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Trauer, Hoffnung und Kritik nach dem Schock

bv; 2. Aug 2010, 17:31 Uhr
Bild: Bernd Vorländer --- Ernüchterung, aber auch Hoffnung bei Kind-Betriebsratschef Joachim Rätzer, IG Metall-Bevollmächtigter Norbert Kemper und Rechtsanwalt Dirk Herfert (v. li.).
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Trauer, Hoffnung und Kritik nach dem Schock

bv; 2. Aug 2010, 17:31 Uhr
Gummersbach – Insolvenzverwalter hat bei Otto Kind AG Arbeit aufgenommen – Kritik an Unternehmensleitung – Mitarbeiter haben seit 2003 auf 15 Millionen Euro verzichtet.
Von Bernd Vorländer

Der Schock war vielen Mitarbeitern der Otto Kind AG nach der Hiobsbotschaft im  Gesicht abzulesen. Bereits am Wochenende hatten es einige gehört, aber eine Vielzahl der Beschäftigten erfuhr erst am heutigen Morgen davon, dass ihr Unternehmen Insolvenz anmelden musste. Bedrückend sei die Stimmung gewesen, berichten Betriebsratsmitglieder. „Ich habe gestandene Männer weinen sehen“, so der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Christian Siems. Schließlich hatten sich die Kind-Mitarbeiter lange Zeit auf die Mitteilungen der vom Vorstand eingesetzten Unternehmensberatung Rölfs&Partner verlassen. Und die hatte noch vor drei Wochen positive Aussichten kundgetan. Die rosaroten Versprechungen scheiterten dann aber an der Realität, was sich am vergangenen Freitag schmerzvoll zeigte, als der Vorstand beim Amtsgericht Köln den Insolvenzantrag stellte.

Gerade dieser Zeitpunkt erbost den IG Metall-Bevollmächtigten Norbert Kemper. Schließlich hätten die die Mitarbeiter seit sechs Wochen kein Gehalt bekommen. Dieser Zeitraum müsse nun auf das Ausfallgeld angerechnet werden, wodurch dem Insolvenzverwalter gerade einmal sechs Wochen Zeit für eine Lösung bei der Kind AG bleibe, ohne dass den Arbeitnehmern neue Nachteile entstünden, denn die Mitarbeiter besäßen gesetzlich nur drei Monate Anspruch auf eine Lohnzahlung. Ob in diesem Fall eine Insolvenzverschleppung vorliege, werde sicherlich auch die Staatsanwaltschaft zu beurteilen haben, war sich Kemper sicher.  Generell bezeichnete es Kemper als wenig zukunftsträchtig für ein Unternehmen, wenn wie bei Kind in den vergangenen Jahren häufig die Vorstände wechselten.


Dass die Beschäftigten ihrem Unternehmen entgegenkommen, ist indes bei Kind kein Einzelfall. Schon seit Jahren hat man unbezahlte Überstunden geleistet, auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet. Mit 15 Millionen Euro seien die Beschäftigten der Firma seit 2003 entgegengekommen, so Betriebsratschef Joachim Rätzer. „Das macht bei den meisten ein komplettes Jahresgehalt aus.“ Er sieht nach dem Nackenschlag des Wochenendes dennoch gute Chancen, die Firma weiterzuführen. Schließlich sei man gut ausgelastet. Die Wirtschaftskrise des vergangenen Jahres habe Kind jedoch mit voller Wucht getroffen, das Auslandsgeschäft sei beinahe zum Erliegen gekommen, und die Umsätze um 20 Prozent eingebrochen.

Insolvenzverwalter Norbert Weber nahm bereits am Wochenende seine Arbeit auf und informierte heute auch die Beschäftigten. Er wird in den kommenden Wochen an mehreren Fronten kämpfen müssen, vor allem, um neues Vertrauen zu schaffen. Bei den Banken, bei Lieferanten, aber auch bei Kunden und möglichen neuen Investoren. Man habe von dem Insolvenzverwalter einen guten ersten Eindruck, so die Betriebsräte. Allerdings sieht Norbert Kemper den anvisierten Insolvenzplan in Eigenverantwortung kritisch. „So etwas läuft immer darauf hinaus, dass die Aktionäre einen Vorteil erhalten.“ Deshalb werde man sehr kritisch hinsehen, und hat mit Dirk Herfert seinerseits einen Fachanwalt für Insolvenzrecht als Berater hinzugezogen.


[Wie geht es weiter beim Traditionsunternehmen? Eine Frage, die sich nicht nur die Mitarbeiter stellen.]

Gefreut hat sich Kemper über die Nachricht vom Vorstandschef der Sparkasse Gummersbach/Bergneustadt, Frank Grebe. Der hatte am heutigen Morgen den Telefonhörer in die Hand genommen und Kemper versichert, dass kein bei Kind beschäftigter Kunde seines Instituts durch die verspätete Gehaltszahlung Nachteile erleiden, und man für die Übergangszeit Lösungen finden werde. „Das wünsche ich mir jetzt natürlich auch von anderen Instituten“, so Kemper.

Der Unternehmensvorstand hatte in einer Mitteilung heute deutlich gemacht, dass der Insolvenzantrag der andauernden Wirtschaftskrise geschuldet sei. Man sei fest überzeugt, das Unternehmen mit Hilfe eines Insolvenzplanes aus der Krise zu führen und die Geschäfte fortlaufen lassen zu können.  Keine Erklärung gab es dafür, dass man noch vor Wochen positive Signale aussendete, mit dem Betriebsrat sogar schon einen weiteren Gehaltsverzicht für die Jahre 2011 und 2012 ausgehandelt und einen entsprechenden unterschriftsreifen Vertrag vorliegen hatte, um am Freitag urplötzlich den Insolvenzantrag folgen zu lassen.

Vor dem Werkstor demonstrierten Mitglieder der oberbergischen „Linken“. In Gesprächen mit Mitarbeitern informierten sich der Kreisvorsitzende Carsten Stoffel sowie der Vorsitzende der Stadtratsfraktion Gummersbach, Klaus Heinen. Auch die beiden Linken-Vertreter wollen eine Strafanzeige gegen die Geschäftsleitung wegen Insolvenzverschleppung prüfen lassen.


[Vertreter der oberbergischen Linken sahen das Verschulden für die Kind-Insolvenz bei Vorstand und Banken.]
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