Archiv

'Zweiter Jahrhundert-Flop': Kreistag beschließt Trienekens-Beteiligung beim BAV

om; 7. Nov 2000, 00:58 Uhr
Oberberg Aktuell
ARCHIV

'Zweiter Jahrhundert-Flop': Kreistag beschließt Trienekens-Beteiligung beim BAV

om; 7. Nov 2000, 00:58 Uhr
(om/6.11.2000-21:35) Von Oliver Mengedoht
Oberberg - Der RWE-Konzern wird nach einem heutigen Beschluss des Kreistages nun trotz aller Bedenken über seine 50-prozentige Tochter Trienekens eine Beteiligung beim Bergischen Abfallwirtschaftsverband (BAV) erhalten.

[Bilder: Mengedoht --- Der Kreistag hat heute Nachmittag nach seinem Rheinisch-Bergischen Pendant und den BAV-Aufsichtsgremien die Beteiligung von Trienekens bei der Betriebsgesellschaft der Biologisch-mechanischen Abfallbehandlungsanlage beschlossen.]



Da nutzten alle Proteste von Helmut Schäfer (Grüne), Karl Heinz Vach (UWG) und Bürgern nichts, mit großer Mehrheit beschloss der Kreistag in nicht-öffentlicher Sitzung, dem Vertrag zuzustimmen: Einzig Grüne und UWG sowie Siegfried Sax und Günter Müller (CDU Lindlar) stimmten dagegen, Doris Schuchardt (SPD Engelskirchen) enthielt sich.



Zunächst hatte BAV-Geschäftsführer Dietmar Seifert nochmals die Vor- und Nachteile des geplanten Vorhabens erläutert (wir berichteten mehrfach). Seit der Sanierung des BAVs, die vor sieben Jahren mit seinem Antritt als Chef begann, habe man sich auf drei Grundsätze konzentriert: Die Unabhängigkeit der bergischen Abfallwirtschaft, zu der eine starke Marktwirtschaft gehöre, die bestmögliche Anlagentechnik und Gebührenstabilität auf Dauer. Der Kooperationsvertrag sei bei seinem Abschluss "nicht ganz falsch" gewesen, denn sonst hätte es eine Müllverbrennungsanlage hier statt in Leverkusen gegeben.



'Wahrscheinlich Gebührensenkungen'



Die Biologisch-mechanische Abfallbehandlungsanlage (BMA) sei richtig, durch sie gebe es "wahrscheinlich Gebührensenkungen". Es sei die Frage gewesen, wie man aus dem "Jahrhundertvertrag "mit der Leverkusener AWL herauskomme und Rechtssicherheit für den Bau der 50 bis 60 Millionen Mark teuren BMA bekomme. Ein Vertragsende vor Gericht durchzustreiten, könne fünf bis zehn Jahre dauern, und mit einer solchen Rechtsunsicherheit wäre ein Bau der BMA "relativ verwegen" gewesen, so Seifert.

[BAV-Geschäftsführer Dietmar Seifert erläuterte dem Kreistag den Vertrag mit der RWE-Tochter.]



Der Vorvertrag habe folgenden Inhalt habe, erklärte Seifert: "Erstens treten wir als Vertragspartner aus dem Kooperationsvertrag mit der AWL aus und die Trienekens AG übernimmt diese Verpflichtung und zweitens wird Trienekens im Gegenzug an der zu errichtenden BMA beziehungsweise deren Betriebsgesellschaft mit einer Minderheit von 25,1 Prozent beteiligt."



Seifert: "Ein Rundum-Paket? Vielleicht nicht ganz", gab er zu. Man müsse einen Konzern "hereinlassen", aber zu einem sehr vertretbaren Preis. Natürlich wolle das Unternehmen Marktführer werden und in NRW seien nur noch das Müllheizkraftwerk Leverkusen und der BAV unabhängig. Die Befürchtungen, dass es nicht bei einer Minderheitsbeteiligung bleiben werde, seien verständlich, "aber das Schlachten geht in diesem Geschäft nicht ohne die Zustimmung des Opfers", sprich der Zustimmung des Rheinisch-Bergischen und des Oberbergischen Kreises. Keine Traumlösung, gab Seifert zu, aber "die beste Alternative".



In Bezug auf seinen Weggang zum Jahresende als BAV-Geschäftsführer erklärte der 43-Jährige, in diesem Alter sei es angebracht, zu überlegen, ob man seinen Job bis zur Pensionierung weitermachen wolle oder noch einmal eine neue Herausforderung suche. Dafür habe er sich entschieden und nun mehrere Perspektiven. Spekulationen, ob seine Kündigung "die Eintrittskarte für einen besseren Job" bei einer RWE-Tochter sei, findet er weder fair noch logisch. Sechs bis acht Wochen nach der Entscheidung, Trienekens einzubeziehen, seinen Berufswechsel anzukündigen, hätte er wiederum unfair gefunden - "mehr ist da nicht dran!"



