LOKALMIX

„Wir kämpfen ums Überleben“

ls, ks; 12.03.2021, 16:55 Uhr
Bilder: Michael Kleinjung, Guido Krüger, Guido Hartmann --- Frank Hewel (l.) und Mustafa Gündesli, Gesellschafter des Kunstwerks in Gummersbach, halten die Durchführung von Schnelltests in einem Zelt vor dem Restaurantbesuch für nicht praktikabel.
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„Wir kämpfen ums Überleben“

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ls, ks; 12.03.2021, 16:55 Uhr
Oberberg – Drohender Verlust von Mitarbeitern, Schwierigkeiten bei Corona-Hilfen, kaum bis gar keine Einnahmen – Oberberg-Aktuell sprach mit Selbstständigen aus Gastronomie, Hotellerie und Einzenhandel.

Von Leif Schmittgen und Katharina Schmitz

 

Die Pandemie trifft ganze Branchen – manche heftiger als andere. Seit rund sechseinhalb Monaten ist die Gastronomie ausgebremst. Aktuell wird eine Öffnung der Außengastronomie ab dem 22. März diskutiert. „Bei unserem Wetter ist das völlig unsinnig und unwirtschaftlich. Wir fragen uns wirklich, wie man auf eine derartige Idee kommt – nicht zuletzt, da der Inzidenzwet wieder steigt“, sagt Frank Hewel, geschäftsführender Gesellschafter des "Kunstwerks" in Gummersbach. Als Mitglied der Gastronomie Gemeinschaft Gummersbach (GGG) hat er sich Anfang der Woche mit seinen Kollegen und Mitstreitern wie Erik Stremme, Stefan Schnell und Philipp Hecker ausgetauscht.

 

[Gündesli und Hewel kritisieren die „schwammigen Aussagen“ der Politiker.]

 

Noch sei das Kunstwerk liquide. „Aber wir kämpfen ums Überleben“, stellt Hewel klar, der darauf hofft, dass ihm auch seine Minijobber bei der Wiedereröffnung zur Verfügung stehen werden. Eine Eröffnung des Außenbereichs stellt er derzeit infrage. „Bei den Temperaturen wird das Essen innerhalb einer Minute kalt. Außerdem müssten wir unseren Kostenapparat hochfahren“, sagt Hewel, der befürchtet, nicht die dementsprechenden Einnahmen generieren zu können. Ganz im Gegenteil: „Möglicherweise würden wir unsere Situation dadurch noch verschlimmern.“

 

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Bereits drei Minijobber hat Guido Hartmann verloren. Seit 30 Jahren führt er die Waldbröler Wirtschaft „Zur Klus“ und bedauert den Verlust seiner Mitarbeiter: „Wir waren ein eingespieltes Team und wie eine Familie.“ Auch er ist von einer Öffnung des Außenbereiches Ende März nicht überzeugt. „Bei derartigen Temperaturen und Wetterlagen brauchen wir das nicht versuchen. Aber natürlich müssen wir aufmachen – unter strengen Voraussetzungen und mit Kontrolle“, so der 64-Jährige, der dabei unter anderem auf die Nutzung einer App hofft.

 

[Sorgenvoll blickt Guido Hartmann auf die kommenden Monate.]

 

Die zugesicherten Dezemberhilfen hat er mittlerweile erhalten, doch die Antragsstellung für die Zahlungen der Überbrückungshilfe seien aktuell auf Eis gelegt. Durch den Außer-Haus-Verkauf generiert er nur rund zehn Prozent seines Umsatzes: „Finanziell bringt das nichts. Ich mache das nur, um bei den Gästen nicht in Vergessenheit zu geraten.“

 

Auch Axel Tomasetti befürchtet den Verlust von Mitarbeitern, die sich seit dem 1. November des vergangenen Jahres in Kurzarbeit befinden. Gemeinsam mit seinem Bruder führt er seit 2009 das Hotel Feste Neustadt, das bereits seit 1931 in Familienbesitz ist. „Wir halten den Hotelbetrieb mit dem Besuch von wenigen Geschäftsleuten aufrecht, doch weitere Einnahmen durch den fehlenden Restaurantbetrieb sowie Feierlichkeiten fehlen“, schildert er. Noch seien Rücklagen vorhanden. „Aber natürlich machen wir uns Gedanken über die Zukunft und deswegen haben wir auch geplante Investitionen hintenangestellt“, sagt der Bergneustädter.

 

[Alex Tomasetti führt in der Bergneustädter Altstadt ein Hotel mit 16 Zimmern und generiert derzeit kaum Einnahmen. Vor Ostern sieht er „kein Licht am Ende des Tunnels.“]

 

Aufatmen dagegen anderenorts. Die Anfang März gefassten Bund-Länder-Beschlüsse bescherten Anika Hahne-Naumann die erhofften Lockerungen. Seit sechs Jahren führt sie an der Kölner Straße in Bergneustadt einen Schreibwarenladen. „Wir zählen jetzt zu den Geschäften des täglichen Bedarfs und dürfen endlich wieder öffnen. Das wird von der Kundschaft sehr gut angenommen“, freut sich Hahne-Naumann, die mit einer Verkaufsfläche von 70 Quadratmetern zeitgleich drei Erwachsenen sowie drei Kindern den Zutritt ins Ladenlokal gewähren kann.

