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Hünermunds Impressionen aus dem Reich der Mitte

Red; 30. Oct 2007, 00:00 Uhr
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Hünermunds Impressionen aus dem Reich der Mitte

Red; 30. Oct 2007, 00:00 Uhr
(Red./15.10.2007-15:05) Bergneustadt - Bruno Hünermund, seit Jahrzehnten als Olympia-Dolmetscher im Einsatz, weilte zu Vorbereitungen auf die Spiele 2008 in Peking und begleitete die kürzlich stattgefundenen Special Olympics in Shanghai.
[Bild: privat --- Bruno Hünermund mit vier chinesischen Volunteers von der "Fujan University“ vor der Volleyballhalle in Shanghai.]



Vorbereitung auf Olympia 2008 in Peking



„Wohl noch nie in der olympischen Geschichte sind die olympischen Pracht-Alleen bereits ein Jahr vor Beginn der Spiele so vollständig und perfekt fertiggestellt, dass sie architektonisch, verkehrstechnisch und sogar floristisch in einem verblüffenden Glanz erstrahlen. Die Bettler, Krüppel sowie blinde Kinder in abgelegenen Stadtteilen rücken dann das Bild des Besuchers wieder zurecht und erinnern daran, dass China auch weiterhin verschiedene Gesichter hat - sowohl prunkvolle Neubauten als auch bittere Armut. Die olympischen Sport-Anlagen sind zwar zum Teil noch nicht fertiggestellt, sind aber mit Sicherheit bald funktionsbereit. Zur Zeit arbeiten Maler-Kolonnen und Gärtner-Brigaden auch während der Nacht.



Interessant ist das Training der chinesischen Athleten für die kommenden Sommer-Spiele 2008: Im Geräteturnen werden B- und C-Teile biomechanisch verschmolzen und steigern das Turnen von einer sportlichen "Athletik" zu einer atemberaubenden "Artistik". Interessant war hierbei das junge Durchschnittsalter der Athleten. Im Tischtennis haben sie einfallsreich unsichtbare Angaben entwickelt. Selbst in Sportarten, die bisher nicht gerade typisch chinesisch waren, wird hinter Sichtschutz-Netzen hart bis in die Abendstunden trainiert.



Nicht nur durch die 56 Fernsehkanäle von Ost-China, sondern auch durch die Print-Medien aller Provinzen wird täglich intensiv für die 16-tägige Veranstaltung im August kommenden Jahres für patriotische Stimmung geworben. Da Chinesen Angst haben, sich über politische Themen frei zu äußern, wird nur hinter vorgehaltener Hand deutlicher Unmut geäußert, dass die Eintrittskarten, die nach einem Lotto-System vergeben werden, für den Normalbürger praktisch kaum zur Verfügung stehen. Die Losziehung wird zwar von zwei kontrollierenden Notaren ständig auf die Korrektheit überprüft, aber welcher aufgeweckte Chinese traut Leuten, die von oben durch die Partei eingesetzt werden. Mit Bitterkeit wird auch geschluckt, dass wieder nur die internationalen Groß-Konzerne wie Coca-Cola oder Samsung sowie die höheren Kader der kommunistischen Partei mit Karten bedacht werden.“






Special Olympics in Shanghai (2. bis 11. Oktober)



„Durch die Fußball-WM der Frauen wurde das olympische Thema in der Vorbereitungsphase deutlich in den Hintergrund verdrängt. Die Volunteers waren eine lernfreudige Elite aus Oberstufen-Schülern und Studenten, die jedoch durch die kurze Ausbildungszeit nicht immer hinreichend qualifiziert werden konnten. Ich habe als Oberberger diesen sympathischen jungen Leuten erst einmal das Lesen der Stadtpläne ihres eigenen Wohnorts erklären müssen. Viele hatten noch nie einen kompletten Stadtplan von Shanghai in den Händen gehabt.



Der Kritik aus manchen Delegationen, dass die Beherrschung der europäischen Sprachen sehr dürftig und brüchig war, kann man entgegenhalten, dass auch wir Europäer uns mit ost-asiatischer Syntax und Lexik sehr schwer tun, und die Phonetik für uns außerordentlich schwierig ist. So wie im kommenden Jahr in Peking waren auch in Shanghai Englisch und Hun-Chinesisch die offiziellen Organisations-Sprachen. Trotzdem war es für die einfachen Athleten schwer, unter den Chinesen einen Fahrer zu finden, der Mandarin oder ein paar Brocken Englisch konnte. Die meisten davon sprachen nur Shanghainese.



Wenn die glanzvolle Eröffnungsfeier der Special Olympics oder die Abendveranstaltungen im Großstadion ein Vorgeschmack auf die Eröffnungsfeier im kommenden Jahr waren, so kann man nur vage ahnen , was die Chinesen am 2. August 2008 der Welt an gigantischem Zauberwerk und aussagekräftiger Symbolik präsentieren werden. Bitterkeit herrschte in Shanghai in vielen Kreisen, weil außer begrenzten Kartenkontingenten für die Delegationen die überwiegende Menge der Eintrittskarten wieder an die internationalen Großkonzerne und die Polfit-Kader gingen. Dadurch war die interessierte Öffentlichkeit praktisch von der direkten Teilnahme an diesem großartigen Kultur-Ereignis ausgeschlossen und auf zwei Fernsehkanäle angewiesen.



Abschließend muss festgehalten werden, dass ich in dem Hutong, in dem ich mit etwa 60.000 bis 80.000 Chinesen lebte, eine ungeheure Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit spürte. Und so fleißige Studenten wie die jungen Volunteers in Shanghai habe ich noch nicht erlebt. Von daher freue ich mich schon auf die weitere technische und sprachliche Ausbildung der jungen Leute vor den Sommerspielen 2008.“




Bruno Hünermund, Bergneustadt

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