Archiv

ISE: Rückzug des Investors droht und die Zeit drängt

lo; 5. Jun 2008, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
ARCHIV

ISE: Rückzug des Investors droht und die Zeit drängt

lo; 5. Jun 2008, 00:00 Uhr
(lo/20.5.2008-15:55) Bergneustadt - 48 Stunden vor dem geplanten Eintritt der Bedingungen des Kaufvertrags fehlen immer noch etwa 100 Mitarbeiter- Unterschriften - Kundgebung fand großen Anklang.
[Bilder: Michael Kleinjung, Björn Loos (3) --- Rund 2.000 Menschen besuchten die Mitarbeiter-Kundgebung vor dem ISE-Haupttor.]

„Wenn die Dinge so bleiben wie sie sich aktuell darstellen, sehen wir uns nicht in der Lage, ISE zu übernehmen.“ Ohne Umschweife brachte es Anton Schneider, Managing Director der Nordwind Capital, auf den Punkt. Wie auf einer heutigen Pressekonferenz deutlich wurde, ist die Übernahme der ISE Innomotive durch den Investor stark gefährdet. An dessen Position hat sich nichts geändert. Verweigern die 80 bis 100 Unwilligen ihre Unterschrift unter die Aufhebungsvereinbarung und den damit verbundenen Transfer in eine Betriebsqualifizierungsgesellschaft (BQG), ist der Deal gescheitert. Bürgermeister Gerhard Halbe bezeichnete dies als „Super-GAU-Szenario“ für die Stadt Bergneustadt. Landrat Hagen Jobi appellierte an die Nicht-Unterzeichner, in die ISE-Gemeinschaft zurückzukehren. Insolvenzverwalter Christopher Seagon stufte die Lage als „sehr kritisch“ ein, zumal die Zeit drängt: Der Plan sieht vor, dass der Eintritt der Vertragsbedingungen zum 22. Mai erfolgen soll.

[Ausbildungsleiter Ingo Kaufmann sprach zu den Anwesenden.]

Sollte sich Nordwind tatsächlich zurückziehen, wären die Folgen laut Seagon dramatisch. Da der gesamten ISE-Gruppe Aufträge fehlten beziehungsweise die bestehenden im kommenden Jahr drastisch zurückgingen, wäre der angeschlagene Automobilzulieferer innerhalb der nächsten beiden Jahre kaum noch marktfähig. „ISE hatte schon vor dem Insolvenzverfahren hohe Verluste und kam auch im letzten Jahr nicht ohne aus. Das Unternehmen hat nur mit einem neuen Investor Zukunft.“ Er als Insolvenzverwalter sei angesichts der schlechten Finanzlage schon bald dazu verpflichtet, Mitarbeiter zu entlassen, falls Nordwind nicht einsteigen sollte. Seagon: „Zwar nicht im großen Stil, aber ich werde kündigen müssen.“

Das Verfahren, dass Mitarbeiter ihre Arbeitsverhältnisse aufheben und der Investor die neue Belegschaft aus der Transfergesellschaft rekrutiert, sei bei Übernahmen aus einer Insolvenz nichts Ungewöhnliches. Andere Kaufinteressenten hätte das gleiche Prozedere verlangt. „Dass der Investor einen arbeitsrechtlichen Neustart fordert, ist alltäglich“, betonte Seagon. Mit Nordwind sei die sozialverträglichste Lösung gefunden worden. „Die Ausstattung der BQG ist einzigartig“, fand auch Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Kakuschki. Selbst diejenigen, die keinen neuen Arbeitsvertrag erhielten und in der BQG verblieben, hätten gute Chancen, woanders Fuß zu fassen. Diese Erfahrung sei bei der hohen Vermittlungsquote im Rahmen der Übernahme von ISE Intex vor einem Jahr gemacht worden.

[Die Lage ist ernst: Insolvenzverwalter Christopher Seagon (vorne) und Nordwind Capital-Geschäftsführer Anton Schneider.]

Laut Schneider habe man bei Verhandlungen eine Reihe von Zusagen gemacht. „Wir werden keinen Raubtierkapitalismus betreiben“, so der Nordwind-Chef. So verzichte man in den ersten fünf Jahren auf die Herausnahme einer Dividende. Wird eine Mindest-Rentabilität erreicht, würden Urlaubs- und Weihnachtsgeld wieder zu hundert Prozent ausbezahlt. Zudem bekämen die Beschäftigten trotz der neuen Arbeitsverträge sieben Dienstjahre angerechnet. Die Zahl der Leiharbeiter, die zuletzt mangels qualifizierter Kräfte eingestellt wurden, soll nach der Nordwind-Übernahme wieder reduziert werden.

[Viele verewigten sich auf dem Unterschriftenplakat.]

Finanzielle Risiken wie Pensionskosten werde Nordwind nicht übernehmen, so Schneider, der neue Verhandlungen mit den Nicht-Unterzeichnern ausschloss. Er befürchtet zwei Klassen von Mitarbeitern, wenn man denjenigen, die für sich andere Regelungen erkämpfen und möglicherweise in ein Arbeitsverhältnis einklagen wollen, entgegenkommen würde. „Dadurch wird von vornherein eine tiefer Verärgerung innerhalb des Unternehmens geschaffen“, erklärte Schneider. Die fehlenden Beschäftigten hätten es nun selbst in der Hand. „Sie sollten sich sagen: ‚Ich bin lieber in der BQG als irgendwann die Kündigung zu erhalten’“, meinte Seagon.

Auf Initiative der Mitarbeiter, die dem Transfer in die BQG zugestimmt habe, fand am Nachmittag unter dem Motto „Ich bin dabei - Ein Herz für ISE“ eine Kundgebung statt. Rund 2.000 Besucher, darunter auch die Familienmitglieder der Betriebsangehörigen, nahmen an der Veranstaltung vor dem Haupttor teil. "Wir appellieren noch einmal eindringlich an alle Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht unterschrieben haben, das entweder noch heute, spätestens aber morgen zu tun", erklärte Ausbildungsleiter Ingo Kaufmann. Am Eingang wurde ein Plakat aufgehängt, auf dem jeder per Unterschrift seine Solidarität zu ISE dokumentieren kann.

[Auch Bürgermeister Gerhard Halbe (2.v.l.), Beigeordneter Thomas Falk (Mitte), Betriebsratvorsitzender Wolfgang Kakuschki (links), CDU-Kreistagsabgeordneter Hans Helmut Mertens (3.v.r.), Kämmerer Rolf Pickhardt (2.v.r.) und SPD-Fraktionsvorsitzender Stefan Retzerau (rechts) zeigten sich solidarisch.]



WERBUNG