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"Beamte die Prügelknaben" - Polizei demonstriert gegen Kürzungen des Landes

om; 23. Sep 2003, 15:41 Uhr
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"Beamte die Prügelknaben" - Polizei demonstriert gegen Kürzungen des Landes

om; 23. Sep 2003, 15:41 Uhr
(om/23.9.2003-15:40) Von Oliver Mengedoht
Oberberg - Die Polizisten in Oberberg fühlen sich von der Landesregierung verraten und im Stich gelassen, ihrem Unmut machen sie jetzt mit einer Demonstration Luft.
[Den MdLs Biesenbach (hinten v.l.), Jobi und Wilke gaben die GdP-Vertreter Leukel (unten v.l.), Setzer und Dick Schutzwesten, damit diese während des beklemmenden und emotionalen Dokumentarfilms einmal ein bisschen nachfühlen konnten, wie gefährlich der Berufsalltag der Polizei ist.]



So gab es für jeden MdL rund 30 Postkarten aus einer GdP-Aktion, um die Politiker auf die Sorgen und die Verbittertheit der Gesetzeshüter aufmerksam zu machen. "Solange Ihr so tut, als würdet Ihr uns gut bezahlen, tun wir so, als würden wir Euch gut beschützen", stand auf einer der mit Motiven aus dem Doku-Film verzierten Karten zu lesen, die die Beamten nach Belieben ausfüllen konnten, "Wachdienst bis 62? Opastreife" oder "Anstatt mein Gehalt zu kürzen, sollten Sie mal so einen Einsatz fahren" auf anderen.



Vize-Vorsitzender Uwe Dick zählte die zahlreichen Einbußen auf, die in den letzten Jahren auf die Polizeibeamten zukamen: Einfrieren des Weihnachtsgeldes auf den Stand von 1993, Streckung und Linearisierung der Ruhegehaltsskala, zeitliche Abkopplung von Besoldungserhöhungen, Versorgungsabschläge bei Frühpensionierungen, Verschlechterung bei Beihilfe und freier Heilfürsorge, Streckung der Dienstalterstufen, Absenkung der Versorgung von 75 auf 71,75 Prozent, Streichung von Urlaubsgeld und Jubiläumszuwendung, Verschlechterung der Hinterbliebenenversorgung, Kürzung des Weihnachtsgelds sowie Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit. "Alles keine Verschlechterungen, nur Reformen", merkte er zynisch an. Und das sei nur ein kleiner Auszug aus den wichtigsten Punkten.



"Beamte die Prügelknaben - Rot-Grüne Spielwiesen ersatzlos streichen"



Die Landesregierung setze mit den neuerlichen Sparmaßnahmen - Budgetkürzungen, Personalabbau, Gehaltskürzungen und Erhöhung der Wochen- und Lebensarbeitszeit - das Vertrauen der Bürger in den Staat aufs Spiel, betonte GdP-Schriftführer Henning Setzer. Durch die Erhöhung der Wochenarbeitszeit 1.000 Beamte einsparen zu können, sei eine "dumme Rechnung", warf er dem Finanzminister vor. Dadurch gebe es lediglich etwas weniger Überstunden, aber es ließe sich keinesfalls dadurch Personal einsparen. "Quatsch" und "Milchmädchenrechnung" bestätigten das Biesenbach und Wilke.





"Die Landesregierung hat die Probleme nicht angepackt und die Beamten sind nun die Prügelknaben", wetterte auch FDP-MdL Wilke. Über einige Punkte könne man zwar diskutieren, aber insgesamt sagte er den Polizisten seine Unterstützung zu. Über Mehrarbeit etwa müsse man reden - aber für ale, nicht nur die Beamten. "Ich nenne Ihnen sofort vier oder fünf rot-grüne Spielwiesen, die wir ersatzlos streichen können und das Problem der Finanzierung bei der Polizei keines mehr ist", ist Wilke überzeugt.



Zur Demo in die Landeshauptstadt





[Henning Setzer zeigte einige der Postkarten und Sprüche, die die Beamten an die Landesregierung und ihre Abgeordneten verfasst hatten.]



Die CDU fordere seit Jahren einen deutlichen Zuwachs an Polizisten, machte MdL Biesenbach deutlich. So wie jetzt könne es nicht bleiben. Immer weniger Beamte und Staatsanwälte bei steigender Kriminalitätsrate und Gewaltbereitschaft - "in NRW war es noch nie so leicht, straffrei zu bleiben", wetterte der Hückeswagener. Allerdings gab er auch einen Teil der Kritik an die GdP zurück: "Wir haben seit Jahren immer gesagt 'so geht es nicht weiter', aber die Behörden und die GdP haben geschwiegen oder gesagt, die Innere Sicherheit sei nicht gefährdet." Er bot seine Hilfe an, "aber dann müssen Sie mitmachen, geben Sie mir Antworten und nennen Sie die Missstände beim Namen. Vor einem Jahr habe ich genau dafür von Polizeichef vom Brocke öffentlich Prügel bezogen", erinnerte sich Biesenbach.



"Wir sind nicht generell gegen eine Kürzung", machte GdP-Chef Leukel klar. "Aber wir wollen einen guten Job machen, und dafür verlangen wir gerechte Bezahlung, keine weiteren Kürzungen sowie anständige Ausstattung und Personal, die nicht vom aktuellen Topf des Finanzministers abhängig sind, sondern sich am Bedarf orientieren!"



