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Energiepreis-Explosion verschont weder Kunden noch Anbieter

lw; 06.01.2022, 16:35 Uhr
Symbolfoto: AB Electrical & Communications Ltd
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Energiepreis-Explosion verschont weder Kunden noch Anbieter

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lw; 06.01.2022, 16:35 Uhr
Oberberg – Lieferstopps und Insolvenzen von Billiganbietern haben auch Auswirkungen im Oberbergischen – Grundversorger erklären die Lage.

Von Lars Weber

 

Anfang Dezember stellte der Energieanbieter Gas.de seine Lieferungen ein, kurz vor Weihnachten folgte der Anbieter Stromio. Das Unternehmen Neckermann-Strom hat schon Insolvenz angemeldet. Nur drei Beispiele von Dutzenden Billiganbietern im Energiesektor, die in den vergangenen Wochen Lieferstopps ankündigten oder pleite gegangen sind. Tausende Kunden – auch im Oberbergischen – sind betroffen. Der Energiemarkt befindet sich in einer extrem turbulenten Phase. Das hat Auswirkungen. Für jene Kunden, die durch den Lieferstopp von jetzt auf gleich in die Grundversorgung fallen. Aber auch für die Grundversorger selbst, die alle Mühe haben, den unvermittelten Kundenzuwachs zu managen. 1.500 Strom- und Gaskunden im Netz der Bergischen Energie- und Wassergesellschaft (BEW) waren betroffen und mussten im Dezember aufgenommen werden. Bei der AggerEnergie gab es allein wegen Stromio und Gas.de mehr als 3.000 Neukunden.

 

Eines ist klar: Die größten Verlierer sind im Moment jene Kunden der erwähnten Energieanbieter (siehe auch Tipps von der Verbraucherzentrale). Die gekündigten Verträge über Strom oder Gas sicherten ihnen eigentlich Preise zu, die zumeist sicherlich unter jenen der Energiegrundversorger vor Ort lagen. Diese Kunden müssen dafür jetzt viel tiefer in die Tasche greifen als zuvor. Denn vor allen sie bekommen die volle Härte der Situation zu spüren. Doch auch vor Bestandskunden wird die Entwicklung kaum haltmachen.

 

Bei der Bergischen Energie- und Wassergesellschaftgesellschaft (BEW) beispielsweise zahlen Bestandskunden seit Anfang Januar 33 Cent pro Kilowattstunde. Für Neukunden, die seit dem 20. Dezember dazukommen, kostet die Kilowattstunde rund 70 Cent. Ein durchschnittlicher Privathaushalt mit einem Verbrauch von 3.500 kWh Strom zahlt demnach aktuell als Neukunde in der Grundversorgung 2.630 Euro und somit etwa doppelt so viel wie Bestandskunden in der Grundversorgung. Immerhin bietet die BEW jenen Neukunden noch einen langfristigen Sondertarif an, mit dem der Preis bei oben genanntem Verbrauch auf etwa 1.367 Euro schrumpft – aber sie müssen sich zwei Jahre an die BEW binden.

 

Eine Variante, die gerade nicht überall möglich ist. Abgesehen von den Gemeindewerken Nümbrecht (GWN), wo das Verhältnis zwischen Neu- und Bestandskunden noch etwas moderater ausfällt als bei der BEW, sieht das Preisgefälle bei der Belkaw oder der AggerEnergie momentan ähnlich aus.

 

Peter Lenz, Sprecher der AggerEnergie, erklärt die Entwicklung: „Für unsere Bestandkunden kaufen wir langfristig entsprechende Energiemengen ein. Doch für so viele neue Kunden, wie sie in den vergangenen Wochen plötzlich hinzugekommen sind, haben wir natürlich im Vorfeld, als die Preise noch wesentlich günstiger waren, keine Energie eingekauft.“ Also müsse die AggerEnergie nun für die von den Energie-Discountern vor die Tür gesetzten Neukunden kurzfristig an der Energiebörse nachkaufen – „zu deutlich schlechteren Konditionen“. Diese kurzfristigen Einkäufe machten teurere Preise notwendig, die an die Neukunden weitergegeben werden müssen, auch um die Bestandskunden zu schützen.

