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Fußball-Knaller entwickelt sich zum Straßenfeger – Firmen geben Beschäftigten frei

bv-ks; 19. Jul 2006, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Fußball-Knaller entwickelt sich zum Straßenfeger – Firmen geben Beschäftigten frei

bv-ks; 19. Jul 2006, 00:00 Uhr
(bv-ks/4.7.2006-16:35) Oberberg – Wenn Klinsis Jungs heute Abend in Dortmund gegen Italien antreten fiebert auch ganz Oberberg mit. Das WM-Fieber hat auch Firmen erfasst und sogar die Kirche zittert mit.
[Bilder: Archiv, privat --- Jubelstürme sind heute wieder auf dem Lindenplatz zu erwarten.]

High Noon um 21 Uhr. Die Pilgerstätten des Public viewing im Kreis werden wieder brechend voll sein. Aber auch Politiker und Behördenchefs können und wollen sich dem runden Leder nicht entziehen. Wiehls Rathauschef Werner Becker-Blonigen macht sich sogar auf zu seinem Italiener. In der Stamm-Pizzeria „werde ich was Leckeres essen und den Wirt trösten, weil Italien nach Hause fahren muss“, meint „BB“ lächelnd. Versteht sich von selbst, dass der Bürgermeister mit schwarz-rot-goldener Kriegsbemalung im Gesicht unterwegs ist.

Hückeswagens Bürgermeister Uwe Ufer freut sich dagegen schon auf einen gemütlichen Abend daheim. Natürlich schaut er das Spiel, „mit einem kühlen Glas Bier“ und neben seiner Frau mitfiebernd. Kreis-Vize Jochen Hagt begrüßt derweil gute Freunde zu Hause mit einem Fässchen Bier, das beim Spiel geleert wird. „Wir werden gewinnen“, ist sich Hagt sicher. Eine deutsche Fahne wird natürlich geschwenkt und entsprechende schwarz-weiße Trikots werden die Besucher wohl auch übergezogen haben, glaubt Hagt.

[Im Gummersbacher Brauhaus und auf dem Lindenplatz dürfte heute abend der Teufel los sein.]

Auch in den Betrieben der Region sind Fußball-freundliche Regelungen gefunden worden. Beim Edelstahlwerk Kind & Co in Bielstein hat man im Gemeinschaftsraum eine große Leinwand und einen Beamer aufgestellt. „Die Arbeit kann nachgeholt werden, denn wir wollen, dass die meisten, die schauen wollen, dies auch können“, hat Personalchef Stefan Homrighausen die Devise für die Spätschicht ausgegeben. Bei der BPW Bergische Achsen in Wiehl können sich die Mitarbeiter im Rahmen der Gleitzeit heute Abend frei nehmen.

„Aber wer da ist, muss auch arbeiten“, meint die Personal-Verantwortliche Irmgard Scherer. Bei Rüggeberg in Marienheide gibt es „gar keine Probleme“ wie Personalchef Klaus Weißenberg bemerkt. Es hätten sich genügend „Fußball-Verweigerer“ gefunden, die auch heute um 21 Uhr arbeiteten. Die übrigen könnten sich frei nehmen und die Stunden auf einem Zeitkonto verrechnen lassen.

Nur hastige Blicke auf den Bildschirm können sich die Mitarbeiter des Gummersbacher Brauhauses heute leisten. „Für uns ist Großkampftag, aber ich bin sicher, dass nicht nur unser WM-Team, sondern auch unser Brauhaus-Team siegreich sein wird“, ist Geschäftsführer Andreas Linneboden sicher. Er ist heute mit 34 Mitarbeitern am Start.

[Ob diese beiden Fans auch heute abend wieder jubeln werden?]

Auf der Leitstelle der Polizei in Gummersbach ist natürlich ein Fernseher aufgestellt. Kollegen, die in Streifenwagen Dienst machen, sollen nach Möglichkeit über Funk über die neuesten Zwischenstände informiert werden.

Andere Menschen haben dagegen vorgesorgt, nicht arbeiten zu müssen. So etwa Taxifahrerin Inge Siemerkus aus Gummersbach. Sie nutzt die Gelegenheit, das Halbfinale vor dem heimischen Fernseher zu verfolgen. Darauf freut sich die 57-Jährige auch, denn während der Partie gegen Schweden hat sie arbeiten müssen und das Achtelfinale nur im Radio verfolgt, was sie aber nicht weiter schlimm fand. „Es war einfach super und ein bisschen Stadionatmosphäre ist da auch in meinen Wagen geschwappt“, so Siemerkus. Auch die Kundschaft war begeistert und fieberte neben der Taxifahrerin mit der deutschen Mannschaft mit.

Auch bei der Lichtbrücke ins Engelskirchen wird Fußball geschaut, aber unter einer Bedingung: Das Spiel muss fair sein! Ansonsten weiß sich Mathilde von Lüninck Knipp, die Vorsitzende des Vereins, anders zu beschäftigen. „Wird auf dem Platz nur noch gefoult, mache ich lieber mit Büroarbeiten weiter“, erklärt von Lüninck Knipp. Am liebsten würde sie dann sogar ausschalten. Als fußballinteressiert bezeichnen sich sie und ihr Ehemann Friedel Knipp aber schon. Viele Spiele wurden im Wohnzimmer verfolgt.

[Mathilde von Lüninck Knipp und Friedel Knipp wollen ihren Fernseher ausschalten, wenn das Spiel zu hart wird.]

Dabei ging es jedoch eher ruhig zu. Fan-Utensilien wie Deutschlandschal oder Fahne wurden von den beiden Engelskirchenern nicht gekauft, der deutschen Nationalelf wird – bei einem "ordentlichen" Spiel – im Geiste beigestanden. Bei den Montfortaner Patres in Marienheide ist heute Abend ebenfalls Fußball angesagt. Erst jedoch steht eine Jugendmesse mit anschließendem Grillen auf dem Programm. Um 21 Uhr geht es dann in den Gemeinschaftsraum vor den Fernseher, ganz ohne Trikot oder Schal.

Auch ein Rosenkranz für Klinsis Jungs wird vorher nicht gesprochen, denn das bessere Team schafft das auch so. Und das sind hoffentlich die Deutschen, auf die Pater Johannes Backwinkel selbstverständlich hofft. Sein „Kollege“ Bruder Johannes hat es nicht ganz so gut – für ihn ist Arbeiten im Heier Seniorenzentrum angesagt. „Aber da wird er auch auf den ein oder anderen Fernseher bei den Bewohnern schauen können“, ist sich Pater Backwinkel sicher.

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