 

[Drei Tage standen Anika Hahne-Naumann zur Vorbereitung der Wiedereröffnung ihres Ladenlokals Anfang dieser Woche zur Verfügung. Glücklich ist sie besonders über den Verbleib ihrer Mitarbeiter.]

 

Die aktuell größten Umsatzeinbußen verzeichnete die Händlerin bei der ausgefallenen „Schulranzenparty“ im Januar. „Dadurch haben wir bislang nur einen Bruchteil von Tornistern verkauft“, sagt sie und hofft, dass die Nachfrage nun steigt. Nachdem es der Bergneustädterin vor einem Jahr gelang, Kosten zu verringern und Investitionen aufzuschieben, muss sie nun 6.000 € des ersten Soforthilfeprogramms zurückzahlen. Da sich die Bedingungen zur Beantragung der Überbrückungshilfe III laut ihres Steuerberaters tagtäglich ändern würden, riet er ihr davon ab, diese im März zu beantragen.

 

Guido Krüger betreibt mit seiner Ehefrau Gudrun in Marienheide ein Modegeschäft. Er zeigt zwar prinzipiell Verständnis für die aktuellen Maßnahmen, kritisiert aber mit Blick auf die umzusetzenden Hygienekonzepte: „Die Handelsverbände haben lange Druck in Richtung der Politik gemacht und sind viel zu spät gehört worden.“ Für ihn gibt es zwischen Buchläden und seinem Geschäft keinen Unterschied in der Auslegung von Regeln und einem möglichen Infektionsrisiko. Rund 60 Quadratmeter Ladenfläche stehen zur Verfügung. Kunden können nach Voranmeldung einkaufen.

 

[Die Waren warten bei Krüger-Mode auf interessierte Kunden.]

 

Ein weiteres Problem für den Einzelhändler sind die bestellten Lieferungen. Die Herbst- und Winterkollektion kann nicht mehr verkauft werden, sie ist sogar teilweise noch gar nicht eingetroffen, obwohl es in den Frühlimng geht. „Die Ware wird erst nach Ende des Lockdowns ausgeliefert, das ist vertraglich so geregelt." Ein Rückgaberecht auf bereits bestellte Ware gibt es nicht, die Rechnungen gilt es zeitnah zu begleichen, obwohl jetzt niemand mehr Winterware kauft. Zugleich entstehen Kosten für den Steuerberater, der die Beantragung von Hilfsgeldern koordiniert. Krügers Befürchtung:  "Es wird nicht viel beim Händler übrig bleiben."

 

Markus Kasel betreibt Tanzschulen in Engelskirchen und Wiehl. Sein Unternehmen wird wie ein Fitnessstudio eingeordnet, seit 1. November sind die Türen deshalb zu. Rund 100 Mitglieder haben ihren Vertrag gekündigt, rund zwei Drittel der Verbliebenen zahlen ihre Beiträge unverändert weiter, der Rest bat um Stundung. Ein Rettungsanker, der die Tanzschule vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahrt. Zudem durften die Pauschalzahlungen an die GEMA für die Zeit der Zwangsschließung ausgesetzt werden. Das sind allerdings die einzig positiven Nachrichten, die den Engelskirchener Tanzlehrer in den vergangenen Monaten erreicht haben. „Um den Kontakt zu den Mitgliedern zu halten, bieten wir Onlinekurse an“, erläutert er.

 

[Das Team der Tanzschule Kasel.]

 

Markus' Bruder, der Choreograph André Kasel, sieht wegen der vielen abgesagten Veranstaltungen radikale Veränderungen auf die Branche zukommen. „Das Tanzen wird nie wieder, wie es mal war." Der im Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV) tätige Kasel arbeitet gemeinsam mit Kollegen an Zukunftslösungen. Eine davon könnte der bereits während des ersten Lockdowns durchgeführte „Hybridunterricht“ sein: Sieben anstatt zehn Pärchen tanzen vor Ort, die Übrigen werden online hinzugeschaltet.

KOMMENTARE

1

Um's Überleben können nur Lebewesen kämpfen!

Cornelia Lang, 12.03.2021, 17:51 Uhr
2

Geistreicher Kommentar

, 13.03.2021, 11:46 Uhr
3

Den Leuten steht das Wasser bis zum Hals! Was sagt die Politik und unser Landrat dazu. Hier kann bzw.
Muss dringend geholfen werden.

, 13.03.2021, 15:15 Uhr
4

Toller Kommentar... Es geht hier doch um das wirtschaftliche Überleben unserer Region.
Vielen Dank an die Redaktion und die Betroffenen für den Einblick in die persönlichen Schicksale unserer Mitmenschen. Bleiben Sie stark! Es wird eine Zeit danach geben, in der wir wieder die normalsten Dinge zu schätzen lernen.

Peter Meier, 13.03.2021, 18:49 Uhr
5

@ Peter Meier: Für viele wird es eher keine Zeit danach geben....
Die "normalsten Dinge zu schätzen lernen"- Gehören Verantwortung und Solidarität nicht dazu? Diese "Dinge" könnenn "wir" jederzeit tun und schätzen!

Cornelia Lang, 14.03.2021, 15:52 Uhr
0 von 800 Zeichen
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