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Eine Tigerente geht ihren Weg - Gut "Waldruhe" für psychisch Erkrankte feiert 100-Jähriges

ch; 2. Jun 2008, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Eine Tigerente geht ihren Weg - Gut "Waldruhe" für psychisch Erkrankte feiert 100-Jähriges

ch; 2. Jun 2008, 00:00 Uhr
(ch/17.5.2008-19:30) Wiehl - Viele Gratulanten kamen zur Feierstunde des "Dorfes im Dorf" nach Wald - Großes Lob für Integration in den Alltag der Gesellschaft.
[Bilder: Christian Herse --- In einer Talkrunde äußerten sich Stiftungs-Direktor Prof. Dr. Klaus Hildemann (v.l.), Landtagsabgeordneter Dr. Gero Karthaus, Bundestagsmitglied Klaus-Peter Flosbach und Bürgermeister Werner Becker-Blonigen über das "Geburtstagskind" Waldruhe.]

„Wenn Sie heutzutage diese kleinen Flattermänner sehen, häufig als Tigerente bemalt, dann ist dies ein Stück Waldruhe. Denn bei uns ist die Idee dazu entstanden, ehe die Baumärkte so etwas zum Verkauf angeboten haben“, erklärte gestern Einrichtungsfeier Heinz-Joachim Baumann im gut besuchten Festsaal. Im Herbst 1907 kamen die Verantwortlichen der Diakonie auf die Idee, ein Heim für „Schwachsinnige“, wie es damals noch hieß, im Oberbergischen zu eröffnen. Bereits ein Jahr später konnte man in dem kleinen Dorf Wald ein dutzend Menschen begrüßen, die fortan auf einem ehemaligen Landgut lebten.

[Freute sich besonders über die langjährige Unterstützung aus der Bevölkerung: Einrichtungsleiter Heinz-Joachim Baumann]

Seit der Gründung hat sich an der Grundidee nichts geändert, weiß Prof. Dr. Klaus Hildemann als Direktor der Theodor-Fliedner-Stiftung, zu der Waldruhe gehört: „Soviel Selbstständigkeit wie möglich, soviel Betreuung wie nötig. Unter diesem Leitgedanken helfen wir den Einwohnern in ihrem täglichen Leben und unterstützen sie auch nur da, wo sie Hilfe brauchen.“ Es sei das Ziel, dass alle ein normales, in die Gesellschaft integriertes Leben führen, bei dem sie ihre Individualität ausleben können. Regelmäßige Aktionen mit dem Dorfverein Börnhausen oder dem Kindergarten „Rappelkiste“ verdeutlichen, dass Waldruhe tatsächlich nicht ein abgeschottetes Heim für psychisch Behinderte ist, sondern voll in das tägliche Leben eingebunden wird. „Besucher werden keine Schranken am Eingang finden. Hier darf jeder kommen und gehen, wann er möchte.“, betonte Hildemann.

[Becker-Blonigen sieht Wiehl als das Zentrum der Behindertenarbeit in Oberberg.]

Besonders bemerkenswert findet Bürgermeister Werner Becker-Blonigen, für was für eine Entwicklung das Dorf in der Stadt Wiehl gesorgt hat: „Wir sind unbewusst zum Mittelpunkt der Behindertenarbeit in Oberberg geworden. Mit den zahlreichen Behindertenschulen und der Werkstatt ist es für die Wiehler normal geworden und sie haben einen entsprechenden Zugang zu den Menschen gefunden.“ Eine Eigenschaft, die ihn stolz mache und ein Grund dafür sei, dass er sich sicher ist, das Waldruhe weiterhin ein fester Bestandteil von Wiehl sein werde. Mittlerweile leben 82 Kranke in Einzelappartements oder Wohngruppen und sorgen größtenteils für sich selbst. Dort haben sie die Möglichkeit, ihre Psychosen auszuleben oder bei verschiedenen Freizeitangeboten, wie der Holz- oder Töpferwerkstatt, ihr Selbstbewusstsein neu aufzubauen. „Viele Bewohner sind schon seit über 15 Jahren erkrankt und wissen damit umzugehen. Hier geben wir ihnen die Möglichkeit, Vertrauen in sich selbst zu finden und möglicherweise wieder ein eigenständiges Leben im bekannten Umfeld führen zu können“, berichtete Baumann.

„Wenn ich die Dorfgemeinschaften mit Vertretern aus den verschiedensten Organisationen besuche, werden wir immer direkt nach Waldruhe geführt. Während andere Ortschaften versuchen zu verschleiern, dass es solche Einrichtungen bei ihnen gibt, wird hier explizit auf die Vorteile hingewiesen“, wusste Landtagsabgeordneter Dr. Gero Karthaus, der vor zwanzig Jahren erstmals in Wald war. Ähnliche Erfahrungen durfte auch Klaus-Peter Flosbach, der als Bundestagsmitglied seit zwölf Jahren regelmäßig einkehrt und in Deutschland bislang nichts Vergleichbares erlebt hat.

Während der Festakt für viele Bewohner nur live im Fernsehen verfolgt werden konnte, fand am Nachmittag dann eine große Feier für alle statt. Von ihnen selbst gestaltet, brachten sie den Gästen die Geschichte von Waldruhe auf lebendige und liebevolle Weise näher. Abends wurde die Veranstaltung mit einem großen Open-Air Konzert abgeschlossen.


[Viele Unterstützer und ehemaligen Bewohner kamen zur Feierstunde in den Festsaal des zehn Häuser und einen Stall großen Dorfes.]



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