LOKALMIX

Illegale Arbeiten im Flussbett der Agger?

lw; 03.04.2023, 11:00 Uhr
Fotos: Paul Kröfges --- Ein Bild vom Stand der Bauarbeiten am Stauwehr Ohl-Grünscheid im August des vergangenen Jahres. Der Kies wurde für die Arbeiten extra angehäuft.
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Illegale Arbeiten im Flussbett der Agger?

lw; 03.04.2023, 11:00 Uhr
Engelskirchen – Unternehmen soll im Rahmen von Sanierungsarbeiten am Stauwehr Ohl-Grünscheid Kies und eine Insel weggebaggert haben – BUND hat Strafanzeige gegen die Firma und die Bezirksregierung gestellt (AKTUALISIERT).

Von Lars Weber

 

Das Wasserkraftwerk Ohl-Grünscheid wurde aufgrund eines maroden Stauwehrs im Jahr 2019 stillgelegt. Es herrschte Gefahr in Verzug.  Seitdem floss die Agger an dieser Stelle frei, die Flusslandschaft konnte sich zur Freude von Umweltschützern natürlich entwickeln. Die bayerische Auer Holding, der sechs Wasserkraftwerke an der Agger gehören, hat nun das Stauwehr im vergangenen Jahr sanieren lassen. Dabei – so der Vorwurf des Fischereiverbands NRW und des BUND – habe die Firma größtenteils ohne die nötigen Genehmigungen agiert und illegal ins Flussbett der Agger eingegriffen – mit katastrophalen Folgen für die Fischwelt. Zuerst hatte der WDR über die Vorgänge berichtet.

 

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Auf die Arbeiten aufmerksam wurden die Umweltschützer bereits im vergangenen Jahr. So sei am Wehr die Agger teils zugeschüttet worden, damit an der Sanierung gearbeitet werden konnte. Damit die schweren Fahrzeuge überhaupt an die Baustelle gelangen konnten, habe die Firma Kies aus der Agger verwendet, um damit Baustraßen anzulegen. Auch Bäume wurden dafür entfernt. Auffällig in der Agger: Vor Beginn der Maßnahme gab es im Gebiet des Wasserkraftwerks Ohl-Grünscheid eine Insel, die sich aus der Agger erhob. Nach Abschluss der Arbeiten war davon nichts mehr zu sehen.

 

Dr. Olaf Niepagenkemper vom Landesfischereiverband: „Es hat den Anschein, dass Kies aus dem Wasser entnommen wurde für die Wege, und zwar eine erhebliche Menge“. Für die Fischwelt und das gesamte Ökosystem des Flusses habe dieser Eingriff fatale Konsequenzen. "Den Kies in diesen flachen Bereichen nutzen Fische, um ihre Eier dort hineinzulegen.“ In der Agger sind das zum Beispiel Bachforelle, Esche oder Mühlkoppe. Wenn nun in dem Gewässer gebaggert wird, verstopft der aufgewirbelte Sand und andere Sedimente das Laichgebiet. Es dringt kein Sauerstoff mehr durch, die Eier sterben ab.

 

[Vorher und nachher: Die Agger unterhalb des stillgelegten Wasserkraftwerks Ohl-Grünscheid im Jahr 2020 – die Insel im Hintergrund wurde bei den Bauarbeiten komplett beseitigt.]

 

Darüber hinaus würde den Fischen durch das Wegbaggern dringend benötigter Lebensraum genommen. In einem frei fließenden Fluss würde das Wasser sich frische Sedimente von den Rändern holen und im Flussbett verteilen. In einem befestigten Fluss passiere dies nicht. Die Laichgründe, die sich in zwei Jahren freiem, ungestörten Durchfluss entwickelt haben, seien nun zerstört.

 

„Für das Arbeiten im Wasser gibt es strenge Auflagen und Kontrollen“, sagt Paul Kröfges, Sprecher der BUND-Regionalgruppe Köln und Vertreter der Naturschutzverbände in der Aggerverbandsversammlung. Bis vor Kurzem ging er davon aus, dass alle Genehmigungen vorliegen und die Maßnahmen kontrolliert wurden, weshalb er nicht vorher aktiv geworden sei. Dann fand er heraus, dass dem nicht so gewesen sein soll. „Hier wurde einfach gemacht!“, ist er empört und wütend. Von Februar bis September 2022 soll gearbeitet worden sein, sagt er. Also teils auch zu Zeiten, in denen dies aufgrund der Laichzeit nicht erlaubt sei.

