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Von der Allzweckwaffe zur One-Man-Show

ch; 24. Jun 2011, 01:59 Uhr
Bilder: Christian Herse - Im Mai standen sich die beiden Rüstwagen ein letztes Mal gegenüber. Michael Meckbach (v.l.), Hans Peter Scheurer und Markus Scheurer stellten die Neuerungen vor.
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Von der Allzweckwaffe zur One-Man-Show

ch; 24. Jun 2011, 01:59 Uhr
Lindlar – Der neue Rüstwagen der Feuerwehr Lindlar ist mit dem modernsten Rettungsgerät ausgestattet, deckt aber auch immer wieder neu entstehende Aufgabenfelder ab – ein halber Baumarkt ist künftig ebenfalls mit dabei.
Von Christian Herse

Wie ein großer Bruder wirkt der neue Rüstwagen (RW), während er vor dem Gerätehaus neben seinem Vorgänger steht. Mehr als 25 Jahre hatte der alte Iveco auf dem Buckel, ehe er in diesem Jahr ausgetauscht und zwischenzeitlich verkauft wurde. Und sein Nachfolger übertrumpft den alten RW1 in sämtlichen Details. „Das Aufgabengebiet der Feuerwehr hat sich im letzten Vierteljahrhundert stark gewandelt. Der klassische Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person nimmt nur noch einen Bruchteil der Einsätze ein. Zudem müssen wir uns auch auf neue Rahmenbedingungen einstellen“, weiß der Löschzugführer von der Feuerwehr Lindlar, Hans Peter Scheurer.

["Lukas" werden es viele eingeklemmte Menschen zu verdanken haben, dass sie schnell aus scheinbar auswegslosen Situationen befreit wurden - denn so heißt das neue System des neuen Rüstsatzes.]

Denn neben der Tatsache, dass Technische Hilfeleistungen im Vergleich zu Brandeinsätzen enorm zugenommen haben, stehen der Feuerwehr auch immer weniger freiwillige Helfer zur Verfügung. „Der demografische Wandel, Arbeitsplätze außerhalb Lindlars und das allgemeine Desinteresse sorgen dafür, dass wir mit immer weniger Kräften immer mehr leisten müssen“, bringt es der stellvertretende Zugführer Michael Meckbach auf den Punkt. Aus diesem Grund finden sich im neuen Rüstwagen zum einen wesentlich mehr Gerätschaften, aber diese sind zum anderen auch deutlich effizienter aufgeteilt, sodass sie mit wenigen Handgriffen entnommen und aufgebaut werden können. „Früher bist du dreimal zum Fahrzeug gerannt, um die Sachen zu holen. Jetzt hast du alles in einer handlichen Kiste“, schaut Markus Scheurer, der zweite Stellvertreter in der Löschzugführung, zu den Ablagefächern. Zudem ist ein halber Baumarkt im Heck des Fahrzeugs untergebracht. Ob Säge, Bohrer oder Elektrowerkzeug – aufgrund der großen Zahl an Fachleuten in der Feuerwehr Lindlar sind sämtliche Materialien verladen. Und diese sind zudem universell einsetzbar.

„Der neue Rüstsatz lässt sich im Handumdrehen abmontieren und ersetzen. Längere Reparaturzeiten überbrücken wird somit lohne Probleme“, nimmt Markus Scheurer die neue Rettungsschere in die Hand, mit der dank einer 70 Prozent höheren Druckkraft auch die Karosserien der neusten Autogeneration durchtrennt werden können. Für Lkw-Unfälle wurde zudem eine Rettungsplattform angeschafft, über die man schnell die Fahrerkabine erreichen und möglicherweise verletzte Insassen ohne Höhenunterschied behandeln beziehungsweise befreien kann. Weitere Ausrüstungshöhepunkte sind neue Hebekissen, Rüstzeug für Kanalschachtrettungen oder auch der "Power Moon" - einem Hochleistungsstrahler zum Ausleuchten von Einsatzstellen in der Nacht.


[Fast 26 Jahre rückte der alte Iveco (links) bei Technischen Hilfeleistungen aus. Jetzt ist der 350.000 € teure MAN-TGM der Helfer in der Not im kompletten Gemeindegebiet Lindlar.]

„Der neue Rüstwagen kann mindestens das Gleiche wie sein Vorgänger – nur effektiver und umfangreicher“, fasst es Hans Peter Scheurer zusammen. Bereits 2004 gab es unter dem damaligen Zugführer Manfred Lüdenbach die ersten Überlegungen den alten RW zu ersetzen. Nachdem erste Angebote eingeholt wurden, konnte man dem Gemeinderat unterbreiten, welche Summe die Kommune zur Neuanschaffung aufbringen müsste. Fünf Jahre später erfolgte dann eine Besichtigung der Ratsvertreter vor Ort. „Das alte Fahrzeug verlor immer wieder Öl, musste häufig in die Werkstatt und Ersatzteile waren schwierig aufzutreiben. Spätestens nach diesem Termin war allen klar, dass dringender Handlungsbedarf bestand“, erinnert sich Markus Scheurer.

[Alt gegen neu: Gerätewart Martin Herrmann zeigt den neuen Plasmaschneider in der rechten Hand, während der schwere und unhandliche Schneidbrenner nun endgültig ausgedient hat.]

Seit Mai steht der neue RW2 mit seine 290 Pferdestärken jetzt im Gerätehaus. Mit derzeit zwölf Tonnen Beladung ist das Maximalgewicht noch nicht erreicht, wie Meckbach anmerkt: „Es handelt sich um einen 14 Tonner,  aber wir wollten uns noch Luft nach oben lassen. Wer weiß, was in den nächsten 25 Jahren noch an neuer Technik auf uns zukommt.“ Obwohl der neue Rüstwagen quasi doppelt so groß wie der alte ist, hat er dank Allradantrieb nichts von seiner Geländegängigkeit eingebüßt. Neben der zusätzlichen Beladung von Kleinigkeiten, wie zwei Tauchpumpen oder Motorsägen, ist man besonders auf den neuen Plasmaschneider stolz. „Bis zu 25 Millimeter dicken Stahl und sämtliche Arten von Metalle lassen sich damit wie Butter zerschneiden“, führt Martin Herrmann, der ebenfalls in der Planungsgruppe saß, das neue Gerät vor. Besonders im Vergleich zu der Vorgängerausrüstung wird deutlich, welchen Dinosaurier man jetzt in Rente geschickt hat.

Auch preislich kann sich das gute Stück sehen lassen: 350.000 € ließ die Gemeinde sich den neuen Rüstwagen kosten. Damit ist man allerdings sogar noch 30.000 € günstiger, als ursprünglich veranschlagt. Fast zwei Drittel des Preises zahlte man an den Aufbauhersteller „Schlingmann“, der das Fahrzeug nach den Wünschen der Feuerwehr konstruierte. Weitere 80.000 € kostete das MAN-TGM Fahrgestell und 60.000 € legte man für neue Gerätschaften und Materialien auf den Tisch. Am Sonntagmorgen um 10:45 Uhr wird der neue RW 2 mit dem Funkrufnamen 5/52/1 nun offiziell durch Bürgermeister Dr. Hermann-Josef Tebroke eingeweiht. Anschließend wartet ein großes Feuerwehrfest auf die Besucher. Seine Feuertaufe hatte „der Neue“ allerdings schon: Doch der erste richtige Einsatz war nicht etwa ein Verkehrsunfall oder ein vollgelaufener Keller – sondern die Befreiung einer eingeklemmten Kuh aus einem Brunnenschacht.

 
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