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Deutsche Musikkultur nach Jahrhunderten bereichert: Die Siebenbürger Deutschen, Teil IV

rw; 29. Dec 2005, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Deutsche Musikkultur nach Jahrhunderten bereichert: Die Siebenbürger Deutschen, Teil IV

rw; 29. Dec 2005, 00:00 Uhr
(rw/14.12.2005-15:25) Von Richard Witsch
Oberberg - In einer mehrteiligen Betragsserie stellt Oberberg-Aktuell die Musikkultur der Siebenbürger Deutschen und der Deutschen aus Russland vor – heute Teil IV über die Siebenbürger Deutschen.
[Programmblatt zu Rudolf Lassel zu "Eine siebenbürgische Passionsmusik".]

Die aus Siebenbürgen stammenden Oberberger können auf einige bedeutende Musikerpersönlichkeiten stolz sein, die aus ihrem Volksstamm hervorgegangen sind. Der Kronstädter Rudolf Lassel (1861-1918) beispielsweise studierte in Leipzig und wirkte als Kantor und Organist an der Schwarzen Kirche. Er veranlasste die erste Bach-Rezeption in Kronstadt. Zu seinen renommiertesten Schülern gehörten Paul Richter und Tudor Ciortea. Er komponierte vorwiegend Vokalwerke für Chor und Orgel beispielsweise eine Matthäuspassion – „Die Leidensgeschichte unseres Herrn Jesu Christi“ für Chor, Solostimmen, Gemeindegesang und Orgel.

Victor Bickerich (1895-1964) studierte in Berlin, setzte als Kantor Lassels Bach-Tradition unter politisch erschwerten Bedingungen fort und prägte das Musikleben Kronstadts nachhaltig. Unmittelbarer Nachfolger Bickerichs wurde 1962 Allroundmusiker Walter Schlandt und 1965 sein Sohn Eckart Schlandt als Organisten und Kantoren an der Schwarzen Kirche. In Hermannstadt wirkte Johann Leopold Bella (1843-1936) als Kantor und Organist. Franz Xaver Dressler (1898-1981) setzte Bellas Tätigkeit erfolgreich fort. Am Brukenthal-Gymnasium gründete er einen Knabenchor und leitete in Hermannstadt den „Bach-Chor“. 1950 bis 1951 wurde er in ein rumänisches Zwangarbeitslager interniert und anschließend musste er die kommunistischen Vorgaben zum Aufführungsrepertoire berücksichtigen.

[Kurt und Ursula Philippi als Preisempfänger bei Christina Weiss.]

Als Zweiter Dirigent der Staatlichen Philharmonie bekam er ab 1963 wieder Gelegenheiten zur Aufführung geistlicher Oratorien. Für bedeutende Nachwuchskomponisten und Organisten war Dressler Initiator und Lehrer gewesen. 1978 siedelte er nach Freiburg i.Br. aus. Dresslers Nachfolger im Kanorenamt wurde Ernst-Helmut Chrestel (1916-2000). Das Kantoren- und Organistenamt Hermannstadts wurde 1985 Ursula Philippi übertragen. Ihr Ehemann, der Kronstädter Kurt Philippi (*1949), wurde Musikwart beim Landeskonsistorium der Evangelischen Landeskirche in Hermannstadt und übernahm die Leitung des Bach-Chores. Angeregt an binnendeutsche Vorbilder entwickelte sich in Siebenbürgen ein reger, kontinuierlicher Orgelbau. Außer den vorher erwähnten Kantoren und Organisten ging aus dieser Tradition eine Reihe außergewöhnlicher Orgelvirtuosen und Komponisten hervor.

Der Hermannstädter Helmut Plattner (*1927), war Dressler-Schüler, studierte in Bukarest und wurde 1973 Organist und Kantor an der Neuen Paulskirche in Essen und 1976 in Bayreuth. Horst Gehann (*1928), Sohn siebenbürgischer Eltern, wurde in Frankfurt am Main geboren. Er war Schüler bei Dressler, Bickerich und Jora. 1956 wurde er Gastsolist der Staatsphilharmonie sowie Dozent am Theologischen Seminar in Bukarest. Seit 1972 wirkte er im Raum Darmstadt am dortigen Theologischen Seminar. 1980 rief er in Darmstadt das Kammerorchester „Pro Musica“ und 1981 den „Bach-Chor“ ins Leben. Als Komponist, Organist, Dirigent, Verleger steht er auch heute noch sehr aktiv im musikalischen Leben.