 

„Wir wollen und können diese Kosten nicht auf alle Kundenpreise umlegen, weil das Ausmaß weiterer Insolvenzen von Anbietern nicht vorhersehbar ist", sagt Karina Tuttlies, Geschäftsführerin der GWN. Gerade im Dezember seien die Preise auf dem Markt "explosionsartig" angestiegen. "Sie sind nahezu unkalkulierbar geworden." Tuttlies ergänzt, dass sie deshalb auch bei den Bestandskunden in den nächsten Monaten Handlungsbedarf sieht. Hier sei der Umfang weiterer notwendiger Erhöhungen jedoch wesentlich geringer als bei Neukunden.

 

Die Entwicklung hat laut Tuttlies vor allem in diesem Jahr Fahrt aufgenommen. „In den vergangenen Jahren waren die Beschaffungskosten, die wir als Energieversorger für Strom und Gas zahlen mussten, relativ konstant und gut kalkulierbar.“ Seit Jahresmitte hätten sich die Preise sowohl für eine langfristige, als auch für eine kurzfristige Beschaffung aber vervielfacht.

 

Tipps von der Verbraucherzentrale
 

Die Verbraucherzentrale NRW hat auf ihrer Internetseite in einem ausführlichen Bericht Tipps zusammengetragen, wie sich Kunden verhalten sollten, denen von einem Energieanbieter gekündigt wurde. Unter anderem sollten Kunden einen möglichen Schadenersatzanspruch gegenüber dem einstellenden Anbieter prüfen und diesen auch geltend machen, so die Verbraucherzentrale. Dazu finden sich dort auch Musterbriefe. Hier geht es zu der Verbraucherzentrale NRW.

 

Das liege zum einen an einer steigenden Nachfrage nach Energie aufgrund der weltweiten konjunkturellen Erholung. „Das aktuelle weltweite Anspringen der Konjunktur, insbesondere in Asien, sorgt für einen enormen Energiebedarf, was die Preise an der Börse hierzulande regelrecht explodieren lässt“, sagt auch Lenz. Dort spielt auch mit hinein, dass in Deutschland zu Beginn der Heizperiode nur geringe Lagerbestände aufgebaut worden seien, wie die Belkaw schon im November berichtete.

 

Zum anderen, so Tuttlies weiter, sind die Kosten für die Produktion von konventionellem Strom gestiegen, beispielsweise sind in den vergangenen Monaten die Preise im Gas-Großhandel extrem angezogen, und dies verteuert die Stromerzeugung in Gaskraftwerken. Dazu kommen steigende Netzentgelte für den Aus- und Umbau der Stromnetze im Zuge der Energiewende. Alles Faktoren, die zur Folge haben, „dass es in Deutschland in den vergangenen Monaten rund 40 Unternehmenspleiten oder Lieferstopps von Billiganbietern gegeben hat“, erklärt Lenz weiter. Und hier kommen dann wieder die Grundversorger ins Spiel, die dies auffangen müssen.

 

„Wir haben versucht, unsere Kunden nur mit wirklich unumgänglichen Preisanpassungen zu belasten, die aktuelle Lage lässt uns keine andere Wahl“, so Tuttlies. Neukunden außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung nehmen die GWN aufgrund der Situation momentan nicht an. Auch bei der Belkaw und der BEW lassen sich die Auswirkungen erkennen. Bei der Belkaw ist beispielsweise der Tarifrechner auf der Website gerade inaktiv mit Verweis auf die Entwicklungen auf den Energiemarkt. Bei der BEW seien Neukunden aus den Grundversorgungsgebieten zwar willkommen, alle anderen können aber nicht aufgenommen werden. „Für unsere Bestandskunden gibt es keine Auswirkungen“, so Lenz für die AggerEnergie. Neukunden konnte man bis jetzt außer der Grundversorgung keine Sonderverträge anbieten, beispielsweise mit festen Preisen über ein oder zwei Jahre. Dies wird aber im Laufe der nächsten Woche wieder möglich sein.

