JUNGE LEUTE

„Im digitalen Raum hat sich eine Hasskultur entwickelt“

lw; 15.08.2023, 15:30 Uhr
Fotos: Lars Weber --- Bei der Podiumsdiskussion wurden Ursachen und Folgen von sowie Maßnahmen gegen Cybermobbing besprochen (v.li.): Moderatorin Alex Pesch, Franziska Halbe, Lijana Kaggwa, Kreisdirektor Klaus Grootens, Dekan Dr. Christian Kohls, Sozialpsychologin Dr. Catarina Katzer und Schulleiterin Kirsten Wallbaum.
JUNGE LEUTE

„Im digitalen Raum hat sich eine Hasskultur entwickelt“

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lw; 15.08.2023, 15:30 Uhr
Gummersbach – Fachtagung der Oberbergischen Medieninitiative zum Thema „Cybermobbing“ – Ehemalige Kandidatin von Germany’s next Topmodel zu Gast.

Von Lars Weber

 

Jahrelang ist es schon her, dass Franziska Halbe und Lijana Kaggwa Beschimpfungen und Beleidigungen im Netz erfahren mussten. Die 29-jährige Halbe war damals Schülerin auf einem Gymnasium im Oberbergischen Kreis. Kaggwa ist Autorin und Influencerin und stieg vor drei Jahren mit einem Knall während der Live-Sendung des TV-Formats Germany’s next Topmodel aus, auch weil sie extremen Anfeindungen auf den sozialen Plattformen ausgesetzt war. Die Jahre sind vergangen, die Wunden sind geblieben. Halbe leidet bis heute unter Depressionen, im Moment ist sie arbeitsunfähig. Die heute 27-jährige Kaggwa hatte zwischenzeitlich Suizidgedanken und hat immer wieder Flashbacks in diese schwierige Zeit. Beide jungen Frauen haben heute bemerkenswert offen bei der Fachtagung der Oberbergischen Medieninitiative (OMI) zum Thema „Herausforderung Cybermobbing“ gesprochen. Im Rahmen dessen gab es unter anderem eine Podiumsdiskussion und Kaggwa las aus ihrem Buch  vor. Alle Beteiligten eint das Ziel, die Problematik anzusprechen und etwas dagegen zu tun.

 

Der Oberbergische Kreis hat – im Vergleich zu anderen Kreisen sehr früh, wie Kreisdirektor Klaus Grootens heute am Rande der Fachtagung in der TH Köln Campus Gummersbach erklärt – 2016 mit der Gründung der Oberbergischen Medieninitiative auf die Problematiken an den Schulen reagiert, die mit dem Gebrauch von Smartphones immer mehr Fahrt aufgenommen hatten. „Es sollte aber nicht jeder für sich allein das Thema angehen“, so Grootens. Also wurden verschiedene Institutionen und Einrichtungen ins Boot geholt: das Bildungsbüro Oberberg, der Schulpsychologische Dienst des OBK, die Kreispolizeibehörde und die (Kreis-)Jugendämter.

 

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Eine Erfolgsgeschichte sei seit damals die Ausbildung von rund 560 Schülern und mehr als 170 Lehrkräften zu Social-Media-Scouts an inzwischen 35 teilnehmenden weiterführenden Schulen. Diese fungieren an ihren Einrichtungen als Ansprechpartner auf Augenhöhe und können auch eigene Projekte initiieren. Gleichzeitig versucht die OMI mit Elternabenden, Aktionen an Grundschulen oder Theaterprojekten präventiv auf sämtlichen Ebenen tätig zu sein.

 

Denn aufgedämmt ist das Cybermobbing mitnichten. Im Gegenteil. Nach der Pandemie mit ihren Lockdowns seien die Fallzahlen in den Bereichen Cybermobbing und Hate Speech gesamtgesellschaftlich stark angestiegen. In ganz Deutschland seien es laut Studien etwa sechs Millionen junge Menschen, die darunter zu leiden hätten, so Kaggwa. Für den oberbergischen Kreis ist die Zahl kaum herunterzubrechen, sagt Walter Steinbrech von der Präventionsstelle Kriminalprävention und Opferschutz. Die Beleidigungen, die Bedrohungen oder auch der Missbrauch von Bildern würden häufig nicht angezeigt, auch wenn dieser Weg inzwischen häufiger gewählt würde. Das Dunkelfeld sei aber sehr groß.