Beide Landtagsabgeordneten hatten allerdings wenig Hoffnung, dass an den Plänen der Landesregierung noch etwas geändert werden könne. Die GdP gibt noch nicht auf und fährt morgen Mittag mit rund 100 Polizisten aus Oberberg nach Düsseldorf, um mit rund 20.000 Demonstranten aus dem Beamtenlager gegen die Sparpläne von Steinbrück & Co. zu protestieren.

[Bilder: Oliver Mengedoht --- Uwe Dick zeigte einen kleinen Auszug der Kürzungen aus den letzten Jahren auf, mit denen Polizisten klarkommen mussten.]



"Wir wünschen uns, dass Sie uns helfen", begrüßte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Kreisgruppe Oberberg, Hans-Jochen Leukel, die oberbergischen Landtagsabgeordneten und Medienvertreter zu einer Pressekonferenz - "denn wir fühlen uns von der Politik verraten". Grund des Unmuts: Trotz etlicher Einbußen bei ihren Gehältern in den letzten Jahren sind nun erneut Sparmaßnahmen der Landesregierung auf dem Tisch, die den Beamten eine höhere Wochenarbeitszeit bei gleichzeitigen weiteren Kürzungen bescheren würden. "Wir sind von der Landesregierung tief enttäuscht, fühlen uns betrogen und rufen zum Protest auf. Es reicht", argumentierte der GdP-Vorsitzende.



Um mal einen Eindruck von dem ach so sicheren Arbeitsplatz des Polizisten zu liefern, hatten die Polizisten einige Schutzwesten mitgebracht, die sie den Landtagsabgeordneten Professor Friedrich Wilke (FDP), Hagen Jobi und Peter Biesenbach (CDU) andienten und dabei eine GdP-Dokumentation über ihren "sicheren Arbeitsplatz" vorführten. Mit dem durch den 11. September weltberühmt gewordenen Lied "Only Time" von "Enya" unterlegt erinnerte der kurze Film eindrucksvoll an das Massaker in Erfurt, Kurdenkrawalle auf den Autobahnen 1997, die Polizistenmorde 2000 in Dortmund, die "Chaostage" in Berlin, Kampfhundattacken auf einem Spielplatz und andere Ereignisse, bei denen Polizeibeamte getötet oder schwer verletzt wurden, 500 bis 700 Beamte werden jährlich in Ausübung ihres Dienstes schwer verletzt, 63 sind in den letzten zehn Jahren ums Leben gekommen.



"Ein junger Kommissar mit Frau und zwei Kindern liegt nicht weit über dem Sozialhilfeniveau"





[Karikatur eines kreativen Beamten zu den Einsparungen im Polizeidienst.]



"Für viele mag das erschreckend und schockierend sein, aber das ist unser täglicher Alltag und Berufsrisiko", verdeutlichte Leukel. Obwohl der Film "noch zurückhaltend" sei, wie Biesenbach zugab, hatte er seinem Kollegen Jobi gereicht: "Privat hätte ich spontan abgeschaltet", bekannte er. Auch Polizisten seien aber nur normale Menschen, die einmal ihre Gemütslage zeigen dürften. "Wir verwalten hier nur den Mangel, den uns das Land überlassen hat", suchte Jobi die Schuldigen bei Rot-Grün. Dabei sei es aber faszinierend, welche Leistung die Polizei in Oberberg dennoch erbringe. Biesenbach bemerkte, dass "die Polizisten in den letzten 50 Jahren die Verlierer im Beamtentum waren". Noch vor einigen Jahren seien sie Lehrern in jeder Hinsicht gleich gestellt gewesen - in der vergangenen Dekade hätten sie gegenüber Angestellten zehn Prozent ihres Einkommens eingebüßt. "Ein junger Kommissar mit Frau und zwei Kindern liegt nicht weit über dem Sozialhilfeniveau."



FDP-Vertreter Wilke fand die Forderungen der GdP durchaus begründet, fand aber die Vermischung der Fakten mit dem emotionalen Film und die absichtliche Verwechslung des sicheren Arbeitsplatzes im Sinne von Jobverlust und Berufsrisiko "nicht glücklich". Verständlich, fand GdP-Chef Leukel, aber man wolle wachrütteln, aufmerksam machen. Bei allem Verständnis

für die desolate Lage des Landes sei es angesichts der erlittenen sozialen Schnitte nicht länger hinnehmbar, sich immer mit dem Argument des sicheren Arbeitsplatzes "abspeisen zu lassen", machte auch Personalratsvorsitzender und GdP-Vorstand Peter Haude klar. Bei den Soldaten der Bundeswehr sei es auch in der Gesellschaft unumstritten, dass sie bei Einsätzen das Risiko wenigstens finanziell abgegolten bekämen. "Wir sind zwar hier nicht in einer Krisenregion, aber hinter jedem Einsatz, wie harmlos er auch zunächst erscheinen mag, sind Menschen in Ausnahmesituationen und lauert die Gefahr."



"Solange Ihr so tut, als würdet Ihr uns gut bezahlen, tun wir so, als würden wir Euch gut beschützen"





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