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Sozialforum: Globalisierung und Oberbergischer Arbeitsmarkt
(Red./8.11.2005-11:40) Oberberg - Erneut konnte das Sozialforum Oberberg bei seinem zweiten Perspektivenkongress zum Thema Sachzwang Globalisierung? Auswirkungen und Auswege für Oberberg mit Dr. Heiner Flassbeck einen wissenschaftlichen Querdenker nach Waldbröl holen.
Flassbeck stellte in seinem Referat am Vormittag vor etwa 30 Besuchern die Grundzüge der deutschen Wirtschaftspolitik - auch im Kontext der Globalisierung - dar und kritisierte deren seiner Meinung nach völlig falsche Grundausrichtung und zeigte klare Alternativen auf. Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium während der kurzen Ära Oskar Lafontaines, stellte zunächst die Folgen der Globalisierung für Deutschland dar. Wie bereits Gustav Horn vor einem Jahr, sah er Deutschland nicht als Verlierer der Globalisierung, sondern vielmehr als Profiteur.
[Bilder: privat --- Bernd Hombach, Nobert Kemper, Ralf Arenz, Inge Lütkehaus, Thomas Kommer,Ursula Gröning und Kai Uffelmann (v.l.n.r.).]
Die letzten Bundesregierungen, Schwarz-Gelb und Rot-Grün, hätten allerdings mit einer überzogenen Anpassung der Wirtschaftspolitik in die falsche Richtung reagiert: Weil wir im Zuge der Globalisierung eine wettbewerbsfähige Wirtschaft noch wettbewerbsfähiger gemacht haben, haben wir im Innern verloren, stellte der Finanzexperte klar. Statt die Gewinne der Unternehmen durch Anheben der Löhne und Gehälter zu verfrühstücken, habe man immer wieder gefordert, den Gürtel enger zu schnallen und zu sparen. Dabei sei völlig vergessen worden, dass für die heimische Wirtschaft und für mehr Arbeitsplätze die Binnennachfrage sehr viel wichtiger sei als der Export.
Der internationale Vergleich der Industrieländer zeige zudem, dass die Länder, die trotz Defiziten auf staatliche Investitionen nicht verzichten, wie zum Beispiel die USA, ein Mehr an Wachstum verzeichnen als Deutschland. Der Finanzwissenschaftler schloss daraus, dass nur ein Einkommenszuwachs für Arbeitnehmer und eine stärkere Investitionstätigkeit der Öffentlichen Hand zu mehr Binnennachfrage und mehr Arbeitsplätzen führen würde. Er forderte einen grundlegenden Wechsel der Wirtschaftspolitik weg von der Angebotsorientierung hin zur Nachfrageorientierung, dem Erfolgsmodell außerhalb Deutschlands. Der ständige Hinweis auf die wachsenden Schulden sei volkswirtschaftlich so lange schlichtweg Unsinn, wie den Schulden ein gleichwertiger Vermögensstand gegenüberstehe. Und das ist in Deutschland der Fall. Unser Staat ist nicht pleite. Im Gegenteil.
[Nümbrechts Bürgermeister Bernd Hombach (links) und IG Metall-Vertreter Norbert Kemper in der Diskussion.]
Als Nümbrechts Bürgermeister Bernd Hombach am Nachmittag auf diese These angesprochen wurde, machte er für die Oberbergischen Kommunen klar, dass es für sie - aus der derzeitigen finanziellen Situation heraus - nur noch darauf ankäme, kommunale Infrastruktur zu erhalten. Sinngemäß machte er damit auch klar, dass eine für die Wirtschaft belebende Ausgabenpolitik der Kommunen nicht realistisch sei.
