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"Bergnossstadt": Bewegter Abschied von Bürgermeister Karl Siegfried Noss

om; 1. May 2004, 06:22 Uhr
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"Bergnossstadt": Bewegter Abschied von Bürgermeister Karl Siegfried Noss

om; 1. May 2004, 06:22 Uhr
(om/1.4.2004-9:30 - AKTUALISIERT: 23:50) Von Oliver Mengedoht
Bergneustadt - "Glücksfall für Bergneustadt" war noch eine der harmlosesten Bezeichnungen für Ehrenbürgermeister Karl Siegfried Noss, der gestern Abend unter großen Beifallsbekundungen in der Aula der Realschule nach 20 Jahren als Bürgermeister in den Ruhestand verabschiedet wurde, "Siegfried, der Unerschöpfliche", "politischer Extremsportler" und "im Stadtbild so präsent wie die Altstadtkirche" andere Attribute - "Ich werd' Sie tierisch vermissen!"
[Bilder: Oliver Mengedoht --- Vor dem Spalier der Landsknechte hielt Vize-Bürgermeister Hans-Otto Becker (M.) die Laudatio für den scheidenden Bürgermeister Karl Siegfried Noss.]

In seiner Laudatio errinnerte Vize-Bürgermeister Hans-Otto Becker daran, dass die Bürger vor genau 10.559 Tagen eine weitsichtige Entscheidung getroffen hätten, als sie Noss am 4. Mai 1975 in den Stadtrat wählten. Schon da habe Noss, teils gegen heftigen Widerstand, einige grundlegende Entscheidungen vorangetrieben und wurde '79 Vize-Bürgermeister, 1984 übernahm er das Amt des ersten Bürgers ehrenamtlich und zehn Jahre später - als einer der ersten in NRW überhaupt - hauptamtlich. Südring, Autobahnzubringer, Innenstadtplanung, Krawinkelkomplex, Ladenzentrum Wiedenest, Städtepartnerschaften, Stadion-Neubau, zu viele Themen sind es, um sie alle aufzuzählen. "Mit Begeisterung, Herz und Verstand packte er die Probleme an - oft unkonventionell und unbürokratisch - das Rathaus wurde zu einem Serviceunternehmen."



Und, berichtete Becker, wohl einzig in Oberberg sei Noss' Betätigung als Standesbeamter. "Kein Wunsch, vom Bürgermeister persönlich getraut zu werden, ist von ihm zurückgewiesen worden." Noss sei ein kleines, positives Schlitzohr. Mit wenig städtischem Geld andere Institutionen zu überzeugen, in Bergneustadt zu investieren, diese dann auch noch werbemäßig davon profitieren, das sei gekonnt. "Alle sind begeistert, Vereine, Institutionen, Einwohner - keiner wird übervorteilt, alle sind zufrieden." Für seine Leistungen in über 30 Jahren politischer Funktion, 20 Jahre Bürgermeisterschaft und zehn Jahre "Motor mit Turboantrieb als hauptamtlicher Bürgermeister" habe ihn der Rat zum Ehrenbürgermeister ernannt, machte Becker klar und überreichte dem scheidenden Politiker vor den Landsknechten und unter großem Beifall die Urkunde.

"Ich werd' Sie tierisch vermissen!"

Der erste Beigordnete Thorsten Falk schätzte an Noss die Eigenschaften, die er seit Kindheit an erlebt habe: tatkräftig, entschlossen, kreativ, dabei aber immer auch fröhlich und humorvoll. Im Rathaus habe er nur 487 Tage mit ihm verbracht, "in dieser Zeit habe ich ungemein von seiner großen Erfahrung profitieren können - für die Anliegen seiner Mitarbeiter hatte er immer ein offenes Ohr und die Tür zu seinem Büro war sprichwörtlich immer offen." Treffender als kürzlich Stadtbrandinspektor Uli Geiger könne man es nicht ausdrücken, erklärte Falk: "Niemals hatte ich das Gefühl, mit einem Vorgesetzten zu sprechen, sondern mit einem guten Freund, der einem immer zur Seite steht."



Noss sei nie wichtig gewesen, wer etwas macht, sondern dass es gemacht werde und er sei sich nie zu schade gewesen, selber anzupacken. "Oft hat man ihn vor dem Rathaus mit dem Besen oder der Schneeschaufel gesehen, geradezu legendär sind seine Einsätze zur Verkehrsregelung: Wenn sich ein Polizeibeamter das Chaos durchaus interessiert, aber passiv beguckte, war es Karl Siegfried Noss, der den Autofahrern freie Plätze wies." Seine Bürgermeisterschaft könnte man unter dem Motto "Nicht reden, sondern machen!" überschreiben, urteilte Falk.