 

Es scheint, als seien Tatsachen geschaffen worden, sagt Dr. Niepagenkemper. Der Eingriff in die Agger am Stauwehr Ohl-Grünscheid soll laut Kröfges nicht der einzige illegale gewesen sein. Auch an der Anlage Ehreshoven soll eine Baustraße mit Agger-Kies bis an den Fluss angelegt worden sein.

 

[So wie im obigen Bild sind die Wege in dem Bereich eigentlich geschaffen. Manche Wege wurde im Zuge der Arbeiten ausgebaut, mit Kies aus der Agger, wie die Umweltschützer vermuten.]

 

Dass der Kies aus der Agger kommt, könne man an Rückständen aus der Erz-Schmelze erkennen, die jetzt an dem neu angelegten Weg liegen. Diese „Agger-Diamanten“ findet man sonst nur im Flussbett, meint Friedrich Meyer, Flussgebietskoordinator für die Agger vom Wassernetz NRW.

 

Die Bezirksregierung habe die Vorgänge ignoriert, meint Kröfges, obwohl darauf hingewiesen wurde. Darum hat der BUND Strafanzeige gestellt: Gegen die Bezirksregierung Köln wegen Untätigkeit und gegen die Auer Holding wegen des Verstoßes gegen das Landesnaturschutzgesetz und wegen Gewässerverunreinigung.

 

Stellungnahme des Aggerverbandes

 

Auf Anfrage von OA nahm der Aggerverband wie folgt Stellung:

 

Die Staustufe Ohl-Grünscheid befindet sich nicht im Besitz des Aggerverbandes. Es wurde bisher keine Stellungnahme des Aggerverbandes angefordert.

 

[…]


Der Aggerverband ist auch für den rund 750 Meter langen Gewässerabschnitt zwischen der Staustufe Ohl-Grünscheid und der Staustufe Ehreshoven unterhaltungspflichtig. Da der Verband für insgesamt 3.000 Kilometer Fließgewässer zuständig ist und der besagte Abschnitt als unterhaltungstechnisch sehr unauffällig gilt, wurde in den letzten Monaten keine Kontrollen durchgeführt. Im Frühjahr steht die jährliche Begehung in diesem Abschnitt an, unter anderem auch um Müll und Unrat zu bergen.
 

[…]


Eine Beschädigung des Bachbettes bzw. eine Zerstörung von Laichplätzen kann bei der zurzeit herrschenden Abflusssituation nicht beurteilt werden.  Der Aggerverband hat bisher keine eigenen Untersuchungen in diesem Bereich veranlasst, auch da dem Aggerverband keine sogenannte Nullprobe vorliegt, um Vergleiche anstellen zu können. Untersuchungen dieser Art sind zudem eng mit den zuständigen Behörden abzuklären. Erkenntnisse zum ursprünglichen Zustand können aus den Steckbriefen der Planungseinheiten für das Teileinzugsgebiet Rhein/Sieg NRW für den Bewirtschaftungszeitraum 2022-2027 (MULNV NRW, Dez. 2021) entnommen werden. Diese ist im Internet frei verfügbar. Der betroffene Wasserkörper 2728_29048 wurde als HMWB, Fallgruppe Wasserkraft, eingestuft und hatte dadurch schon vor dem beschriebenen Eingriff einen schlechten ökologischen Zustand bzw. Potential.

 

Die Bezirksregierung Köln antwortet auf Nachfrage, dass ihr die Situation vor Ort bekannt sei. So wurden Gehölzarbeiten an einem Weg unter Auflagen zugestimmt. Auch über die Herstellung der Baustraße in Ohl-Grünscheid im Wald wusste die Bezirksregierung Bescheid, das Vorgehen sei mit dem Betreiber der Anlage abgestimmt und mit Auflagen versehen gewesen. "Art, Zeit und Umfang der Arbeiten, auch hinsichtlich der Belange des Naturschutzes, wurden festgelegt."

 

Anders sieht das bei den Arbeiten im Flussbett aus: "Für das Ausbaggern und Umlagern von Kiesbänken wurde von der Bezirksregierung Köln keine Genehmigung oder Freistellung erteilt. Aktuell wird die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahren geprüft. Auch eine Baustraße im Aggerbett wurde nicht genehmigt." Die Frage nach den Arbeiten am Flussbett der Agger in Ehreshoven beantwortete die Bezirksregierung nicht explizit.

 

OA hat am Donnerstagmorgen eine Stellungnahme bei der Auer Holding angefragt. Das Unternehmen hat diese Anfrage bislang unbeantwortet gelassen.  

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