KULTUR

Dramaturgisch stimmt jedes Detail

vma; 21.01.2024, 11:37 Uhr
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Fotos: Vera Marzinski --- Was geschah wirklich in jener Nacht, in dem der Krug von Frau Marthe Rull zu Bruch ging? Das erfahren die Zuschauer im Lustspiel „Der zerbrochene Krug“.
KULTUR

Dramaturgisch stimmt jedes Detail

vma; 21.01.2024, 11:37 Uhr
Wiehl – „Der zerbrochene Krug“ wird auf der Bühne des Schau-Spiel-Studios aufgeführt – mit einem überzeugenden Ensemble.

Von Vera Marzinski

 

Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ wurde 1808 uraufgeführt – das Schau-Spiel-Studio Oberberg zeigt nun eine gelungene Inszenierung von Raimund Binder. Aus der Gerichtssituation und entlang der Themen – Doppelmoral, Lüge und Machtmissbrauch – entspinnt sich ein trickreicher Theaterabend.

 

Richter Adam stolpert gleich am Morgen aus dem Bett und über sich selbst. Jedenfalls behauptet er das. Denn so sehr dieser Adamsfall als Metapher stimmt, ist dies tatsächlich nur die erste einer Vielzahl von Lügen, die der Richter ungeniert von sich geben wird. Den Dorfrichter Adam mimt Michael Albrecht passend-komisch und geradezu zynisch, daneben aber auch sehr ausdrucksstark. Er nutzt sein Amt, um sich an die junge Eve heranzumachen, und verspricht ihr, kraft seines Amtes ihrem Verlobten Ruprecht ein Attest zu beschaffen, das ihn vor dem Militärdienst bewahren soll. Der Verlobte stellt dem Nebenbuhler nach, bei dessen Flucht aus dem Fenster zerbricht ein Krug.

 

[Ruprecht (li., Fabian Beer) wird verdächtigt den Krug zerbrochen zu haben. Richter Adam (Michael Albrecht) und Gerichtsrätin Walter (Angela Harrock) befragen ihn in der etwas merkwürdigen Gerichtsverhandlung.]

 

Damit zieht Eves Mutter Marthe (Silke Thierbach) vor Gericht und bezichtigt Ruprecht des nächtlichen Übergriffs. Der widerspricht heftig, während Eve von Adam erpresst wird. In dieser gesellschaftsbezogenen Deutung wird der Richter als Verkörperung eines korrupten Justizwesens gesehen, der private und öffentliche Angelegenheiten willkürlich vermischt. Binnendramen entfalten sich allein durch Blicke, etwa bei den meist weit auseinander sitzenden Verlobten Eve und Ruprecht. Fabian Beer als wilder, von seinen Zweifeln geplagter Ruprecht spielt seine erste Rolle im Ensemble des Schau-Spiel-Studios. Der 37-jährige Waldbröler überzeugt durchgehend.

 

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Als seine Verlobte Eve verdeutlicht Anna Franziska Pflitsch hervorragend, wie schwer es Opfern fällt, sich zu artikulieren – dabei ist zudem ihre Mimik grandios. Clou in Raimund Binders Inszenierung ist die Figur der Gerichtsrätin Walter: kein sozial höher als der Richter gestellter Mann wie bei von Kleist, sondern eine Frau, die offen entsetzt ist über das in Huisum gebräuchliche Gewohnheitsrecht. Unaufdringlich, aber unbeirrt und sehr brillant orchestriert Angela Harrock den Widerstand gegen Adam. Colin Knura spielt, ebenfalls sehr überzeugend, den Schreiber Licht.

 

Raimund Binder hat für das Stück wieder einmal eine hervorragende Besetzung ausgewählt. So als Ruprechts Vater Veit Tümpel ein Urgestein des Theaters: Thomas Knura. Gabi Bülter erscheint erst im zweiten Teil als Frau Brigitte auf der Bühne, aber überzeugt in ihrer Rolle. In weiteren Rollen Daniela Kuhn-Berger und Gesa Dittmann als erste und zweite Magd, sowie Michael Ludwig als Bediensteter der Gerichtsrätin.

 

[Wohin verschwand die Perücke des Richters? Und hat am Ende der Teufel seine Finger mit im Spiel? – Schreiber Licht (li., Colin Knura) hält alles fest.]

 

Spannend ist dieser "zerbrochene Krug", weil dramaturgisch jedes Detail stimmt, die Dynamik, der Rhythmus, das Zusammenspiel des durchweg famosen Ensembles. Gedanklich durchdrungen wirkt der Text. Kein Wunder, dass dieser Stoff mit hohem Unterhaltungswert ein Klassiker auf den Theaterbühnen wurde.

 

Nötigung. Missbrauch des Richteramtes. Falschaussage und Verschleierung von Tatsachen - seit 200 Jahren wird der Fall um den niederträchtigen Richter verhandelt. Im Schau-Spiel-Studio Oberberg war dieses auf deutschsprachigen Bühnen meistgespielte Stück die erste Inszenierung nach der Gründung 1993. Die aktuelle ist insgesamt 14-mal zu sehen, unter anderem am heutigen Sonntag um 18 Uhr. Die Termine sind hier zu finden.

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