Dass allerdings eine Lösung für die Arbeitssuchenden gefunden werden muss, wurde durch die Ausführungen des Leiters der Waldbröler Agentur für Arbeit, Thomas Kommer, deutlich. Zwar gebe es im Südkreis kaum Insolvenzen, dennoch würden Arbeitsplätze abgebaut. Schuld daran sei, dass im Produktionsbereich von Personal auf Technik umgestellt werde, erklärte Kommer. Dadurch, dass im Oberbergischen nur ein kleiner Dienstleistungssektor entstanden sei, gebe es keinen Bereich, wo diese Arbeitsplätze (in großer Zahl) unterkommen können. Insgesamt stagniere die Anzahl der Arbeitsplätze. Dies gilt auch für die in Nümbrecht stark vertretenen Jobs im Gesundheitswesen. Durch den Kostenruck gehe es auch hier mehr um ein Halten als um Neuschaffungen von Arbeitsplätzen, berichtete der Bürgermeister. Für den produzierenden Bereich bestätigte er den Eindruck, dass zwar Investitionen getätigt würden, allerdings nicht in Arbeitsplätze. Norbert Kemper, erster Bevollmächtigter der IG Metall Gummersbach, ergänzte dieses Bild durch den Hinweis, dass auch in seiner Branche sehr häufig nur befristet anstellt werde. Und überdies sei auch die oberbergische Arbeitnehmerschaft nachweislich von Globalisierungsverlusten betroffen.
[Dr. Heiner Flassbeck.]
Inge Lütkehaus vom Arbeitslosenzentrum Gummersbach rückte das Schicksal der Arbeitsuchrotz der derzeitigen wirtschaftlichen Situation sei Arbeitslosigkeit immer noch stigmatisierend, enden stärker in den Blickpunkt. Tworunter gerade Arbeitslosengeld II-Empfänger litten. Wir erfahren, dass Menschen nach 20 Absagen verunsichert sind, berichtete sie. Noch schwieriger sei die Lage für die Gruppen der Langzeitarbeitslosen, Migranten und für die Jugendlichen, erläuterte sie dem Publikum. Als der Moderator, der Kölner Wirtschaftsjournalist Ralf Arenz, nach Minijobs als Lösungsansatz fragte, wehrte Ursula Gröning von der Diakonie Düsseldorf ab. Minijobs werden oft von Leuten wahrgenommen, die bereits Beschäftigungen haben. Für Arbeitslose sei dies kein Ausweg, da sie mit dem Minijob ihre finanziellen Ansprüche gefährden würden, ohne es finanziell kompensieren zu können.
Kai Uffelmann, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, der die Situation der Handwerkerschaft mit dem berühmten halbleeren Glas verglich, ging auf die Ich-AGs ein und beklagte, dass diese Möglichkeit Teil eines eine Art Billiglohnsektor geworden sei. Zudem gebe es gerade in der klaren Abgrenzung zum Handwerk Schwierigkeiten. Was angeboten wird, ist richtig, doch was ausgeführt wird, dabei liegen die Ich-AGs auf der schwarzen Seite, was aber häufig auch an den Wünschen der Kunden läge. Die Verbraucher müssten Abstand nehmen von dem Slogan Geiz ist geil. Wir verramschen den Wert des Arbeitnehmers, kritisiert er. Dagegen sah Gröning im Bereich der sogenannten Hausmeistertätigkeiten für 1-Euro-Jobber eine Chance, im Graubereich, in dem es sich für einen Handwerker nicht mehr lohnt. Uffelmann hob die Eigenverantwortung des Verbrauchers hervor, der mit seiner Konsumentscheidung Einfluss auf die Lage des Handwerks nehmen und entscheiden könne, ob Qualität nicht auch seinen Preis habe.
Mit einer Antwort auf die Frage nach der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Oberberg tat man sich naturgemäß etwas schwerer, da die Schlüssel zur Lösung eines solchen Problems in der großen Politik liegen und nicht in einer kleinen Region. Regional müsste allerdings das Potenzial der Ferienlandschaft Oberberg viel besser genutzt werden für mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich Tourismus.
Das abschließende Fazit des Veranstalters: Gemessen an dem Ziel, wissenschaftliche Kompetenz in die Region zu holen und den Sachverstand von oberbergischen Experten zu nutzen, soweit es um alternative Denkmodelle und Politikentwürfe geht oder um Fakten, Daten und Argumente zu hiesigen Sozialproblemfeldern, war die nunmehr dritte Bildungsveranstaltung von Sozialforum Oberberg wieder ein Erfolg. So auch die Rückmeldungen der Teilnehmer. Der relativ geringe Publikumszuspruch gegenüber den Vorgängerveranstaltungen gibt den Organisatoren allerdings durchaus zu denken.
