LOKALMIX

Erinnern als Mahnung für die Zukunft

us; 28.01.2020, 11:56 Uhr
Bilder: Ute Sommer --- Auf Bitten von Marion Reinecke (re.) berichtete Jeanette Hoffmann die Geschichte ihrer Mutter Erna, die in Auschwitz unaussprechliche Qualen erlitt.
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Erinnern als Mahnung für die Zukunft

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us; 28.01.2020, 11:56 Uhr
Nümbrecht - Zur zentralen Oberbergischen Gedenkfeier für alle Opfer des Nationalsozialismus und den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz hatten gestern der Freundeskreis Nümbrecht/Mateh Yehuda und die Gemeindeverwaltung ins Rathaus geladen.

Von Ute Sommer

 

Das Rathausfoyer war berstend voll, viele Besucher reihten sich, In Ermangelung von Sitzplätzen, entlang der Wände auf.  "So viele Menschen hatten wir noch nie hier", wertete Bürgermeister Hilko Redenius die riesige Resonanz als ein eindrückliches Zeichen gegen das Vergessen der nationalsozialistischen Bestialität. Im Mittelpunkt der Zusammenkunft stünde nicht die Anklage, sondern die Klage über den Tod von mehr als sechs Millionen NS-Opfern und die Erinnerung an das unsägliche Leid. "Wir dürfen unsere Geschichte weder vergessen noch verdrängen, sondern sollten sie als dringende Mahnung begreifen, dass sich antisemitische Ansätze nicht ausweiten", riet er mit Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Situation.

 

Einen sehr persönlichen Einblick in seine Erfahrungen, Gefühle und Gedanken, gestattete Hollenberg-Gymnasiast Malte John, der im Rahmen der Gedenkstättenfahrt der Stufe 11 das KZ Ausschwitz-Birkenau im letzten Jahr besuchte. "Beim Anblick der Baracken, des Erschießungsplatzes, unterirdischer Zellen, der Selektionsrampe und der Gaskammern fühlte ich Leere ", berichtete der Oberstufenschüler, dem nicht nachvollziehbaren Schrecken nur mit innerer Distanz getrotzt zu haben. Als unmittelbares Erleben und überwältigenden Moment hingegen, beschrieb er die Bildergalerie unzähliger Portraitfotos ehemaliger Häftlinge, in der Namen und Daten Auskunft über deren menschliche Schicksale gaben. Aus den schier unfassbaren Zahlen und Fakten des Krieges traten hier unmittelbar einzelne Menschen mit Träumen und Zukunftsplänen hervor, die rücksichtslos zunichte gemacht wurden. "Ich war vieles, war traurig, überfordert, aber vor allem tief beeindruckt", legte der Schüler sein nachhaltiges Empfinden des Erlebten dar.

 

[Als Duo "Shoshan" umrahmten Waltraud und Raimund Rennebaum die Gedenkfeier mit authentischen Psalm-Gesängen in hebräischer Sprache.]

 

 "Ich bin heute auf Bitten meiner Freundin Marion Reinecke über meinen Schatten gesprungen", unterstrich Jeanette Hoffmann, die überhaupt erst zum zweiten Male öffentlich über die Vergangenheit ihrer jüdischen Familie redete. Als Tochter der Auschwitz-Überlebenden Erna Hoffmann schilderte Jeanette das grauenhafte Erleben der Mutter, die in Block 10, mit 800 weiteren Jüdinnen, vom SS-Arzt Carl Clauberg als "menschliches Versuchsmaterial" für Massen-Sterilisationen missbraucht wurde. Bei der Clausberg entwickelten operationslosen Sterilisation wurde den Frauen eine Chemikalie in die Eileiter injiziert, die eine starke Entzündung bewirkte, die, wenn nicht den sofortigen Tod, so doch das Zusammenwachsen der Eierstöcke zur Folge hatte. Gegenüber SS-Reichsführer Heinrich Himmler rühmte sich Clauberg, mit entsprechender Ausstattung und Personal bis zu 1.000 Frauen pro Tag sterilisieren zu können.

 

Als eine von 300 Überlebenden musste Erna Hoffmann danach den Todesmarsch nach Bergen-Belsen antreten, wo sie im April 1945 von den Briten befreit wurde. "Meine Mutter hat gegen den Verbrecher Clauberg gesiegt", unterstrich die emotional bewegte Jeanette Hoffmann, die nach glücklicher Rückkehr des Vaters, im August 1946 das Licht der Welt erblickte. Wie sehr jüdisches Leben in Deutschland auch heute wieder bedroht ist, veranschaulichte Marion Reinecke als Vorsitzende des Freundeskreises Nümbrecht/Mateh Yehuda, den mit massiven Beschimpfungen und antisemitischen Schmähungen gegenüber dem  Rabbiner der Kölner Synagogengemeinde, Rabbi Yechiel Brukner. "Dass sie so zahlreich hier erschienen sind, macht Mut, denn jeder Einzelne ist wichtig, dass sich Geschichte nicht wiederholt.“

 

[Jeanette Hoffmann (re.) war in Begleitung von Sohn, Schwiegertochter und Enkel (v.li.) nach Nümbrecht gekommen und gestaltete zusammen mit Andreas Kliesch als Pfarrer der ev. Kirchengemeinde, Marion Reinecke, Malte John und Hilko Redenius eine eindrückliche Gedenkfeier.]

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KOMMENTARE

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https://www.achgut.com/artikel/der_holocaust_war_eine_klimakatastrophe_die_sich_nicht_wiederholen_darf

Rolf Gerhards, 28.01.2020, 20:01 Uhr
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