'Können mit starkem Partner Trienekens leben'



Wie die CDU bereits angekündigt hatte, folgte sie dem Vorschlag der Kreisverwaltung. "Wir brauchen langfristig Entsorgungsmöglichkeiten für das Bergische, die beste Technik, stabile Gebühren und müssen in der Verantwortung bleiben", griff Fraktionschef Klaus-Peter Flosbach Seiferts Argumente erklärend auf. Ab 2005 dürfe nur noch reaktionsarmer Restmüll deponiert werden, daher werde die BMA gebraucht.



Auch von den Kosten sei es unbestritten die beste Lösung, so Flosbach. Falls man weiter die AWL mit Müll beliefern müsse, wäre sonst ein "überdimensionierter" Bau nötig. Trienekens als starker Partner könne ein Vorteil sein, andererseits sei das Unternehmen "quasi Marktführer. Wir müssen also die Hand behalten, auch für Lindlar und Engelskirchen", mahnte Flosbach. Sein Fazit: "Es ist kein Rundum-sorglos-Paket, aber die beste Alternative - wir können mit dem starken Partner Trienekens leben." Er dankte Seifert ausdrücklich für die gute Arbeit und "eine Leistungsbilanz, die ihresgleichen sucht".



Für die SPD erinnerte Beate Ruland daran, dass man vor sieben Jahren dem Jahrhundertvertag zugestimmt habe, weil man unter Druck vom Regierungspräsidenten gestanden habe und es leider keine Verweigerungshaltung in den beiden Kreisen gegeben habe. Sie habe schon damals die Meinung vertreten, dass die Restmüllmenge erheblich sinken würde, aber das "wurde damals von den Leuten als Spinnerei bezeichnet, die heute den Kooperationsvertrag mit Leverkusen als Teufelswerk bezeichnen". Es habe nur diesen "Jahrhundertvertrag" oder eine eigene Müllverbrennungsanlage gegeben.



Rüge für die Grünen



Dann begann Rulands mehrseitige Rüge an den Grünen Helmut Schäfer. Dessen Partei habe dem Grundsatzbeschluss zum Bau der BMA zugestimmt, erklärte sie. "Sie, Herr Schäfer, sind es, der dem BAV und damit den Bürgern Schaden zufügt." Das von diesem angestrebte Verbot der Annahme von Fremdmüll hätte zu einer Gebührenexplosion beim BAV geführt, seine Ideen für dezentrale Behandlungsanlagen "sind unbezahlbar". Zudem sei es ein "böses Spiel", Geschäftsverträge öffentlich zu machen, "obwohl in dem Vertrag von beiden Partnern logischerweise Stillschweigen vereinbart worden ist". Zudem biete Schäfer doch selbst keine Alternativen an und habe große Existenznöte bei der Belegschaft des BAV ausgelöst.



Der vorliegende Vertrag, fand auch Ruland, sei "unter den heutigen Erkenntnissen die einzig machbare Alternative". Auch sie dankte Seifert für dessen gute Arbeit.



Der Grüne Helmut Schäfer stellte richtig, dass er nicht einer zentralen BMA auf der Leppedeponie zugestimmt habe, sondern dezentralen, kleinern Anlagen dieser Art. Besonders empörte ihn jedoch, dass "diese Sondersitzung ja eigentlich gar nicht stattfinden sollte", dass die Kreistage zunächst gar nicht in die Entscheidung hätten einbezogen werden sollen. "Am 27. September haben die Landräte Kausemann und Moers sowie Herr Trienekens einen Vorvertrag unterzeichnet." Gefolgt sei dann erst eine "nebulöse" Einladung zu einem informellen Treffen bei Landrat Hans-Leo Kausemann am 17. Oktober ohne Erwähnung der RWE-Tochter Trienekens.



'Der zweite Jahrhundertflop'



Mehrmals habe er den Landrat aufgefordert, "die demokratischen Spielregeln einzuhalten und Umweltausschuss, Kreistage und die besonders betroffenenen Kommunen Lindlar und Engelskirchen einzubeziehen". Die "blamable" Antwort sei gewesen, dass dafür keine Zeit und außerdem der BAV zuständig sei. "Erst Fakten schaffen und dann informieren", warf der Grüne Kausemann vor. "Wieso haben Sie uns erst drei Wochen nach der Unterschrift informiert und den Kreistag noch später einberufen?"



Schäfer zitierte einen Pressebericht und einen Brief von ihm, in dem vor dem "Jahrhundertvertrag" gewarnt worden sei. Man hätte sich, wie andere Kreise, der RP-Forderung widersetzen und nicht vorschnell unterzeichnen sollen. Müllvermeidung werde durch diesen Vertrag bestraft, die dezentrale Abfallberatung sei nahzu abgeschafft worden und der Fremdmülltourismus eingeführt worden: "Allein in den Jahren 1997 bis '99 wurden über 800.000 Tonnen Fremdmüll für im Durchschnitt einen Appel-und-Ei-Preis von 81 Mark pro Tonne angenommen - das sind mehr als der Hausmüll Rhein- und Oberbergs in zehn Jahren - ich hätte so einen Vertrag nicht unterzeichnet."