 

Dr. Catarina Katzer, Sozialpsychologin und Leiterin des Instituts für Cyberpsychologie und Medienethik in Köln, zitiert Studien, nach denen 25 Prozent der 14- bis 16-Jährigen von Cybermobbing betroffen seien. „Und jeder vierte von ihnen denkt an Suizid.“ Im digitalen Raum habe sich eine Hasskultur entwickelt, die es vor einigen Jahren so noch nicht gegeben habe. Inzwischen würden die Täter auch immer häufiger glauben, dass ihr Opfer die Beleidigungen verdient habe. Die Likes zu ihren Beiträgen sorgen für eine Bestätigung, für Legitimation und drängen das Opfer allein in eine Ecke, aus der es nur schwer wieder hinausfindet. Der digitale Raum sei für die Täter wie ein Schutzschild: „Sie sehen die Tränen nicht, die sie verursachen“.

 

[Franziska Halbe (li.) und Lijana Kaggwa berichteten offen von ihren Erfahrungen mit Cybermobbing und den Konsequenzen für ihr Leben.]

 

Offensiv geht auch Kirsten Wallbaum, Leiterin der Gesamtschule Waldbröl, mit dem Thema an ihrer Einrichtung um. Bei 950 Schülern sind ihr zwei Fälle von Cybermobbing bekannt. Doch sie weiß auch: „Die Dunkelziffer ist das Problem, und die Probleme gehen uns auch nach Ende der letzten Stunde etwas an“. Zugleich würden Opfer und Täter immer jünger. „Schon 50 Prozent der Schüler in den vierten Klassen besitzen ein Handy“, sagt Steinbrech.

 

Eine wichtige Komponente in der Präventivstrategie sind dabei die Social-Media-Scouts, die auch schon in die Grundschulen gehen, um die Kinder dort zu sensibilisieren. „Die Schüler hören länger zu, wenn ihnen einer von ihnen das erzählt“, sagt Wallbaum. „Außerdem sind sie viel mehr am Puls der Zeit, als wir das sein können.“ Sie wüssten, was gerade im Netz angesagt ist, welche Plattformen genutzt werden, welche Trends die Runde machen.

 

Heute waren mehr als 100 dieser Scouts am Campus der TH. Die Durchführung der Tagung wurde durch die Förderung der Hans-Hermann-Voss-Stiftung ermöglicht. Neben dem Input durch Kaggwas Lesung aus ihrem Buch „Du verdienst den Tod - #Wie Cybermobbing Menschen und die Gesellschaft zerstört und wie wir wieder Respekt ins Netz bringen“ und der Podiumsdiskussion tauschten sich die Kinder und Jugendlichen der Klassenstufen sieben bis zehn sowie die Lehrkräfte und Fachleute weiter zum Thema aus.

 

Den Weg aus der Mobbing-Spirale herauszufinden, sei sehr schwer. „Die Psyche wird extrem belastet“, weiß Dr. Katzer. „Viele Betroffene essen kaum noch, ziehen sich immer weiter zurück, treffen keine Freunde mehr, zucken zusammen, wenn ihr Handy vibriert.“ Dinge, auf die auch Eltern achten könnten. Zudem sei es wichtig, auch im Netz Zivilcourage zu beweisen.

 

Lijana Kaggwa habe der Moment nach einem eigenen Post in den sozialen Netzwerken geholfen, als sie von ihren Problemen erzählt hatte. Da wurde ihr bewusst, dass sie nicht allein ist: „Da gibt es viele andere, die sich so hilflos fühlen“. Wichtig sei die Erkenntnis gewesen: „Nicht ich bin die Person, die etwas falsch gemacht hat“. Ohne Therapie, Familie und Freunde hätte sie den schweren Weg aus der Spirale nicht geschafft.

 

Informationen zur Oberbergischen Medieninitiative, zur Ausbildung zum Social-Media-Scout und über weitere Angebote gibt es hier. Wer Hilfe benötigt, kann sich zum Beispiel an den Schulpsychologischen Dienst des OBK wenden.

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