 

Tuttlies verspricht, „jede Gelegenheit zu nutzen, die Preise auch schnell wieder zu senken, sobald es möglich ist“. Thomas Erbslöher, Prokurist und Abteilungsleiter Kundenservice bei der BEW, sagt aber auch: „Sollte das Beschaffungspreisniveau auf absehbare Zeit so bleiben, wird die Grundversorgung für Bestandskunden auch teurer und die Preise rücken näher zusammen“.

 

Wie sich die Situation weiterentwickelt, dies hänge maßgeblich von der Lage an der Börse ab. „Da sind uns weitestgehend die Hände gebunden“, so Lenz weiter. Unter anderem werde auch die weitere Entwicklung der Pandemie entscheiden, wie es am Energiemarkt weitergeht. Wer zumindest veränderte Rahmenbedingungen schaffen könnte, das ist die Politik, so Lenz. „Schließlich machen in Deutschland beispielsweise mehr als 50 Prozent des Strompreises staatliche Umlagen, Steuern und Abgaben aus, die eigentliche Herstellung des Stromes und dessen Vertrieb dagegen weniger als ein Drittel.“

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KOMMENTARE

1

Verwunderlich ist das nicht.
Wurden doch allein zum Jahreswechsel mehrere Gigawatt an "konventioneller" Energieversorgung abgeschaltet. Parallel hierzu wird die Elektromobilität gefördert und die Ladeinfrastruktur ausgebaut. Hinzu kommt noch ein nicht mehr an die heutigen Verhältnisse angepasstes Stromnetz (Stichwort: Stromtrasse Nord-Süd) sowie die teilweise Mogelpackung "erneuerbare Energie".
Bleibt abzuwarten wann es zu Ausfällen in der Energieversorgung kommt.
Wer sich hier auskennt, hat längst einen Not-Stromerzeuger zuhause stehen.
Doch selbst hier, wen wundert es jetzt, gehen die Lieferzeiten "durch die Decke"...

Christian H. aus W., 07.01.2022, 07:48 Uhr
2

Deutschland ist in der EU Spitzenreiter-wenigstens was die Strompreise anbelangt. Das ist das Ergebnis einer völlig überhasteten und verfehlten Energiepolitik !
Wer in der Vergangenheit benötigte Kraftwerke aus klimaidiologischen Gründen innerhalb kürzester Zeit vom Netz nimmt und den Bedarf nicht kompensieren kann, braucht sich doch über den daraus resultierenden
Strommangel nicht zu wundern. Mangel bedeutet in der Marktwirtschaft hohe Preise. Über 50 v.H. des Strompreises entfallen auf unzählige Abgaben, Umlagen und Steuern. Die Ursache der Stromkrise liegt nicht wie Frau Tuttlies sagt in Asien, sondern ist "Made in Germany"

Andreas Hoof, 07.01.2022, 12:24 Uhr
3

In den aktuellen Preisen sind die Kosten für den Netzausbau und Sanierung sowie die gesamte Infrastruktur für die Energiewende noch nicht enthalten. Das kommt noch alles. Atomkraft war nirgendwo so sicher wie in Deutschland, der Kohle haben wir und unsere Elterngeneration unseren Wohlstand zu verdanken. Der Ausstieg aus beiden Energiequellen hätte erst erfolgen dürfen, wenn die Infrastruktur für die Erneuerbaren steht. Gegen Windräder und Stromtrassen vor Ort wird auch protestiert. Eine Gesellschaft, bei der sich jeder nur die Rosinen auspickt und die Lasten der Allgemeinheit zuschustert, kann nicht funktionieren. Ohne den fertigen Ausbau
wird Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen zu horrenden Preisen eingekauft werden müssen. Aber der Wähler hat das ja gewollt.

Lothar Klein, 07.01.2022, 20:20 Uhr
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