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Corona-Studie sieht Oberbergischen Kreis auf gutem Weg
Oberberg - Bonner Forscher berichten mit mikrogeographische Analyse detailliert über das Corona-Geschehen im Kreis und haben gute Nachrichten.
Von Peter Notbohm
Es ist die meistgestellte Frage in Deutschland dieser Tage: Wie bekommen wir endlich die Corona-Pandemie in den Griff? Während die Bundespolitik in der vierten Welle vor allem auf Impfungen in der Breite setzt, stellte sich der Oberbergische Kreis schon im Frühjahr die Frage, wie und warum pandemische Hotspots entstehen, wie man diese zielgerichtet bekämpfen kann und weshalb die Zahlen innerhalb der 13 Kommunen so unterschiedlich sind. Antworten liefert nun eine mikrogeographische Analyse, die in Kooperation zwischen dem Kreis mit dem Bonner Forschungsinstitut Infas 360 und dem Universitätsklinikum Bonn entstanden ist. Diese wurde heute im Detail vorgestellt.
Das Ergebnis der Studie, auf deren Datengrundlage auch das künftige Infektionsgeschehen vorhersehbarer werden soll, überrascht: Trotz der seit Wochen hohen Inzidenzen – mit 429,2 heute Platz drei in NRW - ist der Oberbergische Kreis auf dem richtigen Weg. Das sagt zumindest Prof. Dr. Nico Mutters, Direktor des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit am Bonner Universitätsklinikum.
[Grafik: UKB ---- Diese Grafik gefiel besonders Landrat Jochen Hagt. Die Prognose sieht für den Oberbergischen Kreis (oben dunkelrot) einen deutlich fallenden Trend bei den Inzidenzen vor.]
Studie nennt wirksame Maßnahmen zur Virusbekämpfung
Gezielte Aufklärungskampagnen für einzelne Wohnräume und Bevölkerungsgruppen, idealerweise auf Sprache und Alter abgestimmt, ein gut ausgebautes Monitoring für die Überwachung von Infektionsketten (grade im Hinblick auf die Omikron-Variante) und besonders wichtig: Mobile Impfangebote in den Brennpunkten. Das sind die Maßnahmen, zu denen Mutters jedem Landkreis in der Virusbekämpfung rät – der Oberbergische Kreis setze dies aus seiner Sicht schon sehr gezielt um, obwohl er schlechte Startvoraussetzungen gehabt habe.
Beim sogenannten Deprivationsindex, der soziale Ungleichheiten aufzeigt, steht der Oberbergische Kreis im Vergleich zu anderen Kreisen nicht gut da, sagt Mutters: „Das kann man auch nicht von heute auf morgen ändern.“ Aufgrund dieser strukturellen Unterschiede seien Inzidenzwerte auch nur schwer miteinander vergleichbar. Die gute Arbeit der hiesigen Behörden zeige sich daran, dass aufgrund vieler Testungen der Inzidenzwert zwar sehr hoch sei, die Todesrate dabei aber vergleichsweise äußerst gering. Auch schwere Verläufe seien im landesweiten Vergleich seltener. „Das zu schaffen, ist nicht einfach“, betont der Professor.
[Grafik: UKB ---- Das Infektionsgeschehen verläuft innerhalb des Kreises sehr unterschiedlich. Das räumliche Muster belegt den Einfluß sozial-ökonomischer Faktoren.]
Gleichzeitig räumt die Studie mit dem unter Impfgegnern und Corona-Leugnern weit verbreiteten Argument auf, dass Impfungen sinnlos seien. In der dritten Welle waren im Oberbergischen ungeimpfte Menschen für 90 Prozent der Infektionsketten verantwortlich. Impfdurchbrüche kämen zwar vor, seien aber die Ausnahme, erklärt Mutters.
