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Deutsche Musikkultur nach Jahrhunderten bereichert: Die Russlanddeutschen, Teil IV

rw; 2. Mar 2006, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Deutsche Musikkultur nach Jahrhunderten bereichert: Die Russlanddeutschen, Teil IV

rw; 2. Mar 2006, 00:00 Uhr
(rw/15.2.2006-15:15) Von Richard Witsch
Oberberg – In einer vierteiligen Beitragsserie stellt Oberberg-Aktuell die Musikkultur der Deutschen in/aus Russland vor – heute Russlanddeutsche Musikerpersönlichkeiten.
[Georg von Albrecht.]

Georg von Albrecht und Alfred Schnittke sind zwei der bedeutendsten Musiker- und Komponistenpersönlichkeiten die aus der russlanddeutschen Musikkultur hervorgingen.

Georg von Albrecht wurde am 19. März 1891 in Kasan geboren und verbrachte seine Jugendzeit in Petersburg sowie in Zarskoje Selo. Sein Vater war deutscher Mathematiker und die Mutter russische Pianistin. Er studierte an der Petersburger Universität Philosophie und 1911 Klavier bei Pauer, Wiehmayer, Lang und Sträßer am Königlichen Konservatorium in Stuttgart. 1914/15 vervollständigte er am Moskauer Konservatorium seine kontrapunktischen Kenntnisse bei Tanejew. Die Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges verbrachte er in Jalta (Krim). 1918 beendete er das Petersburger Konservatorium mit seiner Komposition Andante con Variazioni op. 10.

Durch den Bürgerkrieg geriet seine Familie in Not. In Jalta heiratete er die Zahnärztin und litauische Patriotin Wanda Dydziul und beteiligte sich dort an der Gründung eines Konservatoriums. 1921 wurde er als angeblicher „Konterrevolutionär“ verhaftet und entging knapp einer Exekution. 1922 nahm man ihn im Verband der russischen Komponisten in Moskau auf, gleichzeitig wurde er als Klavierlehrer tätig. Noch 1922 trennte er sich von seiner Ehefrau und wanderte nach Deutschland, wo er sich in Stuttgart niederließ, aus. Nun betätigte er sich als Pianist, Komponist, Dirigent und Musikkritiker. Er lernte die Neue Musik vor allem durch Petyrek und Hindemith kennen. Literarisch lehnte er sich gern an Georg van der Vring an.

In seinen Kompositionen blieb die Form zwar erhalten, aber die Themengestaltung und das musikalische Material änderten sich unter den neuen Einflüssen. Er vollendete die Oper Le Pater. Darin benutzt er russische Volkslieder und griechische Liturgie als Hintergrund. 1936 wurde er an die Stuttgarter Musikhochschule berufen. 1944 entstand seine Zweite Klaviersonate op. 53. 1945 wurde er an der Stuttgarter Musikhochschule zum Professor berufen wo er 1946 auch das Amt des stellvertretenden Direktors übernahm. Eine sehr produktive Zeit brach an: er komponierte Lieder und Instrumentalwerke unter anderem das Violinkonzert op. 60. Im Jahre 1956 trat er in den Ruhestand, übernahm jedoch einen Lehrauftrag an der Heidelberger Hochschule für Musik. Es folgte eine intensive schöpferische und konzertante Tätigkeit.

„Das Lied der Lieder“ op. 70 (1964), „Messe“ op. 77 (unter Einbezug der Zwölftontechnik), „Vierte Klaviersonate“ op. 80 (1971), „Sonate für Viola und Klavier“ op. 82 (1972), „Requiem“ op. 84 (1974), „Te Deum“ op. 85 (1975), weitere Instrumental- und Chor-Werke entstanden. Georg von Albrecht starb am 15. März 1976 in Stuttgart.