Im Namen aller Mitarbeiter dankte Falk für die "ideale Zusammenarbeit" und fügte hinzu: "Ich werd' Sie tierisch vermissen!" Von den Mitarbeitern bekam Noss unter anderem, da er ja künftig nicht mehr so einfach im Rathaus zu finden sei, das Straßenschild "Bürgermeister-Noss-Weg" und die Ortstafel "Bergnossstadt" - mit der Widmung "1335 Nyestadt, 1383 Nierstatt, 1575 Nustadt, 1596 Newerstadt, 1658 Neustadt, 1884 Bergneustadt und 2004 Bergnossstadt - geschenkt, die heute morgen an seinem Haus in Wiedenest vom Verwaltungsvorstand einbetoniert wurden.

Siegfried, der Unerschöpfliche



Seinem langjährigen Freund und Kollegen dankte Landrat Hans-Leo Kausemann. "Wenn sich die Wege von Stadt und Repräsentant von Rechts wegen trennen, ist die Frage, wer mehr zu leiden hat", stellte er fest. Noss habe für Politik und Bürgerschaft gestanden, keine flucht in Anonymität oder Ausreden gesucht und sei ein Musterbeispiel gewesen - "die Stadt wird leiden müssen". Noss sei "im Stadtbild so präsent wie die Altstadtkirche" und habe sich 30 Jahre lang der Sache "mit Haut und Haaren verschrieben", beschrieb Kausemann.

Der Kummer des Abschieds werde allerdings überstrahlt von der Freude durch den verdienten Ruhestand, gab der Landrat zu verstehen. "Freut Euch, gemeinsam die Jugend des Alters zu genießen, den schönen Herbst des Lebens", riet er Noss und seiner Gattin Ingrid.



Pippin, der Kurze, August, der Starke, das seien in der Geschichte zutreffende Namen gewesen, erläuterte CDU-Fraktionsvorsitzender Dieter Neukrantz. "Siegfried, der Unerschöpfliche" sei wohl der passende Name für den Ehrenbürgermeister, befand er. Er sei ein Jünger der geschmähten Tugenden und Pflichten und bei jeder Verantwortung vor allen anderen zur Stelle. "Er ist selbst krank im Rathaus, um auf dem Laufenden zu bleiben", betonte er, wie wichtig Noss die Belange der Stadt nehme, "ein politischer Extremsportler und Glücksfall für Bergneustadt".

"Majestätisch, mutig und gewieft"

Noss habe Bürgernähe und fachliche Kompetenz miteinander vereint und die Stadt vorangebracht. Er werde sich bestimmt bald ein neues Betätigungsfeld suchen, die Ehrenbürgermeisterschaft jedenfalls, betonte Neukrantz, sei "nur ein kleiner, unbedeutender Dank". Damit der "von Bord gehende Lotse" dennoch weiter "auf Deck" bleibe und aus einer ruhigen Ecke die Geschehnisse in der Stadt analysieren und bei Fehlern die Glocke läuten könne, schenkte ihm seine Fraktion einen Liegestuhl, wie er auf den Decks von Kreuzfahrtschiffen gern gesehen ist.



Der evangelische Pfarrer Andreas Spierling verglich das scheidende Stadtoberhaupt mit Majestix, dem Häuptling der widerspenstigen Gallier aus "Asterix". Majestätisch sei er ebenso wie mutig, gewieft und von Freund und Feind geehrt. "Es hat nicht den Eindruck gemacht, als ob er sich schnell erschüttern lassen würde, und vor allem sei Noss immer auf Augenhöhe mit seinen Gegenübern geblieben, habe nie von oben herab geblickt.

"Jeder weiß und keiner versteht es im Grunde, dass das Verhältnis der Städte Gummersbach und Bergneustadt seit grauen Vorzeiten ein wenig diffizil war", begann Gummersbachs Bürgermeister Paul-Gerhard Schmitz in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verwaltungsrats der Sparkasse Gummersbach-Bergneustadt seinen Abschied. Man habe sogar davon gesprochen, dass die Kanonen der Veste Neustadt die benachbarte Kreisstadt fest im Visier gehabt hätten "und die Gummersbacher wiederum den Nachbarort weiträumig umfuhren". Aber Nachbarn beäugten sich ja seit jeher kritisch und wenn beim andern die Birnen süßer, die Blumen bunter oder noch schlimmer, das Auto größer sei, sei ein neidischer Blick programmiert, relativierte Schmitz.

"Ohne schälen Blick"

Vom Verhalten einiger sturköpfiger Ureinwohner abgesehen habe sich dieses Verhältnis entlang der Dörspe und der Agger aber in den letzen Jahren gewandelt und sei heute ein entspanntes und gut nachbarschaftliches "ohne schälen Blick". Das sei zu einem nicht unerheblichen Teil Noss' Verdienst. Der habe nämlich nicht nur mit Schmitz' Vorgänger symbolisch die Friedenspfeife geraucht, sondern auch in der Kommunalpolitik sei man sich näher gekommen. Auch die Fusion der beiden Sparkassen 1992 sei dienlich gewesen, und dabei insbesondere Gesprächsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen und Verhandlungsgeschick des Neustädter Bürgermeisters.



