaltet. Ab April 1933 wurde öffentlich zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen und, wie das Kampfblatt "Oberbergischer Bote" seinerzeit voller Menschenverachtung schrieb, von SA- und SS-Angehörigen "planmäßig und mustergültig" umgesetzt.

 

Detailliert schilderte der Pomykaj, wie das perfide nationalsozialistische Gedankengut die Stadtgesellschaft infiltrierte und man sich, parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung, mit den terroristischen Machthabern arrangierte. Bemerkenswert sei, wie sachte und doch vollumfänglich sich der epochale Systemwechsel vollzogen habe. 

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