Paul Richter (1875-1950) gehört zur Elite siebenbürgischer Komponisten. In Kronstadt brachte er bedeutende Werke der Romantik, aber auch Gustav Mahler und Richard Strauss zu Gehör. Der Hermannstädter Richard Oschanitzky (1901-1971), studierte in Wien, Thüringen und Würzburg und war als Musiker in zahlreichen europäischen Orten präsent. Durch seine Kompositionen (Ballettmusik „Biene Maja“ und das Singspiel „Mädel aus dem Kokeltal“) wurde er international bekannt.

[Dieter Acker, Komponist.]

Der Bistritzer Pianist und Dirigent Otto Eisenburger (1908-1989) führte während seiner Dirigentenlaufbahn nahezu das gesamte europäische Opern- und Konzertrepertoire sowie Vokalwerken auf. Carl Gorvin (bürgerlich: Karl Egon Glückselig, 1912-1991) studierte in Bukarest und Berlin, wurde Operndirigent, Cembalist und Pianist. Als erster führte er Rudolf Wagner-Régenys Oper „Der Günstling“ auf.

Ein Dirigent von internationalem Rang war Erich Bergel (1930-1998). Als Organist und Dirigent erzielte er in den sechziger Jahren große Erfolge in Rumänien. Nach 1972 gastierte er international mit Werken von Beethoven, Brahms und Bruckner sowie Bach. Der aus Hermannstadt stammende Heinz Acker (*1942) studierte in Klausenburg und wurde als Musiklehrer und Dirigent tätig. Seit 1980 leitete er erfolgreich das Jugendsinfonieorchester Bruchsal. 1987 wurde er zum Professor für Musiktheorie und Tonsatz an der Musikhochschule Heidelberg-Mannheim ernannt. Sein Bruder, Dieter Acker (*1940), repräsentiert par excellence den Komponistenprofessor. Er studierte in Klausenburg bei Sigismund Toduţǎ, war Dressler-Schüler und erzielte 1966 den Komponistenpreis des „Prager Frühlings“ für sein erstes Streichquartett. 1969 setzte er sich nach Deutschland ab und trat 1976 die Nachfolge von Harald Genzmer als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik in München an. Er schuf ein umfangreiches Korpus an Kompositionen. Viele seiner rd. 200 Werke werden auf internationalen Bühnen vorgetragen.

Peter Szaunig (*1933) wirkt vor allem als konzertierender Pianist und Pädagoge. Bernhard Fograscher (*1965) konzentriert seine solistischen und kammermusikalischen Tätigkeiten vorwiegend auf zeitgenössische Musik. Weitere international wirkende Instrumentalisten sind: Hertha Rosa (*1952), Cellistin, Stuttgart; Georg Ongert (*1952), Cellist, Nürnberg; Gerhard Zank (*1952), Cellist, München; Wolfgang Güttler (*1945), Kontrabassist, Karlsruhe; Wolfgang Meschendörfer (*1944), Flötist, Coesburg. Komponisten und Interpreten waren: Berta Bock (1857-1945), Hermannstädter Pianistin; Waldemar von Baußnern (1866-1931) aus Hermannstadt wurde Chordirigent in Mannheim, Dresden und Weimar. Später war er als Direktor und Professor am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main und anschließend als Senator und Sekretär der Akademie der Künste in Berlin tätig. Sein Enkel Dietrich von Baußnern (1928-1980) wurde Kantor und Organist an der Schwarzen Kirche in Kronstadt.

Der Komponist und Maler Heinrich (Henrik) Neugeboren/Henri Nouveau (1901-1959) studierte in Berlin, wirkte als Pianist international und lebte zuletzt in Paris. Rudolf Wagner-Regeny (1903-1969) aus Sächsisch-Regen, studierte in Leipzig und Berlin, lebte in der DDR und komponierte Kammer-, Orchestermusik sowie Opern und Werke für Klavier. Der Repser Wilhelm Georg Berger (1929-1993) studierte und lebte in Bukarest als Bratscher und Komponist. 1964 erwarb er in Monte Carlo den 1. Preis im „Concours international de composition d’oeuvres pour quatuor a cordes“. Die in Bukarest geborene Komponistin Adriana Hölsky (*1953) lebt zurzeit in Stuttgart. Sie errang internationale Anerkennung aufgrund ihrer zeitgenössischen Werke.

Ausschließlich als Komponisten gelten Norbert von Hannenheim (1898-1944) aus Hermannstadt, der in Berlin lebte und als Schönberg-Anhänger galt, Wolf von Aichelburg (1912-1994) der auch Schriftsteller und Lyriker war, Helmut Sadler (*1921) aus Streitfort bei Reps, war Professor für Komposition an der Musikhochschule Heidelberg und Hans Peter Türk (*1940) aus Hermannstadt, der als Komponist in Klausenburg lebt.*

*Karl Teutsch (Hrsg.), Beiträge zur Musikgeschichte der Siebenbürger Sachsen, Teil III, Gehann-Musik-Verlag, Kludenbach 2002

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