Der Sprecher der 13 Bürgermeister des Oberbergischen Kreises, der Wiehler Werner Becker-Blonigen, bescheinigte Noss Fingerspitzengefühl und Machtinstinkt - "den braucht man auch". Noss habe in seiner Verwaltung Loyalität hervorrufen können und er tue es "so gerne und souverän, wenn da nicht die gesetzliche Altersgrenze wäre, hätten wir die Grenze zur Dynastie", erklärte er schmunzelnd. Noss' Liebe zu allem, was mit Kultur zu tun hat, beruhe auf seinem christlichen Menschenbild und allen Menschen, die guten Willens sind. "Du bist ein Oberberger aus altem Schrot und Korn, aber trotzdem jemand, der über den Tellerrand hinaus und die Gesamtzusammenhänge sehen kann."

"Einige Gebrauchsspuren, aber noch agil"

SPD-Fraktionssprecher Friedhelm Julius Beucher gab zu, das Fußball-Länderspiel "gegen ihr Heimspiel" eingetauscht zu haben. "Das tue ich aber gerne, weil ich für die SPD Respekt zollen möchte für diese 29 Jahre, viel Ehren- und zehn Jahre Hauptamt, das ist kein Vergnügen", gab er zu. Noss habe zwar als "gewisser Leuchtturm in manchen Diskussionen gestanden", wenn es sich um unterschiedliche Meinungen in der Demokratie gehandelt habe, konnte er als politischer Gegner eine kleine Spitze nicht unterlassen, gestand aber gerne ein, dass Noss vieles mitgeprägt habe.

Ralf Jung, Geschäftsführer von Gizeh Verpackungen, der für Handel, Handwerk und Industrie sprach, wollte die menschliche Seite des Bürgermeisters hervorheben, "die wir sehr zu schätzen gelernt haben". Er erinnere sich noch genau, wie an seinem ersten Tag in der Firma, das Büro sei noch nicht einmal eingerichtet gewesen, Noss angerufen und um einen Termin gebeten habe, um sich vorstellen zu dürfen. "Das fand ich außergewöhnlich und kannte ich von meist populistisch-stimmenfängerisch oder verwaltungstechnisch agierenden Politikern nicht", lobte er. Noss sei intitiativ, habe immer geholfen und zugehört, dankte Jung. "Ich hoffe, Ihr Nachfolger kann Ihre positive Arbeit fortsetzen." Ingrid Noss bot er den Bürgermeister zurück, "den wir 29 Jahre ausgeliehen haben, mit einigen Gebrauchsspuren, aber noch agil und er kann sicher noch einiges reißen", lachte er.



FDP-Sprecher Dr. Walter Kahnis schloss sich seinen Vorrdnern an, arbeitete aber eine Seite heraus, die noch keiner angesprochen hatte, "Ihre besondere Beziehung zur FDP". Noss habe zwar bei der Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler 1982 schon die ersten zwei Jahre hinter sich gehabt, aber sonst einige Gemeinsamkeiten: Partei, stattliche Statur ("Sie haben Ihre allerdings gehalten") oder die Ausdauer im Amt ("auch da sind Sie Sieger"). Aber beide seien nur mit Hilfe der FDP ins Amt gekommen.

Mitglied in 42 Vereinen

"Zehn Jahre danach dürstete es Ihnen nach mehr und wieder hat Ihnen die FDP geholfen, wenngleich unfreiwillig dadurch, dass wir nicht im Rat saßen und Ihre CDU die absolute Mehrheit hatte", gab er zum Besten. Vieles habe er unterstützt, so Kahnis, mit einigem sei er nicht einverstanden gewesen, aber was Noss in hohem Maß von anderen unterschiede, sei sein Engagement für die Stadt und ihre Bürger weit über das übliche Maß hinaus.



Ralf Zimmermann, Chorleiter von "The Voices", lobte, dass Noss den Vereinen immer einen hohen Stellenwert eingeräumt habe - er ist übrigens Mitglied in 42, in einigen mehrfach! "Miteinander für Menschen, sinnvolle Beschäftigung für die Jugend und Integration der Aussiedler haben Sie damit gefördert, haben immer schnell und unbürokratisch geholfen."

Karl Siegfried Noss selber zeigte sich ernsthaft und gerührt ob der vielen Lobreden. "Es war nicht immer schön, aber es war eine schöne Zeit, ja", ist er überzeugt. Vieles, was ihm zugeschrieben worden sei, habe die Sparkasse angestoßen. Er dankte für die lange MAtszeit, "die haben Sie mir geschenkt". Dankbar zeigte er sich auch für seine "fantastische Gesundheit, das ist geschenkt, nicht erarbeitet".



Mit Talent und hohem Unterhaltungsfaktor hatte der Beigeordnete Thorsten Falk den Abend in der Realschul-Aula moderiert, den Rahmen gaben der Kinderzirkus Orlando, die "Little Voices", Nico Antonio Ries und Friedrich Kämper an der Geige unter Leitung von Meei-TsuWang, "The Voices" und "The Voice Boys".

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