Sein Œuvre ist vielseitig: Es umfasst Klavierwerke mit folkloristischem, spätromantischem und modernem klangtechnischen Bezug, Orgelwerke (Solo-Orgelkompositionen, und als integraler Bestandteil umfangreicher Instrumental- und Vokalwerke), Violinkompositionen (Solo, Konzerte, Kammermusik), sonstige Werke für Soloinstrumente sowie Ensemble- und Orchesterwerke. Sein Vokalwerk ist ebenso umfangreich. Dazu gehören zahlreiche Lieder und Chöre, auch mit religiösem Charakter. Der deutsch-russische Komponist verbindet in seinen Werken moderne Kompositionstechniken mit Elementen überwiegend russischer Folklore wie auch antiker (vorwiegend byzantinischer) Musik. Während die älteren und einfacheren Musikelemente meistens als Ausgangsbasis einzelner Werke dienen, kommen moderne Techniken (zum Beispiel Polytonalität, Dodekaphonie) oft an dynamischen Höhepunkten der jeweiligen Werke zustande. Seine Musik weist auch zahlreiche zukunftsweisende Neuerungen in Melodik, Harmonik, Rhythmik und Form auf.

Die Monographie von Alexander Schwab „Georg von Albrecht - Studien zum Leben und Schaffen des Komponisten“, Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-631-43502-9, bietet zahlreiche Details zu biographischen Daten, über Satztechnik und Kompositionsstil sowie Werkverzeichnisse.

[Alfred Schmittke.]

Alfred Schnittke wurde am 24. November 1934 in Engels geboren. Sein Vater (Journalist) war deutscher Jude aus Frankfurt am Main und die Mutter (Lehrerin, Journalistin) Wolgadeutsche. 1946 bis 1948 bekam Alfred in Wien die Gelegenheit, Grundkenntnisse in Akkordeon und Klavier zu erwerben. Zurück in der Sowjetunion konnte er ab 1949 an der Moskauer Musikfachschule ein Chorleiterstudium mit Klavierausbildung aufnehmen und seine musiktheoretischen Kenntnisse vervollständigen. 1953 studierte er dann am Moskauer Tschaikowski-Konservatorium in der Kompositionsklasse von Jewgenij Golubew.

Durch den in Moskau lebenden Webern-Schüler Philipp Herschkowitz wurde er mit der Klangwelt von Schönberg, Webern und Berg vertraut gemacht. Nun interessierte er sich auch für Strawinsky, Orff, Hindemith und Honegger. Seine Diplomarbeit, das Oratorium „Nagasaki“ für Mezzosopran, gemischten Chor und Orchester (1958), löste eine ablehnende Haltung der offiziellen sowjetischen Musikkreise aus, da sein Werk nicht in die politisch erwünschte Stilistik (sozialistischer Realismus beziehungsweise Formalismusdiskussion) hineinpasste. Bis 1961 absolvierte Schnittke noch eine dreijährige Aspirantur in der Meisterklasse von Golubew. Dies war seine Zeit der Suche nach musikalischer Eigenständigkeit. Es folgte für ihn eine „steinige Strecke, voller Missachtung und Entbehrungen“ in der stark politisch beeinflussten sowjetischen Musikszene. Lediglich im Bereich der Filmmusik gewährte man ihm ab 1962 die Möglichkeit, zu mehr als 60 Filmen die Musik zu schreiben. Parallel dufte er am Tschaikowski-Konservatorium in Moskau Instrumentenkunde, Komposition, Kontrapunkt und Partiturspiel lehren.

Erst ab 1985 wendete sich für Schnittke vieles zum Positiven. Er durfte der Aufführung seiner Werke im Ausland beiwohnen und seiner Person wurde viel Aufmerksamkeit gewidmet. 1985, 1991 und 1994 erlitt er mehrere Schlaganfälle. Trotzdem arbeitete er zwischendurch an weiteren Kompositionen. Der mit mehreren Staatspreisen geehrte Komponist starb am 10. August 1998 in Hamburg und wurde in Moskau beerdigt.

Sein Œuvre umfasst außer Bühnen- und Orchesterkompositionen zahlreiche Vokalwerke und instrumentale Kammermusik sowie Klavierwerke, elektronische Musik, Bearbeitungen, Transkriptionen, Kadenzen, Schauspiel- und Filmmusik. Schnittkes Konzeption der Polystilistik, das Verhältnis zur Tradition, die zugrunde liegenden Musikgattungen, die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit der Dodekaphonie, Details zur Satztechnik und Kompositionsstil sowie ein Werkverzeichnis hat die aus Odessa stammende Musikwissenschaftlerin Tamara Burde in ihrer Monographie „Zum Leben und Schaffen des Komponisten Alfred Schnittke“, Gehann-Musik-Verlag, Kludenbach 1993, ISBN 3-927293-10-5, anschaulich dargestellt.

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