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Echte Probleme, aber kein Erziehungsnotstand

bv; 27. Nov 2006, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Echte Probleme, aber kein Erziehungsnotstand

bv; 27. Nov 2006, 00:00 Uhr
(bv/12.11.2006-19:25) Oberberg – Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises an der Agger diskutierte über das Thema Familie. Superintendent Jürgen Knabe will Diakoniearbeit Vorrang einräumen.
[Bilder: Michael Kleinjung --- In einer Podiumsdiskussion debattierten die Teilnehmer auf der Kreissynode über das Thema Familie.]

Das Thema „Familie“ stand im Mittelpunkt der Beratungen der Delegierten bei der Kreissynode 2006 des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger im evangelischen Gemeindehaus Waldbröl. Eine Podiumsdiskussion beschäftigte sich mit der Frage „Familie, Schule, Kirche – wer erzieht unsere Kinder?“ Unter der Leitung von Volker Göttsche, Chefredakteur der evangelischen Zeitschrift „chrismon plus rheinland“, diskutierte ein Expertengremium über aktuelle Fragen.

Eine zunehmende Verunsicherung von Eltern in pädagogischen und religiösen Fragen konstatierte zu Beginn der Diskussion Susanne Uelner von der Kindertageseinrichtung Müllenbach. Das Gefühl der Überforderung resultiere unter anderem daraus, dass die Welt „immer komplizierter und schnelllebiger werde, bestätigte auch Kirchenkreis-Jugendreferent Harald Hüster: Bei den ständigen Veränderungen im gesellschaftlichen Leben könnten die Menschen nicht mehr mithalten. Diese Unsicherheit übertrage sich auch auf Kinder.

Aus Sicht der Beratungsarbeit ergänzte der Wiehler Heilpädagoge Hans-Jürgen Lücking die besondere Situation bei Familien in Krisen: „Wenn Eltern beispielsweise in Trennung leben, sind sie derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie kaum noch für ihre Kinder ansprechbar sind.“

[Engagiert votierten die Teilnehmer für mehr staatliche Hilfen und sah in einer Stärkung von Eltern die Möglichkeit, Erzeihungsarbeit zu verbessern.]

Zu solch einer Krise kann auch Arbeitslosigkeit der Eltern gehören: Kinder erlebten dann, dass ihre Eltern nur noch begrenzt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und die sich daraus ergebende Resignation, erläuterte Doris Sandbrink, Vorsitzende der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen im Rheinland. Dies sei auch der Grund dafür, dass Lehrer immer häufiger Funktionen von Eltern übernehmen müssten, so Dieter Ströhmann, Leiter der Gesamtschule Eckenhagen. Insgesamt aber sei, so Doris Sandbrink, die Situation keineswegs so dramatisch, dass von einem Erziehungsnotstand gesprochen werden müsse.

So blieb auch das Podiumsgespräch nicht in der Analyse stecken, sondern wandte sich Lösungsansätzen zu. „Erziehungsarbeit ist immer auch Beziehungsarbeit“, sagte Regine Ruch, gelernte Erzieherin und Mutter von fünf Kindern, „man kann nur erziehen, wenn man eine gute Beziehung zu seinen Kindern hat.“ Eltern in ihrer Rolle stärken, das gehe am besten im persönlichen Gespräch, berichtete Susanne Uelner aus ihrer praktischen Arbeit: „Wir versuchen auch als Erzieherinnen Vorbilder für die Eltern zu sein.“

Für den direkten Kontakt zwischen Eltern, Erziehern und Lehrern plädierte auch Doris Sandbrink: „Was die Medien unter der Bezeichnung „Ratgeber“ produzieren, ist überwiegend Müll“, so Sandbrink im Blick auf Sendungen wie die „Super-Nanny“. Sie plädierte außerdem an die Politik, für eine bessere Verteilung von Bildungschancen zu sorgen: „In keinem anderen europäischen Land sind die Bildungschancen so ungerecht verteilt wie in Deutschland.“ Für eine Werteerziehung in der Schule machte sich Dieter Ströhmann stark: „Wir haben dazu ein Konzept erarbeitet, das wir nun an unserer Schule umsetzen werden.“ Eltern und Lehrer müssten „Leuchttürme“ für Kinder und Jugendliche sein.