Sozial benachteilige Bevölkerungsgruppen haben ein erhöhtes Risiko auf Infektion
Einen „Quantensprung im öffentlichen Gesundheitswesen“ nennt Gesundheitsamtsleiterin Kaija Elvermann die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern aus Bonn. Durch das Gutachten fühle sie sich an vielen Stellen bestätigt, sagt sie. Die Arbeit des Gesundheitsamts werde man nun noch gezielter auf die vulnerablen Gruppen und bestimmte Einzeleinrichtungen ausrichten. Als Datengrundlage für die Studie dienten 14.463 Infektionsfälle der ersten drei Wellen, die anonymisiert auf mehrere Parameter wie Haushaltsstruktur, Bebauungsstruktur und viele mehr untersucht wurden.
[Grafik UKB ---Impfdurchbrüche sind auch im Oberbergischen eher selten zu beobachten. Die verwendeten Daten reichen bis zum Ausbruch der vierten Corona-Welle.]
Das Ergebnis: Besonders gefährdet für Infektionen sind sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Es sind große Haushalte, Menschen mit niedrigen Einkommen, Nachbarschaften mit niedrigen Schulabschlüssen sowie hoher Arbeitslosenquote, die besonders vom Infektionsgeschehen betroffen sind. Als Beispiel wurde Bergneustadt genannt, wo die Zahlen der Reiserückkehrer für Juli und August in diesem Jahr zeigten, dass 73 Prozent der Fälle in Siedlungsblöcken lokalisiert wurden – das Virus hat hier leichtes Spiel. Zusätzlich wurde eine Vor- und Nachnamenanalyse durchgeführt. Demnach haben besonders Migranten ein erhöhtes Infektionsrisiko. Bei Personen mit türkischem oder ex-sowjetischem Migrationshintergrund gibt es ein dreimal so hohes Risiko an Corona zu erkranken, heißt es in der Studie.
Impfungen von Kindern starten am 17. Dezember
Ein weiteres Problemfeld sei die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, gibt Ralf Schmallenbach, Gesundheitsdezernent des Oberbergischen Kreises, zu. Während der Kreis in Zusammenarbeit mit dem Fachpersonal der Kinderklinik und Kinderärzten die Impfungen der Fünf- bis Elfjährigen, die auf Weisung des NRW-Ministeriums am 17. Dezember losgehen sollen, bereits intensiv vorbereite, bestätigt das Zahlenwerk aus Bonn, dass Zwölf- bis 17-jährige einen großen Bogen um die hiesigen offiziellen Impfstellen machen.
[Grafik: UKB --- Während das Infektionsgeschehen bei der älteren Generation abnimmt, sind die Zahlen unter Kindern und Jugendlichen weiterhin hoch.]
Doch wie geht der Kreis mit den Erkenntnissen der Studie im Detail nun um? Eine erste Reaktion war neben den gezielten Stationen des Impfmobils an den Moscheen in Waldbröl und Bergneustadt die Impfaktion in Gummersbach-Bernberg am vergangenen Wochenende. Um einen Impftourismus zu vermeiden und gezielt in einen Brennpunkt zu gehen, habe man nur vor Ort mit Plakaten, Flyern in neun verschiedenen Sprachen und Lautsprecherdurchsagen geworben, erklärt Schmallenbach.
Auch die direkte Ansprache über Sprachmittler und Sozialarbeiter habe große Wirkung gezeigt: „Vorhandene Skepsis konnten wir überbrücken. Das zeigt mir, es handelt sich dort nicht um Impfgegner, sondern um Menschen, die gezielt angesprochen werden müssen.“ Elvermann ergänzt, dass man diese Bürger aus ihrer Blase, in der sie bestimmte Dinge nicht wahrnehmen, herausholen müsse. Ein wichtiger Faktor sind hierbei bekannte Personen aus dem Sozialraum. „Je bekannter dort jemand ist, desto besser ist die Ansprache an die Menschen“, sagt sie. Über 500 Impfungen wurden in Bernberg verteilt.
Landrat Jochen Hagt versprach, dass man ein weiteres Impfmobil in Betrieb nehmen wolle, um die gezielten Impfaktionen zu intensivieren. Gleichzeitig appelliert er aber weiterhin an die Eigenverantwortung der Bürger: „Wir befinden uns weiter in einer gefährlichen Situation mit einer hohen Belastung der Krankenhäuser. Wichtig ist, dass sich die Menschen impfen lassen. Die Angebote müssen angenommen werden.“
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