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Wenn der Wahn der Umwelt zum eigenen Wunschbild wird

Red; 4. Jul 2008, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Wenn der Wahn der Umwelt zum eigenen Wunschbild wird

Red; 4. Jul 2008, 00:00 Uhr
(Red./20.6.2008-11:40) Reichshof - Literaturkurs der Gesamtschule Reichshof führte "Andorra" von Max Frisch auf.
[Bilder: privat.]

Was sind Vorurteile? Wie entstehen sie und welche Folgen haben sie für das Leben eines Menschen? – Diese Frage stellte sich Max Frisch in seinem 1961 uraufgeführten Stück „Andorra“, das mit dem Land gleichen Namens nichts zu tun hat, aber überall stattfinden könnte. Unter der Regie von Norbert Grümme gaben die Schüler des Literaturkurses dem Mechanismus eines Verhängnisses Gestalt. Da ist ein junger Mann, Andri (Florian Bauer), der in Barblin (Kristina Burghof) verliebt ist. Aber Andri ist „anders“. Er ist von seinem Vater, dem Lehrer Can (Christian Hausmann), als vermeintliches Judenkind vor den „Schwarzen“ angeblich gerettet wurde.

Aber in Wahrheit ist Andri Cans unehelicher Sohn. Als „Judenkind“ wird Andri in Verhaltensweisen und Rollenmuster geradezu hinein gepresst, die er dann als seine eigene Identität „annimmt“. Dazu zwingen ihn ein Tischler (Bastian- Jason Risken),sein Lehrherr, ebenso wie die wohlmeinende Pastorin (Annika Rinke) und der Soldat (Christian Gösselkeheld), aber auch die Doktorin (Hilal Solak): Alle haben aus ihrer Sicht nur „das Beste“ für Andri im Sinn – und erkennen nicht, was sie dem Jungen eigentlich antun. Der Wahn seiner Umwelt wird zum Wunschbild von Andris Existenz: „Ich will anders sein“.

Auch als die Wahrheit seiner Herkunft ans Licht kommt, hält Andri an seinen Fremdzuschreibungen fest. Daran vermögen weder seine wirkliche Mutter aus dem Land der „Schwarzen“, die Senora (Vanessa Lobbe) noch seine (Stief-)Mutter (Olga Falk) etwas zu ändern. Darum ist nach dem Einmarsch der „Schwarzen“ in ihrem Judenhass das Verhängnis nicht mehr aufzuhalten: Andri wird nach dem Urteil des „Judenschaueres“ (Rebecca Kretzschmar) liquidiert, der Vater erhängt sich und Barblin verfällt dem Wahnsinn. Alle anderen geben sich unschuldig.

Was Max Frisch in erschreckender Weise darstellte, machte der Literaturkurs der Stufe 12 der Gesamtschule Reichshof anschaulich. Das Publikum in den Vorstellungen der Inszenierung von Grümme würdigte die Darstellungsleistung ebenso wie die Schulleitung der Gesamtschule Reichshof, für die Wolfgang Fiedler den jungen Schauspielern Blumen als Anerkennung überreichte.

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