Kirchenkreis-Superintendent Jürgen Knabe konnte beim Thema Finanzen eine leichte Entspannung vermelden. Einstimmig wurde der Haushaltsplan für 2007 verabschiedet. Derzeit ist klein weiterer Rückgang bei den Kirchensteuern zu erwarten. Als Synodalbeauftragter für Diakonie verabschiedet Knabe Eduard Bornemann. Als nachfolger wird sich Diakonie-Pfarrer Jochen Gran aus Waldbröl um diese Fragestellungen kümmern. Aus dem Kirchenkreis-Vorstand scheidet Hildegard Hundhausen aus. Ihre Arbeit wird Ursula Nohl übernehmen.

[Superintendent Jürgen Knabe mahnte, dass die Diakonie in der Kirche aus Kostengründen nicht weiter zurückgefahren werden dürfe.]

Ebenfalls verabschiedet wurde die Leiterin der Flüchtlingsberatungsstelle, Helma Tepin, nachdem der Kirchenkreis in der Vergangenheit aus Kostengründen die Beratungsstelle personell verkleinert hatte.

Superintendent Jürgen Knabe dankte Helma Tepin für ihr Engagement und ihren unermüdlichen Einsatz für Menschen, die vor Krieg und Gewalt Zuflucht in Deutschland gesucht haben: „Sie waren stets eine kämpferische Anwältin für die Schwächsten in unserer Gesellschaft“, so Knabe. In seinem Jahresbericht ging Knabe zunächst auf die Situation der Kirche ein: Die in allen gesellschaftlichen Bereichen sinkende Bereitschaft zu aktivem ehrenamtlichen Engagement sei auch im kirchlichen Bereich feststellbar.

Zudem führten Geburtenrückgang und steigende Lebenserwartung zu einer Vergreisung auch der Kirche: „Die Zahl der Mitglieder der Evangelischen Kirche im Rheinland wird von heute rund 3 Millionen auf etwa 2 Millionen im Jahr 2030 zurückgehen.“, erläuterte Knabe eine kirchliche Studie.


Im gleichen Zeitraum werde die rheinische Kirche voraussichtliche die Hälfte ihrer Finanzkraft verlieren. In der diakonischen Arbeit seien in den vergangenen Jahren manche Bereiche aus finanziellen Gründen aus der verfassten Kirche ausgegliedert und in gemeinnützige GmbH’s umgewandelt worden. Dies habe zugleich dazu geführt, „dass die Diakonie in manchen Gemeinden anonym geworden ist.“, so Knabe.

[Helma Tepin leitete über viele Jahre die Flüchtlingsberatungsstelle und wurde verabschiedet.]

Daher müsse daran gearbeitet werden, dass „die Diakonie vor Ort wieder präsent wird und bestimmten Personen zugeordnet werden kann.“ Auch die vielen gewalttätigen Konflikte in aller Welt und das steigende militärische Engagement Deutschlands nahm der Superintendent in den Blick. Es zeige sich immer deutlicher, dass Gewalt kein geeignetes Mittel zur Konfliktlösung ist:

„Krieg hinterlässt nie Sieger, immer nur Opfer.“, stellte Knabe fest und mahnte an, Kirche müsse stärker als bisher neue Strategien zur Überwindung von Gewalt entwickeln und für ein gerechtes Verhältnis zwischen den Völkern eintreten: „Wir dürfen keine Strukturen zulassen, die zu einer Entwürdigung des Menschen führen."

Beschlossen wurde, dass angesichts des im kommenden Jahr in Köln stattfindenden Kirchentages Wasser aus Flüssen aller oberbergischen Kirchengemeinden gesammelt und dann in ein Fass gefüllt werden soll, dass der Superintendent unter dem Motto „Das Rheinland fließt zusammen“ als Gemeinschaftssymbol mit zu dem großen bundesweiten Treffen nehmen soll. Informiert wurde die Kreissynode schließlich noch über ein Buchprojekt über die oberbergischen Kirchengemeinden, das in einem Jahr erscheinen soll.



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