KAFFEEKLATSCH

Nicht in die Behaglichkeit des Wohnzimmers zurückziehen

bv; 25.02.2020, 08:30 Uhr
Archivbild: Lars Weber.
KAFFEEKLATSCH

Nicht in die Behaglichkeit des Wohnzimmers zurückziehen

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bv; 25.02.2020, 08:30 Uhr
Oberberg – Nach 19 Jahren als Superintendent im evangelischen Kirchenkreis fordert Jürgen Knabe mehr Selbstbewusstsein und Wehrhaftigkeit einer offenen demokratischen Gesellschaft.

Von Bernd Vorländer

 

OA: 19 Jahre als Superintendent liegen hinter Ihnen – sind Sie erleichtert oder wehmütig?

Knabe: Es kommt beides zusammen. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe, die mich zeitlich und kräftemäßig deutlich gefordert hat. Aber ich habe das mit Leidenschaft gemacht. Ich will aber auch nicht verhehlen, dass ich mich freue, jetzt etwas kürzer treten zu können.

 

OA: Gibt es Dinge, die in der Vergangenheit zu kurz gekommen sind und die Sie jetzt gerne betonen möchten?

Knabe: Ich werde sicherlich mein Engagement in der Musik intensivieren. Das ist meine Leidenschaft und ich freue mich, an meinen verschiedenen Keyboards für mich und vielleicht auch für andere spielen zu können. Ich bin auch gespannt, ob nicht musikalische Projekte entwickelt werden können, die mit Gottesdienst und Verkündigung zu tun haben.

 

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OA: Sie gehen in einer Zeit, in der es Ihre Kirche nicht leicht hat. Zeitgeist und Religion, das passt meines Erachtens nicht immer. Was geben Sie Ihrer Kirche mit auf den Weg. Gewohnte Pfade verlassen oder Kurs halten?

Knabe: So wichtig viele andere Dinge sind: Unser Auftrag in der Kirche ist es, Menschen Heimat zu geben, ihnen bei existenziellen Fragen ihres Lebens zur Seite zu stehen. Die Grundsatzfragen des Lebens in den Blick zu nehmen und mitten in der Gesellschaft und bei den Menschen zu sein – das ist das Wesen von Kirche.

 

OA: Sie haben in der Vergangenheit immer den Eindruck eines gütigen Menschenfischers gemacht. Können Sie auch anders?

Knabe: Das stimmt: Ich gehe in der Regel freundlich mit allen Menschen um, die mir begegnen. Wenn es aber um die Menschenwürde und die Grundlagen unseres Zusammenlebens geht, dann kann ich auch sehr deutlich und energisch werden.

 

OA: Gibt es auch Situationen, in denen ein Jürgen Knabe „aus dem Frack springt“?

Knabe: Bei Rechtsextremismus-Tendenzen kann ich sehr böse werden, weil ich die Gefahr sehe, dass sich unselige Geschichte wiederholt. Auch bei Fragen zu Gerechtigkeit, Frieden und der Bewahrung der Schöpfung habe ich mich prägnant zu Wort gemeldet – das war auch nötig. Was mich ärgert, ist, dass unsere deutsche Gesellschaft vieles zu selbstverständlich nimmt. Wir sollten Meinungs- und Religionsfreiheit als Werte schätzen und den Schutz von Minderheiten ernst nehmen.

 

OA: Müsste sich in diesem Zusammenhang nicht die große schweigende Mehrheit gegenüber den 'Lauten' mehr äußern?

Knabe: Auf jeden Fall. Ich finde es gefährlich, wenn man sich in die Behaglichkeit des eigenen Wohnzimmers zurückzieht und nur dann aufschreit, wenn eigene Interessen tangiert werden. Das kann keine Attitüde eines Demokraten sein. Wir müssen Hass und Vorurteilen entgegentreten, wo immer sie geäußert werden. Sonst werden wir irgendwann eine Gesellschaft haben, die wir nicht mehr wiedererkennen werden. Ausgrenzung und Abgrenzung können nicht unseren Weg vorgeben.

 

OA: Immer wieder wird eine moderne Kirche eingefordert – aber drohen sie nicht die jungen Menschen zu verlieren? Droht auch der evangelischen Kirche eine komplette Vergreisung?

Knabe: Ja, das besorgt mich auch. Die Anliegen der jüngeren Generation müssen uns wesentlich mehr angehen, als das bislang der Fall ist. Wir müssen neue Formen der Beteiligung finden, familienfreundlicher werden und Gottesdienste so gestalten, dass sich junge Menschen zu Hause fühlen. Wir müssen aufhören mit ‚Spielecken‘ in der sich Jüngere austoben können, sondern wir müssen als Kirche am Leben der jungen Menschen teilnehmen.

 

OA: Gibt es Dinge in Ihrer Zeit als Superintendent, die Sie lieber wieder rückgängig machen würden?

Knabe: Wir haben uns schon 2010 von der kameralistischen Buchführung verabschiedet und die Doppik implementiert. Im Nachhinein sehe ich das als einen Fehler an, denn das Geld, was wir dafür investiert haben, wäre beim Personal und bei innovativen Projekten besser angelegt gewesen.

 

KOMMENTARE

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Alles Gute, Herr Knabe!

Ich kenne Sie seit meiner Konfirmandenzeit, als Sie noch als Pastor in Marienhagen arbeiteten. Schon damals haben Sie es verstanden, die Jugendlichen zwischen der Kirche und dem Sozialen (damals in unserem Fall auch dem Fussball) zu vereinen.
In der Gemeinde sind Sie bei Jung und Alt hervorragend angekommen. Ein Verlust war es, als Sie die Gemeinde verließen, jedoch in Ihrer Funktion als Superintendet für die Breite eine Bereicherung darstellten.
Ich hoffe Ihre Fußstapfen sind angemessen zu füllen.
Danke für Ihr großes und langes Engagement in allen Bereichen und einen Gruß aus Ihrer ehemaligen Heimat Marienhagen.
A.N.

André N., 15.04.2021, 14:01 Uhr
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