KULTUR

Ein außergewöhnlicher und fesselnder Abend

vma; 29.10.2022, 18:00 Uhr
Fotos: Marco Piecuch --- Ein beeindruckender Abend mit einer fesselnden Geschichte, vom Rheinischen Landestheater mit wenigen szenischen Mitteln und sehr guten Schauspielern präsentiert.
KULTUR

Ein außergewöhnlicher und fesselnder Abend

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vma; 29.10.2022, 18:00 Uhr
Gummersbach - Das Rheinische Landestheater Neuss präsentierte das Stück „Der Trafikant“ in der Halle 32.

Von Vera Marzinski

 

In der Halle 32 zeigte das Rheinische Landestheater Neuss „Der Trafikant“ nach dem Roman von Robert Seethaler in einer Fassung von Maik Priebe. Die Schauspieler - Hergard Engert (grandios als Mutter und Sigmund Freud), Philippe Ledun (überzeugte in der Rolle des Franz durch seine Mischung aus Naivität und spontaner Zivilcourage), Nelly Politt, Stefan Schleue (unter anderem als Otto) und Peter Waros – schlüpften nicht nur in verschiedene Rollen, sondern fungierten auch als Erzähler, Requisiteure, Geräuschemacher und Kommentatoren.

 

[Zwischen Sigmund Freud (Hergard Engert) und dem jungen Franz Huchel (Philippe Ledun) entwickelt sich eine Freundschaft.]

 

Das Stück spielt in Österreich im Jahre 1937. Der 17-jährige Franz Huchel verlässt sein Heimatdorf, um in Wien als Lehrling in einer Trafik - einem kleinen Tabak- und Zeitungsgeschäft - sein Glück zu suchen. Seine Mutter, mit der er wöchentlich frontal zum Publikum gesprochene Postkarten austauscht, lebt nach wie vor am Attersee. Sigmund Freud, als leidenschaftlicher Zigarrenraucher Stammkunde im Trafik von Otto Trsnjek, wird für Franz zu einem Freund. Spätestens nachdem sich Franz in die Varietétänzerin Anezka verliebt, sucht er nahezu täglich bei dem Professor Rat.

 

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Irgendwann sagt Franz zum Alten: „Ich frage mich gerade, was meine dummen, kleinen Sorgen überhaupt für eine Berechtigung haben, neben diesen ganzen verrückten Weltgeschehnissen.“ Freud reagiert ruhig, scharfsinnig und souverän: „Erstens sind Sorgen in Bezug auf Frauen zwar meistens dumm, aber selten klein. Und zweitens könnte man die Frage auch andersrum stellen: Was hat dieses ganze verrückte Weltgeschehen überhaupt für eine Berechtigung neben deinen Sorgen?“

 

[Gut gemacht auch die sehr plakativen Szenen, in denen es um das NS-Regime ging.]

 

Ohnmächtig fühlen sich beide angesichts der sich dramatisch zuspitzenden politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse. Eines Tages wird der Spruch „Hier kauft der Jud“ an das Geschäft geschmiert. Noch bevor Franz überhaupt versteht, was gerade passiert, geht alles ganz schnell: Otto Trsnjek, ein bekennender Gegner der Nazis, wird verhaftet, Freud bereitet das Exil in London vor und plötzlich ist Franz der Trafikant. Der reißt schließlich vor der Gestapo-Zentrale nachts eine Hakenkreuz-Fahne herunter und ersetzt sie durch die Hose des ermordeten Trafikanten. Welches Schicksal den Protagonisten ereilt, der nach seiner Fahnen-Aktion festgenommen wird, bleibt offen.

 

Das Ensemble setzt die komplexe Geschichte und das komprimierte Geschehen mit seinen vielen Orts- und Szenenwechseln überzeugend um. Dazu ein reduziertes und funktionales Bühnenbild – in der Mitte ein Bühnenpodest aus Schaumstoffmatten, das aber vom Zuschauerraum aus so wirkt, als handelt es sich um aufeinandergelegte Stoffstücke. Alles zusammen ergibt 90 Minuten beeindruckendes Theater.

 

[Nicht nur in verschiedenen Rollen im Einsatz: Nelly Politt (v.li.), Stefan Schleue und Peter Waros.]

 

„Der Trafikant“ wird im Bereich Gegenwartsdramatik in der Spielzeit 2022/2023 durch das Kultursekretariat NRW gefördert. Dass der Roman gerade Abiturstoff in NRW ist, kommt ihm und seinen jungen Zuschauern entgegen. Gedacht ist er für Menschen ab 14 Jahren. In der Halle 32 waren rund 190 Schüler vom Lindengymnasium, der Freien Christlichen Bekenntnisschule Gummersbach und der Gesamtschule Kürten zu Gast. Danach diskutierten sie über einzelne Szenen und waren teilweise sichtlich beeindruckt - wie auch die etwa 80 weiteren Gäste. „Der Trafikant“ bildete die Grundlange für viele Gespräche – nicht nur über die Liebe, sondern vor allem über Parallelen zwischen damals und heute und über Zivilcourage.

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