'Zentraler Müllstandort NRW - oder bundesweit'



Der jetzige Vertrag sei der zweite Jahrhundertflop, erklärte Schäfer, denn er verfestige die Zentraldeponie Leppe "und das sollte nicht öffentlich diskutiert werden". Dass er gegen die dortigen Arbeitsplätze sein solle, "ärgert mich am meisten", denn mit dezentralen Anlagen ließen sich mehr Stellen schaffen. "Das Ziel mit einer solch gigantischen Müllfabrik wie der BMA ist, zentraler Müllstandort in NRW oder sogar bundesweit zu werden", warf er dem BAV und den anderen Politikern vor und forderte "ein Ende der Gigantomanie". Außerdem habe Trienekens natürlich das Ziel, den BAV komplett zu übernehmen "und ich habe nicht das geringste Vertrauen, dass es bei dem Spalt in der Tür bleibt".



Auch Fraktionssprecher Gerhard Welp bemängelte für die FDP, dass schon seit September im kleinen Kreis über das Thema gesprochen und ein Vorvertrag geschlossen worden sei, die Sondersitzung aber erst heute stattfand. Ob es richtig sei, Trienekens zu beteiligen, "ist für die FDP-Fraktion nur sehr schwer zu beurteilen", denn das Risiko sei groß: "Wir hoffen, Trienekens ist kein Hai." Für die FDP sei es daher eine "51:49-Entscheidung mit großen Bauchschmerzen für die Beteiligung". Auch Welp bedauerte aber den Weggang von Seifert.



Hektische Eile beim Vertragsabschluss



Karl Heinz Vach von der UWG, der zwar die BMA an sich befürwortete, aber nicht in Lindlar, fand "die hektische Eile" beim Vertragsabschluss ebenfalls erstaunlich. "Die UWG Oberberg billigt diese Vorgehensweise nicht." In dem Vertrag gebe es vieles Unverständliche, da müssten erst die Ausschüsse drüber beraten, so Vach. "Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir große Bedenken und müssen ablehnen."



Landrat Kausemann verteidigte die späte Sitzung des Kreistags damit, dass in Rhein-Berg zufällig gerade ein ordentlicher Termin angestanden habe, hier habe man schneller keinen gefunden. Er unterstütze nachdrücklich die Argumentation von CDU, SPD und FDP, den Beschluss zu unterstützen. "Wir müssen Fristen wahren und für die Erstellung der BMA Termine einhalten."



Heftig und leidenschaftlich protestierten die Lindlarer CDU- und Kreistagsmitglieder Siegfried Sax und Günter Müller gegen den Vertrag. SPD-Sprecherin Ruland tue so, als sei sie "die größte Reinemache im Bergischen. Sie haben mit der SPD eine Verbrennungsanlage im Rheinisch-Bergischen verhindert - jeder Lindlarer hätte sogar eine MVA in Lindlar akzeptiert, wenn es dafür diesen Gestank nicht gegeben hätte", ärgerte sich Müller. Ralf Wurth (SPD) hingegen fand an der Diskussion positiv, "dass Sie uns bescheinigen, wir hätten die MVA verhindert, sonst hätten wir nämlich ganz andere Probleme."



Müller habe immer gefordert, den Vertrag mit Leverkusen gerichtlich klären zu lassen und "der nächste Schritt ist nun der Ausverkauf des BAV". Nun komme das RWE, obwohl man den Lindlarern immer versprochen habe, das genau das nicht geschehe, das empfand Müller schon als bösartig.



Das sah auch Lindlars Ex-Bürgermeister Sax so, der "selbstverständlich dagegen" war. "25 Jahre Deponie gegen den Widerstand der Bevölkerung und eine riesige Müllanlage: Dass die BMA, wenn sie kommt, nach Lindlar kommt, ist keine Frage, so realistisch bin ich", wetterte der 65-Jährige. SPD-Sprecher Wurth hatte darauf hingewiesen, dass dies ja noch gar nicht sicher sei. Der Einstieg Trienekens' "wird das Ende sein, die werden sich durchsetzen, das prophezeie ich".



Trojanisches Pferd



Auch einige Bürger hatten mit einem Flugblatt gegen den Vertrag protestiert. BAV-Geschäftsführer Seifert, hieß es in dem Blatt von Lothar Gothe und Klaus Breidenbach von der SSK-Kompostierungsanlage Reichshof aus Bergneustadt, hinterlasse den Eindruck, er habe "als trojanisches Pferd seines neuen Arbeitgebers gearbeitet, indem er die lukrativen Teile des BAV privatrechtlich organisierte, so dass sie jetzt vom 'Global Player' RWE übernommen werden könne. Der Trienekens-Vertrag wäre der Anfang dazu." Auch die Kompostanlage in Eckenhagen habe Seifert mehrmals bekämpft, wie auch Bestrebungen der Gemeinden Reichshof und Nümbrecht nach eigenen Gestaltungsmöglichkeiten beim Abfall.

WERBUNG